Rezension zum Buch "Kultur in der Klimakrise"

Rivera, M. (2023): Kultur in der Klimakrise. Acht Vorträge zum Verhältnis von Sprache, Kunst und Nachhaltiger Entwicklung. München: oekom, 156 S., 20 EUR. ISBN: 978-3-98726-018-6

Der Titel des Vortragbandes von Manuel Rivera strotzt vor Begriffen, die bereits vor Beginn der Lektüre erahnen lassen, dass der Autor sich mit durchaus großen Themen und Fragen auseinandersetzt, ohne diese auf eine Schlagzeile zu reduzieren: Kultur, Klimakrise, Sprache, Kunst und Nachhaltige Entwicklung gilt es in ihren Verhältnissen zueinander zu beleuchten und zu diskutieren. In dieser Weise reiht sich der Band einerseits in eine in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum verstärkt zu beobachtende sozialwissenschaftliche Publikationstätigkeit zum Thema Nachhaltigkeit und Nachhaltige Entwicklung ein (s. hierzu u.a. Brand 1997, 2002; Grunwald 2016; Neckel et al. 2018; SONA 2021, Henkel et al. 2023). Andererseits fokussiert er einen Bereich, der von der soziologischen und sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung bislang weniger ins Zentrum gerückt wurde: den Bereich der Kunst und weitergefasst der Kultur, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Theater bzw. den darstellenden Künsten liegt. Dieser Schwerpunkt plausibilisiert in reflexiver und gewissermaßen auch performativer Hinsicht eine weitere Besonderheit des Bandes, die ich vor der inhaltlichen Besprechung der einzelnen Aufsätze hervorheben möchte. Der Band ist als Vortragsband verfasst, der acht Beitrage im Stil von Manuskripten versammelt, um unter anderem die im Buchtitel angeführten Begriffe in essayistischer Weise zu verhandeln. Diese, den Texten eingeschriebene bzw. in keiner Weise ausgetriebene Mündlichkeit verleiht den Beiträgen gleichsam den Charakter einer Aufführung. Nicht selten gewinnt die Leserin im Vollzug des Lesens den Eindruck, sie säße im Publikum und wohne der Szenerie in actu bei. Dieser Eindruck wird spätestens dann irritiert, wenn der Autor in seinen Beiträgen auf Folien oder Bilder zu sprechen kommt, die nicht abgedruckt sind, sodass die eben noch dem Vortrag lauschende Zuhörerin wieder auf die Rolle einer Leserin textueller Beiträge zurückgeworfen wird, von deren vollständiger visueller Begleitung sie ausgeschlossen bleibt. 

Der Band beginnt mit einem wertschätzenden Vorwort von Ortwin Renn, der die Klammer aller Beitrage in ihrem Bezug auf „Zukunft“ hervorhebt und in treffender Weise über die vielfältigen und verstrickten Verhältnisse von Wissenschaft und Kunst mit Blick auf ihre Rollen in einer sich mit Nachhaltigkeit befassenden Gesellschaft referiert. Dabei wird auch der Autor, Manuel Rivera, in seiner Qualifikation als Schauspieler und Soziologe und damit als „Grenzgänger“ (S. 8) zwischen beiden Sphären vorgestellt und auf dessen Tätigkeit am Research Institute for Sustaninability (RIFS), zuvor das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) verwiesen. Eingeleitet wird der Band mit einer Problematisierung des Kulturbegriffs und damit des ersten Begriffs des Buchtitels: Kultur wird einerseits in ihrer sozialanthropologischen bzw. sozialtheoretischen Dimension und andererseits in ihrer Sektoralität und Funktionalität in modernen ausdifferenzierten Gesellschaften (Stichwort „Kultursektor“) konturiert. Das Selbstverständnis der Beiträge wird in der Weise formuliert, dass sie „versuchen zu dieser Bewegung [bzw. gesellschaftlichen Verstehensbewegung, d. V.] insofern etwas Eigenes beizutragen, als sie praktische Überlegungen mit Grundbegriffen (und -werten) der Nachhaltigkeit vermitteln“ (S. 13). Die Beiträge basieren nicht zuletzt auf „diskurs- oder narrativanalytische[n]“ (S. 14) Forschungen, die am IASS mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit bzw. Nachhaltige Entwicklung durchgeführt wurden. Gleich zu Beginn wird am Beispiel aktivistischer Bewegungen und deren Strategien, auf gegenwärtige und zukünftige Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam zu machen, ein ambivalentes und spannungsreiches Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft, künstlerischen „Variationen von Normen und Normalität“ bei gleichzeitig verhaltener Reaktion „aus dem Bereich der Kunst“ (S. 14) sowie Soziologie in ihren diskursiven, einhegenden und normalisierenden Positionen identifiziert. 

