Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Zukunft

Dass die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft durch den Nachhaltigkeitsbegriff problematisiert wird, führt soziologisch zu den Fragen, wie die (Vorstellung von) Zukunft auf die Gegenwart einwirkt und Zukunft überhaupt soziologisch beobachtet werden kann. ‚Nachhaltige Zukunft‘ lässt sich soziologisch als Konfliktfeld beobachten, in dem Akteur*innen gegenwärtig Praktiken der Kapital-, Macht- und Wissensakkumulation nutzen, um ihre Sichtweisen, Interessen und präferierten Lebensmodelle durchzusetzen.

Wie wollen und können wir in Zukunft leben?

Im Lichte der Vielfältigkeit gegenwärtiger Krisenerscheinungen scheint es so, als steuere die spätmoderne Gesellschaft auf ein neues Zeitalter von ungeahnten Katastrophen zu. Einige Zeitgenoss*innen gehen gar so weit, die Zukunft der Menschheit im Stile dystopischer Science-Fiction-Filme nicht mehr auf der Erde, sondern im Weltall bzw. auf dem Mars zu sehen und mobilisieren enormes Kapital, um dies möglich zu machen. Klassische Zukunftsfragen und Erwartungen der Moderne (Wie wollen wir in Zukunft leben? oder Unsere Kinder werden es einmal besser haben als wir), werden offensichtlich immer stärker von der Frage überformt: Können kommende Generationen in Zukunft überhaupt noch (gut) auf der Erde leben? Die ökologischen Grenzen und Kosten der Wohlstandsproduktion des Industriezeitalters sind kurzum nicht nur mit einer Vielzahl ökonomischer und sozialer Implikationen verbunden, sondern strukturieren als sorgenvoller und warnender Blick auch die Zukunftsvorstellungen unserer Zeit. Man könnte sagen, die planetaren Grenzen manifestieren sich nicht länger nur materiell, sondern auch in der Zeitdimension als soziale Antizipationen von Zukunft. Diese Grenzen sind dabei jedoch keinesfalls homogen strukturiert; etwa entlang des Dualismus Mars oder klimainduzierter Untergang? Sie differenzieren sich vielmehr entlang der Pluralität sozialer Systeme, Lagen und Erfahrungswelten aus und sind dabei je nach Machtpotenzial der sie produzierenden (kollektiven) Akteure auch in sehr unterschiedlichem Maße durchsetzungsfähig. Eine umfassende soziologische Perspektive auf Nachhaltigkeit muss deshalb sensibel für diese differenzierten und machtgeladenen Zukunftsvorstellungen sein.

Zukunft und Nachhaltigkeit

Spätestens seit Ende der 1980er Jahre steht eine nachhaltige Zukunftsgesellschaft, die ihre Bedürfnisse an der Vereinbarkeit mit jenen Bedürfnissen künftiger Generationen messen muss auf der politischen Agenda der Weltgemeinschaft [1]. Nachhaltigkeit ist seither zu einem weithin anerkannten normativen Leitbild avanciert, „in dem unsere Sorge um die Zukunft zum Ausdruck kommt“ (Klauer et al. 2013: 19). Implizit und explizit ist der Nachhaltigkeitsdiskurs mit vielfältigen und einander konfligierenden Zukunftsvorstellungen angefüllt (für eine Übersicht siehe auch Delanty 2020): von naturwissenschaftlichen Szenarien über mögliche klimatische Entwicklungen und sozialwissenschaftlichen Reflexionen damit einhergehender Lebensbedingungen; über utopische Ideale einer in ökologischer Harmonie lebenden Postwachstumsgesellschaft; der dystopischen Selbstbeschreibung von Protestbewegungen als ‚Letzte Generation‘; bis hin zu politischen Zielvorstellungen, die in den Sustainable Development Goals (SDGs) Nachhaltigkeit mit Entwicklungsoptimismus paaren. Der Klimawandel und andere sozial-ökologische Krisen entfalten ihre gegenwärtige Relevanz gerade mit Bezug auf die Antizipation von Zukunft. Im Nachhaltigkeitsdiskurs wird dabei auf verschiedene Imaginationen von Zukunft zurückgegriffen, die handlungsinstruktiv eingesetzt und verstanden werden. Der soziologische Diskurs zur Nachhaltigkeit untersucht diese vielfältigen Vorstellungen von zukünftiger Nachhaltigkeit und fragt, wie sich Zukunft dabei überhaupt erforschen lässt.

