Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Transformation

Als (sozial-ökologische) Transformation wird in den Sozialwissenschaften die grundlegende, über einen längeren Zeitraum sich erstreckende Veränderung zentraler Elemente und Strukturen gesellschaftlicher Naturverhältnisse verstanden. Da der Transformationsbegriff an der Schnittstelle von wissenschaftlichem und öfffentlich-politischem Diskurs Verwendung findet, wird er von unterschiedlichen Akteur*innen auch mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen. Die Soziologie kann sowohl bestehende Konzepte und ihre Ziele der Transformation hinterfragen, aber ebenso im Sinne einer transformativen Soziologie die Gestaltung von Transformationsprozessen begleiten und erforschen.

Einleitung

Seit den 2010er-Jahren werden die gesellschaftlichen und politischen Debatten zum Thema Nachhaltigkeit verstärkt in Kombination mit den Schlagworten „Transformation“, „sozial-ökologische Transformation“ oder auch „Große Transformation“ geführt. Ein prominentes Beispiel hierfür sind die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen (VN). Die Agenda 2030, in der die SDGs fesgehalten sind, trägt so den Titel Transforming our World. Jedoch ist nicht genau bestimmt, welche Ziele in dieser anspruchsvollen Transformation priorisiert werden sollen, wie diese Ziele zu erreichen sind und welche Konsequenzen sich für die Gesellschaft im Zuge einer Transformation ergeben. Unterschiedliche Verständnisse von Nachhaltigkeit (Verweis Glossar Nachhaltigkeit) begründen auch unterschiedliche Transformationspfade, die sich zum Teil deutlich unterscheiden oder sogar widersprechen (Adloff & Neckel 2019). Für die soziologische Positionierung ist es von Bedeutung, sozial-ökologische Transformationsprozesse in ihren Gesamtzusammenhängen zu verstehen, um somit nicht-intendierte Nebenfolgen, Ermergenzphänomene und diskursive Leerstellen identifizieren und problematisieren zu können. Hierin besteht die Kernkomptenz der soziologischen Auseinandersetzung mit sich aktuell vollziehenden, (politisch) intendierten Transformationsprozessen wie der Mobilitäts-, Energie-, Agrar- oder Bauwende.

Transformation und Nachhaltigkeit

Im Nachhaltigkeitsdiskurs ist seit eingen Jahren ein Wandel beobachtbar: In früheren Phasen kreiste die gesellschaftliche Debatte darum, was genau unter „Nachhaltigkeit“ zu verstehen ist bzw. wie das Konzept operationalisiert werden kann. Hierfür können die Entwicklung des sogenannten Drei-Säulen-Konzeptes oder die Unterscheidung zwischen „schwacher“ und „starker Nachhaltigkeit“ als exemplarisch gelten (Verweis Glossar Nachhaltigkeit). In den jüngeren Debatten unter dem Schlagwort der „Transformation“ geht es stärker darum, wie ein gesellschaftlicher Wandel in Richtung Nachhaltigkeit tatsächlich gelingen kann. Nach Brand (2018: 483) ist „Transformation“ nicht einfach ein anderes Wort für „sozialer Wandel“, sondern bedeutet „immer mehr als eine eigendynamische Entwicklung; sie meint deren aktive, zielgerichtete Beeinflussung oder Gestaltung.“

Beispiele für die Auseinandersetzung mit Transformationsprozessen aus dem Feld der interdisziplinären Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung sind die Forschungsarbeiten, die im Kontext der Sustainability Transitions Research erfolgen (Geels 2018), das Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen aus dem Jahr 2011 Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation (WBGU 2011) sowie die Ansätze der transformativen Wissenschaft, die ausdrücklich darauf gerichtet ist, einen gesellschaftlichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten (Schneidewind & Singer-Brodowski 2014). Letztere implizieren in der Regel ein transdiszplinäres Vorgehen, also die Einbeziehung nicht-wissenschaftlicher bzw. außerakademischer Akteur*innen in den Forschungsprozess (Kropp & Sonnberger 2021: 209-233). Gleichzeitig entwerfen auch nicht-wissenschaftliche Akteure wie beispielsweise Parteien, Verbände, Organisationen und Unternehmen eigene Visionen der Transformation und wie diese umgesetzt werden kann. Diese variieren teils stark je nach gesellschaftlichem Akteur: Die Gewerkschaft DGB und Justitia et Pax nennen beispielsweise elf konkrete Interventionen innerhalb Deutschlands, um eine nachhaltige Transformation der Gesellschaft zu ermöglichen. Die Unternehmensberatung PwC hingegen versteht als „sustainable Transformation“ Maßnahmen um den freiwilligen, an den SDGs orientierten Wandel von Unternehmen zu unterstützen, damit diese wirtschaftlich zukunftsfähig sind.

