Rezension „Handbuch Politische Ökologie"
Gottschlich, D., Hackfort, S., Schmitt, T., von Winterfeld, U. (2022): Handbuch Politische Ökologie. Theorien, Konflikte, Begriffe, Methoden Bielefeld: transcript, 592 S., 45 EUR. ISBN: 978-3-8376-5627-5
Das Ökologische ist politisch und das Politische ist ökologisch: So ließe sich die Stoßrichtung der Politischen Ökologieauf den Punkt bringen. Als transdisziplinäres Forschungsfeld hat die Politische Ökologie vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden globalen Umweltkrise in den letzten Jahren in der Wissenschaft und Teilen der Klimabewegung an Bedeutung gewonnen, auch wenn sich der Ansatz keineswegs auf die Ursachen und die Bearbeitung ökologischer Krisenszenarien engführen lässt.
Es ist kein Zufall, dass das vergleichsweise junge Feld konzeptionell und begrifflich an die Politische Ökonomie erinnert. Ursprünglich als Synonym für die klassischen Wirtschaftswissenschaften verwendet, betont die Politische Ökonomie heute, dass es sich bei Wirtschaftssystemen nicht allein um abstrakte Strukturen und institutionelle Logiken handelt, sondern um Formen konkreter Vergesellschaftung, die untrennbar mit ideologischen Prägungen, Macht, Herrschaft und Ungleichheitsverhältnissen verknüpft sind. So auch die Politische Ökologie, die das Verhältnis zwischen Mensch und Natur als zugleich gesellschaftlich und ökologisch verfasst begreift und dabei herrschafts- und machtkritisch denkt.
Die Politische Ökologie steckt ein Debattenfeld in stetiger Erweiterung ab. Theoretisch und methodisch schöpft der Ansatz insbesondere aus dem Fundus der (Human‑)Geographie, der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Philosophie. Nord-Süd-Ungleichheiten im Hinblick auf Landnutzungsverhältnisse und Ressourcenextraktion, die Re‑/Regulierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse im Kontext historisch wandelbarer und sozialräumlich spezifischer Produktions- und Konsumtionsregime, konkurrierende Raumbezüge oder Fragen nach einem demokratisch gestalteten, sozialen und ökologisch nachhaltigen Gesellschaftswandel bilden nur einige der empirischen Themenschwerpunkte der Politischen Ökologie ab. Zuletzt stieg aber auch das Interesse an einer polit-ökologischen Auseinandersetzungen mit der Industrie oder dem Verkehrssektor.
Der Facettenreichtum der Politischen Ökologie spiegelt sich in dem 2022 erschienen „Handbuch Politische Ökologie. Theorien, Konflikte, Begriffe, Methoden“ wieder. Die verschiedenen Diskussionsstränge und thematischen Schlaglichter des Sammelbandes teilen in erster Linie den Anspruch „ökologische Fragen zu (re)politisieren“ (S. 12). Dabei geht es nicht, um den Entwurf einer eigenen Theorieschule. Dennoch markiert das Feld der Politischen Ökologie diverse theoretische Ankerpunkte, die u.a. Bezüge zur Kritischen Theorie, zum gramscianischen Hegemoniebegriff sowie zum (Neo-)Marxismus herstellt. Im Zentrum des Sammelbandes stehen „Subjektivierungsprozesse“ (S.12) sowie die „Umkämpftheit und Krisenhaftigkeit sozial-ökologischer Entwicklungen“ (S. 13). So vielfältig sich verschiedene Ansätze der Politischen Ökologie sowohl analytisch als auch theoretisch präsentieren, sie alle eint den Herausgeber*innen zufolge der normative Anspruch, eine „Wissenschaft und Praxis“ zu betreiben, „die sich positioniert und Stellung bezieht“ und deren politischer Fluchtpunkt auf emanzipatorische Prozesse ausgerichtet ist (S. 13).
Die gesellschaftspolitische Klammer des Handbuchs bildet die globale Umweltkrise. Bedingt durch die kapitalistische Akkumulationsdynamik kulminieren die sozial-ökologischen Krisendynamiken und Widersprüche auf globaler Ebene: Corona, Waldsterben, unfruchtbare Böden, Hitzerekorde – die Liste der sozial-ökologischen Problemlagen kann mit jedem Jahr, in dem nicht radikal gegengesteuert wird, fortgeführt werden.