Soziologische Perspektiven auf Zukunft und Nachhaltigkeit

  1. Soziologische Grundperspektiven auf ‚Zukunft‘

Die Soziologie kann keine Antwort auf die Frage geben, was die Zukunft ist oder wie sie sein wird. Im Selbstverständnis einer Erfahrungswissenschaft greift die Soziologie nicht auf den Zeitpunkt ‚Zukunft‘ zu, sondern auf die schon gegenwärtig verfügbaren Bilder, Semantiken, Visualisierungsmöglichkeiten und Vorstellungen von Zukunft.

a) Die sozialen Bedingungen der Entstehung von Zukunftsimaginationen: Eine grundlegende Erkenntnis aus Sicht der Soziologie ist, dass der Blick auf die Zukunft von gesellschaftlichen Bedingungen abhängt. Wir wissen heute, dass unser Verständnis von Zukunft als ungewiss (obgleich nicht zwingend ‚unsicher‘) historisch erst ‚entdeckt‘ wurde (Hölscher 1999). Die systemtheoretische Wissenssoziologie zeigt dabei nicht nur, dass die vorherrschenden gesellschaftlichen Zeitkonzeptionen [2] abhängig von der Gesellschaftsstruktur variieren, sondern auch, dass sie als Lösungen bestimmter Probleme dieser Gesellschaftsformen gesehen werden können (Rammstedt 1975). Innerhalb gesellschaftlich dominanter Zeitwahrnehmung gibt es dabei stets auch konträr hierzu stehende Varianten; etwa die Vorstellung eines sich zyklisch regenerierenden Waldes trotz linear fortschreitender Kalenderzeit.

Von dieser Prämisse ausgehend interessiert die (Wissens-)Soziologie gerade nicht die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen einer Zukunftsvorstellung; stattdessen erforscht sie die sozialen Bedingungen ihrer Äußerung und den damit variierenden sozialen Umgang mit unsicheren oder ‚riskanten‘ Zukünften (Beck 2017). Historisch entstanden sehr unterschiedliche Ordnungen des Zukunftswissens, die verschiedene zukunftsbezogene Denkfiguren beinhalten; wie etwa religiöse Heilserwartungen und Prophezeiungen, rationale Prognosen, Planung und Utopien, sowie künstlerische und kulturindustrielle Artefakte nach dem Muster dystopischer Hollywoodfilme, aber auch architektonische Entwürfe wie „grüne Großstädte“ (Willer/Bühlen 2016). Setzt man das Nichtwissen über die Zukunft als Problem, lässt sich fragen, welche unterschiedlichen Qualitäten diese Denkfiguren aufweisen.

Konsequenterweise birgt die Rede von ‚der Zukunft‘ im Singular soziologisch stets die Frage, wessen Zukunft (welcher historischen und sozialen Rollen, Gruppen, Milieus und Bedingungen) damit eigentlich gemeint ist; erst im Plural gedacht lässt sich die gegenwärtige Zukunft, als milieu-, kultur- oder systemspezifischer Zugriff auf stets noch offene Zukunft soziologisch reflektieren (inklusive all der daraus entstehenden Konflikte). Denn wie sich schon gegenwärtig die Zukunft (oder auch Vergangenheit) für Akteur*innen äußert, hängt ab von deren „Lebensalter, Mentalität und sozialer Lage“ (Neckel 1988: 467) sowie den gesellschaftlichen Positionen und Rollen, die sie einnehmen. Klimawissenschaftler*innen sehen die Zukunft allein aufgrund ihrer sozialen Position und Rolle anders als ein CEO eines großen Tech-Konzerns.