Was die Konzepte der Nachhaltigkeit und Transformation somit eint, ist dass sie als „essentially contested concept“ (Gallie 1955) verstanden werden können. Damit ist gemeint, dass sie als Konzepte weit verbreitet und anschlussfähig sind, abhängig von der Perspektive und der normativen Orientierungen der jeweiligen Akteur*innen, aber etwas sehr unterschiedliches damit verbunden wird. Diese inhaltliche Offenheit des Transformationskonzeptes trägt gerade zu seiner Verbreitung und Popularität in verschiedenen Kontexten bei. Transformation kann somit sowohl als wissenschaftliches als auch als politisches Konzept verstanden werden.

Soziologische Perspektiven auf Transformation und Nachhaltigkeit

Im Feld der Sozialwissenschaften existieren verschiedene Forschungsstränge, die den Begriff der sozial-ökologischen Transformation auf unterschiedliche Weise definieren. Während in der öffentlichen Debatte vor allem normative Begriffsaufladungen überwiegen, unterscheiden sich sozialwissenschaftliche Zugänge insbesondere dahingehend, wie normativ oder analytisch ihr Begriffsverständnis ist (Brand 2021). Eindeutige Zuordenbarkeiten bestehen hier jedoch nicht, sondern eher graduelle Unterscheidungen dahingehend, wie analytisch oder normativ bestimmte Begriffsverständnisse und Zugänge geprägt sind.

Die Soziale Ökologie versteht unter Transformation Übergänge zwischen unterschiedlichen sozialmetabolischen Regimen (Fischer-Kowalski 2011). Dementsprechend wird die Veränderung des Stoffwechselverhältnisses zwischen Natur und Gesellschaft auf unterschiedlichen Ebenen als Transformation beschrieben. Solche Veränderungen lassen sich auf empirische Weise feststellen und analysieren. In der politischen Ökologie und im Kontext herrschaftskritischer Zugänge dominiert dagegen ein normativ geprägtes Begriffsverständnis. Hier beschreibt der Begriff der Transformation die als notwendig erachtete Veränderung kapitalistisch geprägter Gesellschaften, die mit Ausbeutung in sozialer aber auch ökologischer Hinsicht einhergehen (Brand & Wissen 2018: 122). Sozial-ökologische Transformation beschreibt in diesem Verständnis eine Veränderung hin zu einer sozial und ökologisch gerechteren Gesellschaft. Die sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung, als ein inter- und transdisziplinär ausgerichteter Forschungsstrang, kombiniert ein analytisches Begriffsverständnis mit normativ-gestalterischer Ausrichtung. Transformation wird dabei vornehmlich als Rekonfiguration der Funktionslogiken der Gesellschaft und ihrer Subsysteme in technischer, sozialer und ökologischer Hinsicht verstanden (Wittmayer & Hölscher 2017: 45). Dabei kann die Transformation in den jeweiligen Subsystemen als eher analytischer Untersuchungsgegenstand betrachtet werden oder als normatives Ziel, das es mit Hilfe transdisziplinärer oder auch transformativer Forschung zu erreichen gilt.

Letzteres tangiert auch das Selbstverständnis der Soziologie: Klassische Vertreter*innen des Fachs, wie Auguste Comte oder die frühe Chicago School, verfolgten den Anspruch, durch wissenschaftliches Wissen zum „sozialen Fortschritt“ bzw. zur Lösung sozialer Probleme beizutragen. Solche sozialreformerischen Ambitionen wurden in der Geschichte des Fachs zunehmend problematisiert und marginalisiert. Vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Gegenwartskrisen wird die Rolle der Soziolgie in Transformationsprozessen zuletzt wieder offen diskutiert. In multiperspektivischer Weise nähert sich die Soziologie dem Untersuchungsgegenstand der (sozial-ökologischen) Transformation. Dabei kommen sowohl desktiptiv-analystische, kritisch-normative als auch praktisch-politische Zugänge zum Einsatz (Henkel et. al. 2021: 227).

Zum Weiterdenken

In der öffentlichen Debatte um Transformation lässt sich ein großer Steuerungsoptimismus beobachten. Beispielsweise sieht der WBGU (2011, S. 215) im „gestaltenden Staat“ den zentralen Akteur der „Großen Transformation“. D.h., Transformationen werden zumeist als bewusst initiierbar und/oder steuerbar gerahmt. Dieser Steuerungsoptimismus lässt sich aus soziologischer Perspektive mit Verweis auf systemische Eigenlogiken, unintendierte Nebenfolgen sowie Emergenzphänomene hinterfragen, wie es beispielsweise in der Green Gentrification-Debatte der Fall ist.