Es ist der konzeptionellen Offenheit und Unabgeschlossenheit der Politischen Ökologie geschuldet, dass das Handbuch sicherlich keine endgültige Erschließung des Debattenfeldes leisten kann (und will). Diskussionen um Planwirtschaft unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten sowie um Ausbeutung, eine ökologische Klassenanalyse oder Ökosozialismus wurden beispielsweise nicht dezidiert behandelt, obwohl diesen Themen sowohl politisch als auch wissenschaftlich zuletzt vermehrt Beachtung geschenkt wurde. Diesbezüglich lässt sich natürlich einwenden, dass es sich hierbei primär um marxistische Nischendebatten handelt. Dennoch ist eine intensivere Auseinandersetzung mit diesen Themen gerade deshalb gewinnbringend, da ihre jeweiligen theoretischen Grundannahmen und Perspektiven die konzeptionell breite Ausrichtung der Politischen Ökologie komplementieren oder – ggf. in Form einer klaren Abgrenzung von bzw. Positionierung zu diesen Perspektiven – schärfen könnte.
Eine Rezension eines gut 600-Seiten umfassenden Handbuchs kann der eigentlichen theoretischen und analytischen Bandbreite der Beiträge kaum gerecht werden, weshalb nur kursorisch auf einzelne Artikel eingegangen wird. Als Nachschlagewerk erweist sich das Handbuch als äußerst ergiebig. Es bietet kluge Einblicke in verschiedene Zugänge zu relevanten Fragestellungen der Politischen Ökologie und deren Bearbeitung. Der überwiegende Teil der Beiträge zeichnet sich durch eine umfassende, aber auch streitbare Zusammenstellung von Debattensträngen aus. Versteht man das Handbuch sowohl als politische Suchbewegung sowie als ein Angebot theoretische Diskussionen zu vertiefen, Begrifflichkeiten und Konzepte weiterzuentwickeln und analytische Perspektiven zu schärfen, dann bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte und Diskussionsstoff.
Das Handbuch ist in vier Abschnitte unterteilt: Der erste Abschnitt behandelt „Theorien, Konzepte und Zugänge“ der Politischen Ökologie. Hierin skizziert u.a. Christoph Görg sein Konzept der „gesellschaftlichen Naturverhältnisse“, das vielen Debatten in der Politischen Ökologie als epistemologischer Ausgangspunkt dient und an die Tradition der Frankfurter Schule anknüpft. In ihrer Auseinandersetzung mit der sog. „Marxistischen Politischen Ökologie“ stellen Kristina Dietz und Markus Wissen einen Ausschnitt aus der marxistischen Diskussion um ökologische und klassenspezifische Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise dar und diskutieren in diesem Zusammenhang die strukturellen Voraussetzungen, aus denen diese Widersprüche erwachsen. Bereits hier klingt an, dass es einer dezidiert feministischen Auseinandersetzung bedarf, um Konflikte und sozial-ökologische Widersprüche kapitalistischer Gesellschaften angemessen zu beleuchten. Ausbuchstabiert wird dies im Beitrag von Daniela Gottschlich, Sarah Hackfort und Christine Katz. Die Autorinnen setzen sich in ihrem Text zur „Feministischen Politischen Ökologie“ mit diversen feministischen Ansätzen auseinander, um diese für die Politische Ökologie fruchtbar zu machen. Neben der grundsätzlichen Kritik an der analytischen Trennung von Produktions- und Reproduktionsverhältnissen, setzen sie sich u.a. mit dem Unterdrückungszusammenhang von Geschlecht und Natur, Ökofeminismus, der Frage von Nachhaltigkeit und Geschlechterverhältnissen, Intersektionalität, dem feministischen Materialismus, Poststrukturalismus und der Feministischen Ökonomik auseinander. So erhellend der erste Abschnitt des Handbuches im Hinblick auf verschiedene theoretische Stränge der Politischen Ökologie auch ist, hätte er zudem von einem knappen Abriss der Entstehungsgeschichte des Feldes profitiert. In den jeweiligen Beiträgen wird zwar durchaus vereinzelt auf Debattenkonjunkturen, die im Zusammenhang mit der Entstehung der Politischen Ökologie einhergehen, eingegangen, jedoch bleibt das Handbuch den Leser*innen einen eigenständigen Beitrag zum historischen und (gesellschafts-)politischen Hintergrund der Herausbildung des Feldes schuldig.