Der erste Beitrag, der auf einem Vortrag anlässlich einer Tagung mit dem Titel „Zeitgeschichte der Nachhaltigkeit“ am Institut für Zeitgeschichte basiert, widmet sich „Erzähl- und Wertstrukturen des Diskurses um Nachhaltige Entwicklung“ und wählt einen historischen und sozialpsychologischen Zugang. In den Fokus gerückt werden zunächst semantische Beobachtungen der Verwendung des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung (S. 25), wobei auch visuelle Daten in die Analyse einbezogen werden. Mit der Methode der kurz in ihren Annahmen vorgestellten Narrationsanalyse wird herausgearbeitet, dass der Begriff Anfang der siebziger Jahre im Bericht des Club of Rome primär mit „Stabilität bzw. Sicherheit“ (S. 34) in Verbindung gebracht wurde und mit der Zeit zunehmend mit „Resilienz“ und „Innovation“ (S. 34) in Beziehung gesetzt worden ist. Mit der Identifikation von Metanarrativen, etwa dem des Fortschritts (S. 37) wird dann auch auf die Wertstrukturen des identifizierten Diskurses eingegangen, indem Manuel Rivera „drei Grundwerte Nachhaltiger Entwicklung“ vorstellt: „Stabilität, Innovation und Gerechtigkeit“ (S. 38), wobei diese im Folgenden weitergehend konzeptionell eingeordnet und kritisch diskutiert werden. 

Der zweite Essay, der auf einen Vortrag im Kontext eines Arbeitstreffens eines Tanznetzwerks (Kedja) (S. 17) zurückgeht, schließt in gewisser Weise an den ersten Text an, indem er unter dem Titel „Nachhaltigkeit und Resilienz: Metaphern zur Anleitung künstlerischer Praxis?“ mit durchaus kritischem Impetus die potenziell „sowohl kulturkonservative[n] als auch marktkonforme[n]“ (S. 17) Verwendung eines Nachhaltigkeitsbegriffs problematisiert, den sich der Kulturbetrieb in Teilen angeeignet hat. Als empirisches Material der Analyse dient ein Bericht, der von Tanzkompanien verfasst wurde. Rivera arbeitet anhand des Dokuments heraus, wie durch Bezugnahmen u.a. auf Innovation der Begriff der Nachhaltigen Entwicklung auf „ein rhetorisches Ornament“ (S. 47) verkürzt wird. Dem entgegen stellt er den Begriff der Resilienz in Verbindung mit Gerechtigkeit als zu berücksichtigende Werte. In seinen durchaus anwendungsorientierten Bestrebungen begibt sich der Beitrag nicht zuletzt selbst auf metaphorisches und zugleich idealistisches Terrain, wenn es heißt: „Die Aufgabe der Kunst heute, auf einem brennenden Planeten, den sie auch nicht verlassen kann, ist es, beim Löschen zu helfen. Oder auch: das Haus mit zu sanieren, mit dafür zu sorgen, dass es ein Haus bleibt statt nur eine Notunterkunft“ (S. 50). 

Mit dem Titel „,Nachhaltiges Wachstum‘: Politikkonzept oder Sprachblockade“ öffnet sich die Auseinandersetzung mit Nachhaltiger Entwicklung sodann auch dem Feld der Politik und dessen Verwendung des Begriffs sowie deren Berufung auf Nachhaltigkeit. Am Fall von Aussagen, wie sie von Politiker:innen getätigt werden, wird hier besonders das Beharren auf Wachstums- und Expansionskonzepten problematisiert und das „Reden von ‚nachhaltigem Wachstum‘“ als „leerformelhaft“ (S. 82) entlarvt. Der Kritik folgt im anschließenden Beitrag zu „Urbanität, Kreativität und Selbstbegrenzung“ in gewisser Weise ein Gegenkonzept, indem nicht länger Wachstum, sondern Einhegung bzw. Begrenzung Vorrang zugewiesen wird. Gefragt wird in diesem Zusammenhang besonders danach, welche Beiträge Künstler:innen sowie Institutionen im Kunstbereich für eine, ihrem Selbstverständnis nach nachhaltige Stadtentwicklung leisten können. Urbanität bzw. das städtische Leben als solches werden unter Einbezug soziologischer Klassiker wie u.a. die Schriften Georg Simmels weitergehend kontextualisiert und im Hinblick auf einen städtischen Habitus, – etwas allgemeiner formuliert – ungleiche Verteilungen von Maßnahmen und deren Folgen sowie weitergefasst Teilhabe an transformativen Prozessen beleuchtet. 

Im fünften Beitrag mit dem Titel „Die Klimakrise als Komplexitätsproblem und Kooperationsauftrag. Warum Wissenschaften und Künste einander brauchen“ wird explizit das Verhältnis zwischen Wissenschaften und Künsten reflektiert. Während Wissenschaft in der Bereitstellung von informativen Abstraktionen und Generalisierungen Relevanz zugewiesen bekommt, wird in künstlerischen Vorgehens- und Darstellungsweisen das Potenzial „der Mobilisierung von Erfahrungen“ (S. 110) durch Konkretionen, Ästhetisierungen und ethischen Positionierungen profiliert. Dabei wird auch auf das Spannungsfeld zwischen globalen Entwicklungen und lokalen Erfahrungsräumen hingewiesen und wie Wissenschaften und Künste in unterschiedlicher Weise mit diesem umgehen. Ihre konkrete Weiterführung findet unter anderem diese Diskussion im sechsten Essay zum Thema „Nachhaltig programmieren durch, mit und in Musik. Einige Anregungen zur Systematik“. Hier widmet sich Manuel Rivera u.a. der Frage, wie „Künste in Bezug auf Nachhaltigkeit wirken können“ (S. 119). Hierbei geht es auch um das Zusammenspiel von Diskursen und künstlerischen Formfindungen einschließlich produktiver und konstruktiver Irritationspotentiale. 