b) Soziale Konsequenzen von Zukunftsvorstellungen: Gleichwohl wissen wir, dass auch andersherum Zukunftsimaginationen trotz der Ungewissheit ihres Eintretens Einfluss auf soziales und politisches Handeln haben. In den Fokus geraten dann nicht länger die Bedingungen, sondern eben soziale Konsequenzen von Zukunftsvorstellungen. Es ist, gemäß des Thomas Theorems [3] nicht der Wahrheitsgehalt eines (Zukunfts-)Wissens, der Handlungsweisen strukturiert und insofern für die Soziologie relevant ist, sondern schlichtweg, dass Akteure eine bestimmte Situations- und damit auch Zukunftsdeutung als real definieren. Die Art und Weise, wie über Zukunft nachgedacht wird (woran auch die Soziologie selbst teilnimmt) beeinflusst also gegenwärtige Praktiken (Schiller-Merkens 2022) und damit auch die Zukunft, z.B. in der Form einer selbsterfüllenden oder selbstzerstörerischen Prophezeiung [4]. Ebenso beeinflusst werden Praktiken und Identifikationen von Gruppen und Kollektiven. Ob am an einer drohenden Apokalypse orientierten Prepping (Nagel 2021) oder dem Optimismus des Wirtschaftsliberalismus (Beckert 2018: 439ff.): Wissenssoziologisch lässt sich zeigen, dass Zukunftsvorstellungen auf vielfältige Weise in das Alltagswissen eingeschrieben und mit spezifischen Formen des Handelns verbunden sind.

Es wird also nicht nur 1.) die konkrete Vorstellung der Zukunft gemäß gegenwärtiger gesellschaftlicher Strukturen beeinflusst; sondern auch 2.) in die andere Richtung beeinflusst die Vorstellung oder das Wissen (und Nicht-Wissen) von der Zukunft das jeweilige Handeln von Akteur*innen. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch kulturelle Erzählungen über die Zukunft als Fundus gesellschaftlicher Zukunftsvorstellungen, -hoffnungen und -ängste begreifen. Das CliFi-Genre [5] etwa kann so etwa als Hinweis auf vorhandene gesellschaftliche Zukunftsvorstellungen gelesen werden und erweist sich in diesem Sinne auch als sozialwissenschaftlich anschlussfähig, insofern derlei dystopische Katastrophenerzählungen „mit dem Anspruch auf[treten], etwas freizulegen, etwas aufzudecken, das unterhalb der Oberfläche der Gegenwart noch verborgen ist“ (Horn 2014: 25) – obwohl es sich hierbei natürlich ‚nur‘ um Fiktion handelt.

  1. Die soziologische Untersuchung nachhaltiger Zukünfte

Die enge Verwobenheit von Gesellschaftsstruktur und Zukunftsimaginationen, bzw. generell Zeitvorstellungen zeigt sich gerade dort, wo gesellschaftlich induzierte Umweltschäden im Sinne des planetaren Wohlbefindens überwunden werden sollen. Der Historiker Dipesh Chakrabarty (2009) etwa sieht deshalb auch einen Dreh- und Angelpunkt im kontemporären Nachhaltigkeitsdiskurs in der Ausweitung der Zeiträume, in denen menschliches Denken stattfindet. So erlaubt der Blick auf das Anthropozän [6] für Chakrabarty nicht nur die Überwindung des Mensch-Natur-Dualismus, sondern pocht auch auf ein Denken in besonders großen Zeiträumen, die im bisherigen Denken der Menschen ausgeblendet wurden. Wenn der Einfluss des Menschen auf den Planeten Erde eben auch in tausenden Jahren noch nachweisbar sein wird, wird es Zeit, das Handeln an breiteren Zeitskalen (der sog. deep time) auszurichten.

Darüber hinaus kann der soziologischen Beobachtung des Nachhaltigkeitsdiskurses etwa auffallen, dass der Zugriff auf zukünftige Gesellschafts- und Umweltverhältnisse im Nachhaltigkeitsdiskurs eine ähnliche Rationalität aufweist wie das moderne Risikobewusstsein, da beide das moderne Problem offener Zukunft adressieren. Das macht das Spannungsverhältnis von Nachhaltigkeit und Risikobewusstsein zu einem möglichen Untersuchungsobjekt, das den Konflikt von zyklischen und linearen Zeitwahrnehmungen in der Gesellschaft zum Thema hat (siehe hierzu Suttner 2023). Zugleich bemerkt die Soziologie, dass der antizipatorische Blick in die Zukunft auch die politische Gestaltung derselben und das soziale Handeln präformiert. Der Klimawandel lässt sich als eine „emanzipatorische Katastrophe“ (Beck 2017) deuten – also als eine Form der selbstzerstörenden Prophezeiung: Indem durch die Antizipation einer dystopischen Zukunft vielfältige soziale Dynamiken in Gang gesetzt werden (vom Wandel von Normen, über wissenschaftliche Konferenzen bis hin zu politischen Initiativen und veränderten Lebensstilentwürfen) soll ihr Eintreten verhindert werden. Da der Handlungsaufruf dieses Zukunftsszenarios stark ausgeprägt ist, stößt es auf Opposition, wo dieser Aufruf kritisch hinterfragt wird. Der politische Wertekonflikt verschiebt sich damit zu einem Konflikt von Zukunftsszenarien (s.u. zum Thema „Zukünfte der Nachhaltigkeit“).