Der zweite Abschnitt des Handbuches legt den Fokus auf „Handlungs- und Konfliktfelder“. In ihrem Beitrag zu „Biodiversität“ diskutiert Miriam Boyer eindrücklich die gesellschaftlich umkämpfte Konstellation von Ökonomie, Wissenschaft und Politik am Beispiel der Formierung spezifischer Biodiversitätsbilder. Sie setzt sich darin mit „hegemoniale[n] Naturbilder[n]“ auseinander, „die zur Aufrechterhaltung von Herrschaftsverhältnissen beitragen“ (S. 133). Dabei streift sie u.a. politische Fragen der Kommodifizierung bzw. Monetarisierung von Natur (u.a. Kompensationszahlungen) und ökologischer Ressourcen als Gegenstand (kapitalistischer) Innovation. Wie viele Beiträge des Sammelbandes wirft sie im letzten Teil ihres Artikels politische Perspektiven für ein neues Verständnis ihres Gegenstandes auf.
Die Beiträge von Melanie Pichler und Markus Wissen sowie von Achim Brunnengräber betrachten den Mobilitätssektor als ein zentrales Handlungsfeld, in der Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation. Insbesondere Pichler und Wissen stellen dabei wichtige Überlegungen zu einer Formulierung einer Industriellen Politischen Ökologie an und beziehen dabei auch Fragen nach betrieblicher Herrschaft, Arbeitsproduktivität und Rationalisierung/Technologisierung ein. Der Beitrag von Oliver Pye kritisiert am Beispiel der südostasiatischen Palmölproduktion die Vernachlässigung von Arbeit und Arbeitsverhältnissen in der Politischen Ökologie, indem er Arbeit als Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur theoretisiert.
Der dritte Teil des Handbuches gibt einen Überblick über das reiche begriffliche Instrumentarium der Politischen Ökologie. Besonders hervorzuheben sind die Ausführungen von Uta von Winterfeld zu „Herrschaft und Macht“, der Artikel von Anne Tittor zu „Inwertsetzung, Kommodifizierung und Finanzialisierung“, der konzeptionell an Elma Altvater und Birgit Mahnkopf anknüpft, und der Beitrag von Maria Backhouse zur „Ursprünglichen Akkumulation und Subsistenz“, im Rahmen dessen sie das Marxsche Theorem der ursprünglichen Akkumulation (bzw. weiterentwickelt zum Konzept der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation) als flexibles Analysekonzept verhandelt.
Der vierte und letzte Abschnitt des Handbuches widmet sich Methoden und Arbeitsweisen der Politischen Ökologie. U.a. werden dabei methodische Voraussetzungen und Grundsätze diskutiert im Zusammenhang mit der Aktionsforschung (Severin Halder), der Diskursanalyse (Annika Mattisek), der historisch-materialistischen Policy-Analyse (Valerie Lenikus, Ulrich Brand, Mathias Krams, Etienne Schneider) und der Sozialen Kartographie (Martina Neuburger). In Erweiterung dieser Liste wäre beispielsweise gewinnbringend die Frage nach Transnationalität im Hinblick auf Fallkonstruktionen vertieft aufzugreifen.
In der Gesamtbetrachtung stellt das Handbuch einen Querschnitt durch die Politische Ökologie dar. Es lässt kaum ein Thema unberücksichtigt. Zwar ergeben sich in einzelnen Beiträgen unvermeidbare Redundanzen hinsichtlich zentral rezipierter Konzepte, dennoch bietet der Sammelband insbesondere für Einsteiger*innen in die Thematik einen umfassenden Überblick über die mannigfaltigen Themenfelder, Kritikpunkte und Debatten der Politischen Ökologie. Ein Glossar mit Schlüsselkonzepten und -begriffen könnte demgegenüber helfen, zu verstehen, inwiefern bestimmte Theorien etc. in unterschiedlichen Kontexten zur Anwendung kommen, wodurch auch ihre Sonderstellung innerhalb des Felders klarer benannt und zukünftig weiter herausgearbeitet werden könnte. In jedem Fall stellt das Handbuch eine Schlüsselreferenz rund um Fragen gesellschaftlicher Verhältnisse zur Natur dar, die in den kommenden Jahren hoffentlich in weiteren Auflagen stetig fortgeführt wird.
Dr. Janina Puder arbeitet am Fachgebiet Internationale Beziehungen mit dem Schwerpunkt Lateinamerika an der Universität Kassel.
Email: janina.puder@uni-kassel.de