Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Technological Fix 

Mit der kritischen Rede vom technological fix (auch: technical fix, techno-fix) wird in Zweifel gestellt, dass sich soziale und ökologische Probleme primär mit technischen Mitteln lösen lassen. In diesem Beitrag wird der Begriff des technological fix rekonstruiert und die damit implizierten Unterscheidungen von Technik, Natur und Gesellschaft problematisiert. Im Anschluss daran wird ein soziologisches Verständnis von Technik expliziert, das Technik nicht in ein Oppositionsverhältnis zu Natur oder Gesellschaft setzt.

Einleitung

Die sozialen und ökologischen Probleme der Gegenwart fordern Individuen und Gesellschaften zur Suche nach Lösungen auf. Doch welche Wege sind angemessen, um Nachhaltigkeitsziele angesichts der drohenden Klimakatastrophe zu erreichen? Müssen sich individuelle Alltagsroutinen ändern (z.B. Reduktion von Fleischkonsum, zu Konsum Jaeger-Erben auf diesem Blog, im Erscheinen), sind zähe politische Aushandlungen erforderlich (die dann z.B. zur höheren Besteuerung tierischer Produkte führen) oder sind technische Lösungen denkbar, die auch dann realisiert werden können, wenn sich die Routinen des Alltags nicht schnell genug ändern lassen und das Ringen um politischen Konsens misslingt (z.B. In-vitro-Fleisch). In dieser gesellschaftlichen Diskussion um die ‚richtigen‘ Lösungen spielt der Begriff des technological fix eine Schlüsselrolle.

Affirmativer Gebrauch des Begriffs

Beim technological fix geht es um die die technologische ‚Reparatur‘ sozialer bzw. ökologischer Probleme. Folgt man der Geschichte des Begriffs, wird ersichtlich, dass sein abwertender Gebrauch seit Jahrzehnten dominant ist. Gleichwohl begann der Begriff seine Karriere als positiv konnotiertes Konzept rationaler Problemlösung. Alvin Weinberg, der von 1955 bis 1973 als Direktor des Oak Ridge National Laboratory fungierte, prägte den Begriff in seinem Buch „Reflections on Big Science“ (Weinberg 1967). Weinberg charakterisiert einen technological fix darin in folgenreicher Weise als Transformation eines sozialen Problems in ein technologisches. Sobald diese Umformung erfolgt ist, werden nur noch diejenigen Faktoren berücksichtigt, die im Sinne der technologischen Modellierung relevant sind.

Der entscheidende Vorteil dieses Vorgehens ist die gezielte Komplexitätsreduktion. Unlösbar erscheinende Komplexität wird auf ein handhabbares Maß reduziert und so bearbeitbar gemacht. Dies erlaubt die Konzentration auf spezifische Ursache-Wirkungs-Ketten. Einmal technologisch gerahmt, sind Probleme wesentlich einfacher zu definieren, was wiederum auch den Lösungsraum einschränkt, da im Zuge der technologischen Redefinition des Problems dann nur noch bestimmte technische Mittel infrage kommen, um das Problem zu lösen. Damit wird Kontingenz zugleich eingeschränkt und gesteigert: Denn wenn Probleme instrumentell gerahmt werden, erscheint der technological fix prinzipiell immer als eine mögliche Option, zu der man (neben anderen, ggf. komplizierteren) greifen kann. Entscheidungsträger können sich ggf. immer noch gegen den fix entscheiden. Aber auch dies ist eine Entscheidung – und zwar eine, die dann im Lichte einer breiteren Auswahl an Alternativen getroffen wird. Selbst wenn also der technological fix im Zuge von Entscheidungsprozessen nicht als der beste Pfad zur Problemlösung erscheint, kann er immer noch als attraktive Maßnahme infrage kommen, etwa weil er einfacher, billiger oder schneller umsetzbar wirkt. Der Begriff kann sich auf den Einsatz einfacher Artefakte (Masken zur Abmilderung der Auswirkung von Smog), digitaler Methoden (Algorithmen zur Verteilung von Sozialdienstleistungen) oder auch großtechnischer Lösungen (Geoengineering) beziehen.

Die technische Lösung kann als Reparaturmaßnahme behandelt werden, die zwar nicht optimal ist, aber eine Temporalisierung von Problemstellungen erlaubt: man gewinnt Zeit im Umgang mit wicked problems bis schwierigere oder teurere Maßnahmen realisierbar sind (Scott 2011: 209). Man muss Probleme nicht im Detail verstanden haben, um sie technologisch anzugehen. Das Risiko (hierzu Barth auf diesem Blog), das man damit eingeht, ist das Risiko des unerkannten Nichtwissens, das Risiko also, entscheidende Aspekte bei der Implementierung der fixes zu übersehen, die später im Sinne nicht-intendierter Nebenfolgen oder nicht-adressierter Probleme, die im Verborgen schlummerten, ans Tageslicht kommen (Wehling 2001). Beispiele dafür sind die möglichen Nebenfolgen von Fracking oder grüner Gentechnik.