Dies lässt sich am gegenwärtigen, bewegungsförmig organisierten Klima-Aktivismus und seinen Gegner*innen zeigen. Hier sieht man, dass die Rationalität der Protestpraxis gerade aus der Antizipation von dystopischen Zukünften entspringt, die in Gewissheit übersetzt werden müssen und Räume für alternative Strategien und neue Utopien eröffnet. Klimawissenschaftler*innen und Klimabewegungen (re)produzieren durch ihre Forschungspraxis bzw. ihren Aktivismus das Wissen einer nicht nur zukünftig, sondern bereits gegenwärtig und in der Vergangenheit verorteten Klimakatastrophe und Erwartungen über ein kommendes Massensterben und einem damit verbundenen „Zukunftsklau“ für kommende Generationen, wenn politisch nicht radikal umgesteuert werde (Wendt 2022) Klimawandelleugner*innen wiederum erkennen dieses Zukunftswissen nicht an, politisieren, u.a. die mit ihm verbundene Unsicherheit und naturalisieren die Zukunft des Klimasystems (‚das Klima hat sich immer gewandelt‘). Die enge Verflechtung von (konfliktbeladenen) Zukunftswissen und daraus abgeleiteter Unmittelbarkeit von Lösungsstrategien, macht Klimaproteste zu einer politisch höchst aufgeladenen Angelegenheit.

Wo Zukunftsvorstellungen und die Zukunft vermischt, bzw. als ein als ‚realer‘ und vorhersehbarer Moment (miss‑)verstanden werden und damit der Konstruktions-, Macht- und Konfliktgehalt aller Zukunftsvorstellungen verkannt wird, verweist die Soziologie auf die Vernachlässigung dieser Wechselverhältnisse und die Machtdimensionen, die mit der Anrufung verschiedener Zukünfte verbunden sind. In Bezug auf die Produktion sozial-ökologischer Utopien (also positive, erstrebenswerte Zukunftsvorstellungen), lässt sich etwa zeigen, dass wirtschaftliche und politische Machtzentren ihr ökonomisches und kulturelles Kapital dafür einsetzen, hegemoniale Vorstellungen einer nachhaltigen bzw. grünen Moderne zu produzieren, die (vor allem technische) Lösungsstrategien für die sozial-ökologische Krise anbieten und bewerben (Wendt 2018, Jochum 2020).

Im Nachhaltigkeitsdiskurs lassen sich idealtypisch jedoch mindestens drei verschiedene „Zukünfte der Nachhaltigkeit“ (Adloff et al. 2020) voneinander unterscheiden, die ihrerseits mit spezifischen Imaginationen, (Macht‑)Strukturen und (konfligierenden) Praktiken verbunden sind: 1.) Am weitesten verbreitet sind dabei Vorstellungen von einer Zukunft als Ökologisierung der kapitalistischen Marktwirtschaft. Klima- und Umweltkrisen sollen vor allem durch technische Mittel und marktbasierte Instrumente gelöst werden. Diese Wissensbestände stabilisieren als Rechtfertigungsordnungen das bestehende gesellschaftliche Ordnungsgefüge durch ökologische Innovationsversprechen. 2.) Auf der Grundlage einer immanenten Kritik dieser Versprechen im Lichte der Nicht-Erreichung von ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen produzieren Teile der sozial-ökologischen Bewegungen radikalere Transformationsutopien: „System Change, Not Climate Change‘. Dieses Zukunftswissen zielt häufig auf die Überwindung bestehender (etwa kapitalistischer, postkolonialer, patriarchaler) Macht- und Herrschaftsordnungen und alternative Formen von Gesellschaft, wie etwa eine Postwachstumsgesellschaft oder einen Grünen Sozialismus. 3.) Im Angesicht der Erwartung, dass es bereits zu spät sei, den planetaren Kollaps zu verhindern, zielen manche Forderungen von Klimawissenschaftler*innen auch auf (technokratische) Kontrollmöglichkeiten; von weitreichenden technischen Eingriffen wie Geo-Engineering bis hin zum Aufbau umfassender Katastrophenschutz-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen.