Damit ist weniger eine vollständige Absage an die Wirkmacht gesellschaftlicher Akteur*innen im Kontext von Transformationsprozessen verbunden als vielmehr der Hinweis darauf, die Komplexität von Transformationsprozessen sowie die nur bedingte Vorhersehbarkeit und Beeinflussbarkeit ihrer Trajektorien anzuerkennen. Für die Governance von Transformationen bedeutet dies, dass diese eher inkrementell, reflexiv und unter Einbezug vielfältiger Akteur*innen erfolgen sollte als im Stile der technokratischen Umsetzung eines Masterplans. Das Sichtbarmachen von Komplexität geht auch damit einher, auf Abwesenheiten und „Silences“ in öffentlichen und politischen Debatten rund um Transformationen hinzuweisen. Solche Verweise auf blinde Flecke sowie exkludierte Themen und Akteur*innen können dabei helfen, Transformationen letztendlich demokratischer und gerechter zu gestalten.

Zum Weiterlesen

Sommer, B. (2023): Transformationstheorien und Ökologie. In: Sonnberger, M./Bleicher, A./Groß, M. (Hrsg.): Handbuch Umweltsoziologie. Wiesbaden: Springer VS. DOI: 10.1007/978-3-658-37222-4_46-1

Adloff, F./Neckel, S. (2019): Modernisierung, Transformation oder Kontrolle? In: Dörre, K./Rosa, H./Becker, K./Bose, S./Seyd, B. (Hrsg.): Große Transformation? Zur Zukunft moderner Gesellschaften. Sonderband des Berliner Journals für Soziologie, S. 167-180.

Brand, K.-W. (2018): Disruptive Transformationen. Gesellschaftliche Umbrüche und sozial-ökologische Transformationsdynamiken kapitalistischer Industriegesellschaften – ein zyklisch-struktureller Erklärungsansatz. In: Berliner Journal für Soziologie, 28. Jg., Heft 1, S. 479–509. DOI: 10.1007/s11609-019-00383-5.

Brand, K.-W. (2021): »Große Transformation« oder »Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit«? Wider die Beliebigkeit sozialwissenschaftlicher Nachhaltigkeits- und Transformationstheorien. In: Leviathan, 49. Jg., Heft 2, S. 189–214. DOI: 10.5771/0340-0425-2021-2-189.

Brand, U./Wissen, M. (2018): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: oekom.

Fischer-Kowalski, M. (2011): Analyzing sustainability transitions as a shift between socio-metabolic regimes. In: Environmental Innovation and Societal Transitions, 1. Jg. Heft 1, S. 152-159. DOI: 10.1016/j.eist.2011.04.004.

Gallie, W. B. (1955): “Essentially Contested Concepts”. In: Proceedings of the Aristotelian Society, 56. Jg., S. 167-198.

Geels, F. (2018): Perspectives on transitions to sustainability. EEA Report No. 25/2017. Copenhagen: European Environment Agency.

Henkel, A./Barth, T./Köhrsen, J./Wendt, B./Besio, C./Block, K./Böschen, S./Dickel, S./Görgen, B./Groß, M./Rödder, S./Pfister, T. (2021): Intransparente Beliebigkeit oder produktive Vielfalt? Konturen einer Soziologie der Nachhaltigkeit. Kommentar zum Aufsatz von Karl-Werner Brand, Leviathan, 49. Jg., 2. Heft, S. 224-230. DOI: 10.5771/0340-0425-2021-2-224.

Kropp, C./Sonnberger, M. (2021): Umweltsoziologie. Baden-Baden: Nomos.

Schneidewind, U./Singer-Brodowski, M. (2014): Transformative Wissenschaft. Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. Marburg: Metropolis.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen (2011): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin: WBGU.

Wittmayer, J. M./Hölscher, K. (2017): Transformationsforschung. Definitionen, Ansätze, Methoden. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt.


Jessica Hoffmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Münster

E-Mail: jessica.hoffmann@uni-muenster.de

Marlon Philipp ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Sozialforschungsstelle Dortmund

E-Mail: marlon.philipp@tu-dortmund.de

Marco Sonnberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Stuttgart und der Friedrich-Schiller-Universität Jena

E-Mail: marco.sonnberger@sowi.uni-stuttgart.de und marco.sonnberger@uni-jena.de

Bernd Sommer ist Professor für Umweltsoziologie mit dem Schwerpunkt Transformationsforschung an der Technischen Universität Dortmund

Homepage: https://us.sowi.tu-dortmund.de/

E-Mail: bernd.sommer@tu-dortmund.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2023-5637