Auch der siebte Beitrag „Nachhaltigkeit vergegenwärtigen: Klimakrise als (Bühnen-)Vorgang“ schließt an Fragen nach Kooperationen an, indem er aktivistische und institutionelle Möglichkeiten zwischen Politik und darstellender Kunst auslotet. Der achte und letzte Beitrag weist gleichsam Appellcharakter auf: Der Essay „Endlich nachhaltig: Kultur(betriebs)‑ wandel 50 Jahre nach den ,Grenzen des Wachstums‘ fordert noch einmal zur Kooperation zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen mit Blick auf Nachhaltige Entwicklung sowie zur Entschleunigung und zum Innehalten einer auf Wachstum getrimmten Kultur und Gesellschaft auf, wobei Kultur – wie eingangs beschrieben – hier sowohl als sozialtheoretischer Grundbegriff als auch in ihrer Betriebslogik relevant gemacht wird. 

Der Essayband von Manuel Rivera liefert vielfältige Einblicke in einen als lebhaft dargestellten Diskurs, der viele Ebenen, Akteure, Relationen und Dimensionen umfasst, die in assoziativer und exemplarischer, aber auch analytischer und systematisierender Weise diskutiert, kritisiert und präsentiert werden. Die Beiträge changieren in ihrer Tonalität zwischen wissenschaftlicher Analyse und Einblicken in das Feld der Kunst und den Kulturbetrieb, wobei sie sowohl von akademischer Strenge befreit als auch vor ästhetischer Überfrachtung bewahrt werden. In ihrer zum Teil kritischen Diskussion wird die mitgeführte Normativität des Leitbilds der Nachhaltigen Entwicklung nicht auf einen Gegenstand des Diskurses reduziert, sondern in nahezu performativer Weise transportiert, sodass der Spagat zwischen Distanznahme zum und zugleich Engagement im Diskurs gelingt. Die in den Beiträgen stehengelassene Bezugnahme auf vorausgegangene Vorträge im Rahmen der jeweiligen Vortragsveranstaltungen, die den Leser:innen unzugänglich bleiben sowie das Verweisen auf Folien, die im Buch jedoch nicht gezeigt werden und somit in ihren visuellen und strukturierenden Potenzialen opak bis unsichtbar bleiben, wirkt etwas unentschlossen. Hier wäre eine weitere Ausarbeitung der Vortragsskripte zu verdichteten Essays wünschenswert gewesen, oder aber das konsequente Zeigen der Folien und bildlichen Daten, um deren Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Was mit Blick auf die quasi-mündliche Form der Texte eindeutig überzeugt, ist, dass der Autor in seinen Beiträgen in eloquenter Weise einlöst, was er selbst fordert: Eine kooperative Bezugnahme auf und zwischen Wissenschaft und Kunst mit Blick auf ein global wirksames und lokal unterschiedlich wahrnehmbares Phänomen, das als Krise gedeutet und um dessen Versprachlichung gerungen wird. 

Brand, K.-W. (Hg.) (1997): Nachhaltige Entwicklung. Eine Herausforderung an die Soziologie. Opladen: Leske + Budrich. 

Brand, K.-W. (2002): Politik der Nachhaltigkeit: Voraussetzungen, Probleme, Chancen – Eine kritische Diskussion. Berlin: Edition Sigma. 

Grunwald, A. (2016): Nachhaltigkeit verstehen. Arbeiten an der Bedeutung nachhaltiger Entwicklung. München: oekom 

Henkel, A./Berg, S./Bergmann, M./Gruber, H./Karafyllis, N. C./Dimitri, M./Müller, A.-K./Siebenhüner, B./Speck, K./Zorn, D.-P. (2023): Dilemmata der Nachhaltigkeit. Baden Baden: Nomos. 

Neckel, S./Basedovsky, N./Boddenberg, M./ Hasenfratz, M./Pritz, S. M./, Wiegand, T. (Hg.) (2018): Die Gesellschaft der Nachhaltigkeit. Umrisse eines Forschungsprogramms. Bielefeld: transcript. 

SONA – Netzwerk Soziologie der Nachhaltigkeit (Hg.) (2021): Soziologie der Nachhaltigkeit. Bielefeld: transcript.


Christiane Schürkmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Umweltsoziologie und Kunstsoziologie. Aktuell leitet sie das DFG-Projekt Untergründe der Entsorgung. 

schuerkm@uni-mainz.de 

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2023-5184