Über diese, von Adloff et al. vorgenommene Typisierung hinaus zirkulieren im Nachhaltigkeitsdiskurs aber auch gerade in rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen, Zukunftsvorstellungen, die gegen alle drei Zukünfte der Nachhaltigkeit, vor allem aber Kontroll- und weitreichende Transformationsutopien gerichtet sind, und die diese als Dystopie einer kommenden (kommunistischen) Klima- bzw. Ökodiktatur imaginieren (Wendt 2022). Die Klimaszenarien der Nachhaltigkeitsforschung und -bewegung werden hier als Ideologien und Manipulationsversuche von Eliten wahrgenommen, die zum Ziel haben, die Gesellschaft zu de-industrialisieren und zu beherrschen. Diese Zukunftsimaginationen intendieren den weitreichendsten Konservatismus, indem Zukunft als eine Verlängerung und Verteidigung des fossilen Zeitalters und der mit ihm verbundenen sozialen Praktiken gedacht wird.

[1] Siehe hierzu: Glossareintrag zum Begriff „Nachhaltigkeit“

[2] Rammstedt spricht von ‚okkasionellem‘, ‚zyklischem‘ sowie ‚linearem‘ Zeitbewusstsein mit entweder geschlossener oder offener Zukunft. Die moderne Gesellschaft kennzeichnet vor allem ein lineares Zeitverständnis mit offener Zukunft. Das heißt, Zeit wird als seriell voranschreitend gesehen, ohne angebbaren Letztzeitpunkt (wie dies etwa noch im apokalyptischen Szenario der theologischen Eschatologie der Fall war)

[3] Das Thomas Theorem besagt: „if men define situations as real, they are real in their consequences”. In: Thomas, W. I. (1928): The Child in America: Behavior Problems and Programs. New York: Alfred A. Knopf. S. 572.

[4] Während eine selbsterfüllende Prophezeiung sich dadurch auszeichnet, dass eine falsche Definition der Situation, vorliegt, die aber „ein neues Verhalten hervorruft, das die ursprünglich falsche Sichtweise richtig werden läßt“, kennzeichnet eine selbstzerstörende Prophezeitung, dass sie „das Eintreten eben jenes Umstands verhindern, der sonst eintreten würde“ Merton, R. K. (1995): Soziologische Theorie und soziale Struktur. Berlin: de Gruyter, S. 124 und 399ff.

[5] CliFi (kurz für: Climate Fiction, in Anlehnung an die Abkürzung zu Science Fiction) ist ein Literatur Genre, in welchem (häufig) postapokalyptische Szenarien vor dem Hintergrund ökologischer Katastrophen gezeichnet werden.

[6] Das Anthropozän stellt eine geologische Epoche dar, in welcher der menschliche Einfluss (ähnlich anderer ökologischer Einschnitte) auf das Ökosystem des Planeten stets datierbar sein wird.

Zum Weiterdenken

‚Nachhaltige Zukunft‘ ist ein sozial-differenziertes, konfliktreiches und politisch umkämpftes Territorium (siehe hierzu die Literaturvorschläge Zilles 2022). Hinter den abstrakten Typen von Zukunftsvorstellungen befinden sich Akteur*innen, die konkrete Praktiken der Kapital-, Macht- und Wissensakkumulation in Stellung bringen, um ihre Sichtweise, Interesse und präferierten Lebensmodelle durchzusetzen. Die soziologische Beobachtung verweist darauf, dass sich Nachhaltigkeit im Sinne einer positiv besetzten Zukunftsvorstellung gegen das moderne Wissen einer stets offenen Zukunft durchsetzen muss. Am erfolgreichsten gelingt dies entweder, indem sie diese Offenheit schlichtweg negiert (‚die Daten sind eindeutig!‘) oder aber sich gegenüber dem Status Quo als nützlich inszeniert, selbst wenn die Warnung vor einem ökologischen Kollaps sich nicht bewahrheiten sollte.