Kritischer Gebrauch des Begriffs

Im Kontrast zum ursprünglich affirmativen Sprachgebrauch wird der Begriff danach nahezu ausschließlich kritisch verwendet. Technological fixes erscheinen in kritischer Lesart als kurzfristige Scheinlösungen, die eine nicht-nachhaltige Gesellschaft stabilisieren, da sie die ‚tieferliegenden‘ Ursachen sozial-ökologischer Probleme gar nicht antasten (Blühdorn et al. 2020). „So by the early 1970s, the technological fix was seen as partial, ineffective, unsuccessful, threatening; one-sided as opposed to holistic; mechanical as opposed to ecological” (Rosner 2004: 3). Die kritische Konnotation wird also dominant in einer Zeit, in der die unerwünschten Nebenfolgen technologischer Eingriffe zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit traten. Die Prominenz der nun kritisch verwendeten Rede vom technological fixmacht so unmittelbar auf eine widersprüchliches Strukturmoment technisierter Wissensgesellschaften aufmerksam, nämlich einem stetigen Anwachsen technologischer Welterschließung und Problemlösung und einer flankierenden Kritik an diesen technischen Zugriffen und Eingriffen. „The term technological fix is ubiquitous: it is found everywhere in commentaries on technology, whether its past, its present, or its future. Perhaps that is why the phrase is so hard to define. A literal rendering of the words would imply a fix produced by technology, but no one uses it that way. Instead, it has become a dismissive phrase” (Rosner 2004: 1).

So die Kritik eine konservative Lesart von Technik reproduziert, zeichnet sie sich durch eine Differenz von Technik und Natur aus (zu Natur /Umwelt auf diesem Blog, im Erscheinen). Die Natur kann so etwa als das Wilde, das Ungezähmte, das Authentische, das Gewachsene, das Unbeeinflusste, das Gegebene, das Organische, das Unverfügbare, das Spontane, das Romantische, das Geborene, das Wesenhafte oder das von Menschenhand Unberührte begriffen werden. Eine andere, eher progressiv konnotierte Variante der Kritik bedient sich der Unterscheidung von Technik und Gesellschaft. Dadurch wird Gesellschaft als Bereich begriffen, der durch menschliche Handlungen generiert wurde und durch solche beeinflusst ist. Technik erscheint dann als Sphäre, die zwar Wechselwirkungen mit der Gesellschaft hat, aber prinzipiell abgelöst von dieser existiert. Technik erscheint in beiden Lesarten als etwas, was die Eigenlogik von Natur und Gesellschaft nahezu zwingend verfehlen muss. Gerade aktuelle soziologische Theorien der Technik tendieren jedoch dazu, Technik, Natur und Gesellschaft wieder stärker zusammen zu denken (Passoth 2008), was einer einfachen Kritik am technological fix die Substanz entzieht und eine Rekalibrierung notwendig macht.

Soziologische Rekalibrierung

Will man technisierte und nicht-technisierte Phänomene unterscheiden, bietet sich ein Technikbegriff an, der nicht auf Artefakte beschränkt ist, sondern an der Operationsweise und Wirkung von Technik ansetzt. Für Ingo Schulz-Schaeffer gilt etwa all jenes als Technik, das „hinreichend zuverlässig und wiederholbar bestimmte erwünschte Effekte“ (Schulz-Schaeffer 2008: 445) generiert. Dies können eben nicht nur Artefakte, sondern z.B. auch stabile bürokratische Prozeduren oder körperliche Disziplinierungen leisten. Nur im Sinne einer idealtypischen Kontrastierung lassen sich Selbsttechniken (z.B. Judotechniken), Sozialtechniken (z.B. Managementtechniken) und Sachtechniken (Fertigungstechniken) anhand des Substrats, in dem sie stattfinden, unterscheiden. Letztlich greifen körperliche und mentale Disziplinierungen, soziale Organisationsformen und dingliche Werkzeuge in Technisierungsprozessen ineinander und stehen miteinander in Austauschbeziehungen (Krohn 2006).