Zum Weiterlesen

Adloff, Frank; Fladvad, Benno; Hasenfratz, Neckel, Sighard 2020 (Hrsg.): Imagination von Nachhaltigkeit. Katastrophe, Krise, Normalisierung. Frankfurt am Main: Campus.

Wendt, Björn 2018: Nachhaltigkeit als Utopie. Zur Zukunft der sozial-ökologischen Bewegung. Frankfurt am Main: Campus.

Zilles, Julia; Drewing, Emily; Janik, Julia 2022 (Hrsg.): Umkämpfte Zukunft. Zum Verhältnis von Nachhaltigkeit, Demokratie und Konflikt. Bielefeld: transcript.

Beck, Ulrich 2017: Die Metamorphose der Welt. Berlin: Suhrkamp.

Beckert, Jens 2018: Imaginierte Zukunft: Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus. Berlin: Suhrkamp.

Chakrabarty, Dipesh 2009: “The Climate of History: Four Theses”, in: Critical Inquiry 35:2, S. 197-222.

Delanty, Gerard 2020: Wann beginnt die Zukunft? Überlegungen zu Temporalität, Nachhaltigkeit und Zukunftsszenarien, in: Adloff, Frank; Fladvad, Benno; Hasenfratz, Neckel, Sighard (Hrsg.): Imagination von Nachhaltigkeit. Katastrophe, Krise, Normalisierung. Frankfurt am Main: Campus, S. 49-70.

Hölscher, Lucien 1999: Die Entdeckung der Zukunft. Frankfurt a.M.: Fischer.

Horn, Eva 2014: Zukunft als Katastrophe. Frankfurt a.M.: Fischer.

Jochum, Georg 2020. Nachhaltigkeit zwischen Sozial- und Technikutopie. Transformationspotentiale der utopischen Diskurse der Moderne, in: Soziologie und Nachhaltigkeit. 6(1), 21–48. https://doi.org/10.17879/sun-2020-2820

Klauer, Bernd, et al. 2013: Die Kunst langfristig zu denken: Wege zur Nachhaltigkeit. Baden-Baden: Nomos.

Nagel, Alexander-Kenneth 2021: Vorbereitung auf den Untergang: Prepper als apokalyptische Szene? In: Betz, Gregor, Bosančić, Sasa (Hrsg.): Apokalyptische Zeiten. Endzeit- und Katastrophenwissen gesellschaftlicher Zukünfte Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 27-43.

Neckel, Sighard 1988: Entzauberung der Zukunft: Zur Geschichte und Theorie sozialer Zeitperspektiven. In: Zoll, Rainer (Hrsg.): Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. S. 464–486.

Rammstedt, Ottheim 1975: „Alltagsbewußtsein von Zeit“, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 27:1, S. 47–63.

Schiller-Merkens, Simone 2022: Prefiguring an alternative economy: Understanding prefigurative organizing and its struggles, in: Organization, 0:0. S. 1-19.

Suttner, Sebastian 2023: Das zeitliche Dilemma der Nachhaltigkeit: Wie Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdung einstellt. In: Henkel, Anna et al. (Hrsg.): Dilemmata der Nachhaltigkeit. Baden-Baden: Nomos. S. 109-124.

Wendt, Björn 2022: Zwischen Kollaps und Ökodiktatur. Wissenssoziologische Beobachtungen zu den Dystopien des aktuellen Klimadiskurses. In: Betz, Gregor, Bosančić, Sasa (Hrsg.): Apokalyptische Zeiten. Endzeit- und Katastrophenwissen gesellschaftlicher Zukünfte Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 133-157.

Willer, Stefan; Bühler, Benjamin 2016 (Hrsg.): Futurologien. Ordnungen des Zukunftswissens. Schöningen: Brill.


Björn Wendt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Münster

E-Mail: björn.wendt@uni-muenster.de

Sebastian Suttner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg

E-Mail: sebastian.suttner@uni-wuerzburg.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-5641