Diese Idee einer Kopplung verschiedener Elemente qua Technik findet sich in verschiedenen zeitgenössischen Techniktheorien. So bestimmt Werner Rammert Technik etwa durch die „Verknüpfung von sachlichen und nicht-sachlichen Elementen zu einem künstlichen Wirkungszusammenhang“ (Rammert 1989: 133) und in der Akteur-Netzwerk-Theorie ist die Assoziation von Dingen und Menschen die zentrale Prämisse der theoretischen Argumentation (Latour 2006). Bei Luhmann tritt die Differenz von strikter und loser Kopplung an die Stelle der Unterscheidung von Technik und Natur. Der Begriff der losen Kopplung ersetzt dabei den Naturbegriff. Technisierung findet in lose gekoppelten Medien statt, gleich ob diese artefaktual, biologisch, psychisch oder sozial konstituiert sind, und richtet darinund über diese Medien hinausgehend strikte Kopplungen ein. Technisierung gelingt, indem man bestimmte Elemente fest miteinander koppelt und dabei wiederum ihre Verbindungen zu anderen Elementen lockert. Technik kann dann als „funktionierende Simplifikation“ (Luhmann 1997: 524) begriffen werden, die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge stabilisiert und diese von äußeren Störungsquellen weitgehend abschirmt (vgl. auch Halfmann 2003). „Das Funktionieren kann man feststellen, wenn es gelingt, die ausgeklammerte Welt von Einwirkungen auf das bezweckte Resultat abzuhalten. Die maßgebende Unterscheidung, die die Form ‚Technik‘ bestimmt, ist nun die zwischen kontrollierbaren und unkontrollierbaren Sachverhalten“ (Luhmann: 524 f.). Kontrolle kann gelingen oder misslingen und nach einer Weile kann die technisch ausgeklammerte Welt sich wieder bemerkbar machen. So kann man z.B. darauf hoffen, dass der Einbau von Luftfiltern in geschlossenen Räumen die Ausbreitung einer Pandemie lokal abbremst – doch schreitet die Verbreitung des Virus ansonsten weiter fort und auch die gesellschaftlichen Konflikte zur Pandemie bleiben bestehen. Das spricht gleichwohl nicht gegen die technische Lösung, zeigt aber, dass sie allein nicht hinreichend ist.

Zum Weiterdenken

Statt Technik gegen Gesellschaft oder Natur auszuspielen, kann eine soziologisch informierte Kritik

  • die Grenzen der Kontrollierbarkeit und das Gelingen von Simplifikationen hinterfragen,
  • (auch: mit, über und durch Technik) andere Medien der technischen Realisierung und Relationierung ins Spiel bringen,
  • die Kopplungen zwischen gesellschaftlichen Großproblemen und ihrer technischen Bearbeitung zu entzerren versuchen
  • und auf Alternativen aufmerksam machen, die sich dem technologischen Blick entziehen.

Weitere Literatur

Huesemann, M./Huesemann, J. (2011): Techno-fix. Why technology won’t save us or the environment. Gabriola, B.C: New Society Publishers.

Nachtwey, O./Seidl, O. (2017): Die Ethik der Solution und der Geist des digitalen Kapitalismus. In: IfS Working Papers (11). Online: https://www.ifs.uni-frankfurt.de/publikationsdetails/ifs-oliver-nachtwey-und-timo-seidl-die-ethik-der-solution-und-der-geist-des-digitalen-kapitalismus.html [Zugriff 16.08.2024]

 

Blühdorn, I./Butzlaff, F./Deflorian, M./Hausknost, D./Mock, M. (2020): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. Bielefeld: transcript.

Halfmann, J. (2003): Technik als Medium. Von der anthropologischen zur soziologischen Grundlegung. In: Fischer, J./Joas, H. [Hrsg.]: Kunst, Macht und Institution. Studien zur philosophischen Anthropologie, soziologischen Theorie und Kultursoziologie der Moderne. Festschrift für Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt am Main: Campus Verlag, S. 133-144.

Krohn, W. (2006): Eine Einführung in die Soziologie der Technik. Online: https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/soziologie/fakultaet/personen/emeriti/krohn/pdf/techniksoziologie.pdf
[Zugriff: 16.07.2024]

Latour, B. (2006): Über technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie und Genealogie. In: Belliger, Andréa/Krieger, David J. [Hrsg.]: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript, S. 483-528.

Luhmann, N. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Passoth, J.H. (2008): Technik und Gesellschaft. Zur Entwicklung sozialwissenschaftlicher Techniktheorien von der frühen Moderne bis zur Gegenwart. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Rammert, W. (1989): Technisierung und Medien in Sozialsystemen. Annäherungen an eine soziologische Theorie der Technik. In: Weingart, P. [Hrsg.]: Technik als sozialer Prozeß. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 795), S. 128-173.

Rosner, L. (2004): Introduction. In: Rosner, L. [Hrsg.]: The Technological fix. New York: Routledge (Hagley perspectives on business and culture, S. 1-9.

Schulz-Schaeffer, I. (2008): Technik. In: Baur, N. [Hrsg.]: Handbuch Soziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 445-463.

Scott, D. (2011): The Technological Fix Criticisms and the Agricultural Biotechnology Debate. In: J Agric Environ Ethics 24. Jg., Heft 3, S. 207-226.

Wehling, P. (2001): Jenseits des Wissens? Wissenschaftliches Nichtwissen aus soziologischer Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie 30. Jg., Heft 6, S. 465-484.

Weinberg, A. M. (1967): Reflections on big science. Cambridge, Mass.: MIT Press.


Sascha Dickel ist seit 2021 Universitätsprofessor für Mediensoziologie und Gesellschaftstheorie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Arbeitsgebiete sind digitale Kommunikation, Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie gesellschaftliche Zukunftsdiskurse. 2017-2021 war er in Mainz als Juniorprofessor für Mediensoziologie. Zuvor war es als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter anderem am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung Berlin und an der TU München tätig. Seine Promotion in Soziologie erfolgte an der Universität Bielefeld. Er hat Politikwissenschaft und Soziologie in Marburg und Frankfurt am Main studiert.

Email: dickel@uni-mainz.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-6073