Rezension zum Buch "Ökonomie der Fürsorge. Warum wir Wohlstand, Gesundheit und Arbeit neu denken müssen"
Rezension „Ökonomie der Fürsorge. Warum wir Wohlstand, Gesundheit und Arbeit neu denken müssen"
Jackson, T. (2025): Ökonomie der Fürsorge. Warum wir Wohlstand, Gesundheit und Arbeit neu denken müssen. Degrowth statt Wirtschaftswachstum, Wohlfahrtsstaat vor Profit, Care und soziale Gerechtigkeit statt Patriarchat. München: oekom, 437 S., 28€.
Gesundheit und Ökonomie. Ein Reisebericht.
Seit der Pandemie erfreuen sich (populär)wissenschaftliche Veröffentlichungen zu Care zunehmender Beliebtheit. Care ist in Teilen des öffentlichen Diskurses angekommen, auch wenn die New Economy Szene genau wie die Politik das bisher nur am Rande wahrnehmen. Jetzt hat einer, dem man in Bezug auf Care nicht viel begegnete, seinen Hut in den Ring der Veröffentlichungen geworfen: Tim Jackson, britischer Ökonom, bekannt für seine erfolgreichen Werke in der Postwachstumsdebatte „Wohlstand ohne Wachstum“ (2017) und „Wie wollen wir leben? Wege aus dem Wachstumswahn“ (2021). Mit „Ökonomie der Fürsorge. Warum wir Wohlstand, Gesundheit und Arbeit neu denken müssen“, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und erschienen 2025 im Oekom-Verlag, betritt Jackson für sich selbst thematisches Neuland. Beim Berliner Buchlaunch im April 2025 erzählte er, das Buch sei vor allem eine Forschungsreise für ihn selbst gewesen. Einer sehr persönlichen Reise, ist man versucht zu ergänzen, denn die Frage nach dem Neuigkeitswert für die fachlich interessierte und belesene Öffentlichkeit ist nicht ganz leicht zu beantworten.
Eine Reise beginnt inmitten der Pandemie
Veröffentlichungen über Care-Ökonomie gibt es seit Jahrzehnten (Federici 1975; Werlhof et al. 1983; Fisher und Tronto 1990; Folbre 2001 uvm.). Bisher wurde diese Literatur zu einem großen Teil von Frauen geschrieben, also von Personen, die von der mit Care-Arbeit einhergehenden Beeinflussung von Lebens- und Erwerbsbiografien betroffen waren. Laut Jackson inspirierte ihn die Coronapandemie zur ursprünglichen Idee, Fürsorge als ein Organisationsprinzip der postpandemischen Wirtschaft zu positionieren (36). Aufgrund des Ukrainekriegs sei er jedoch davon abgekommen, da er beim Schreiben gemerkt habe, dass es Zeit sei, der Realität ins Auge zu blicken (36). Die bestünde aus Gewalt und Aufrüstung, ein Buch über eine postpandemische Wirtschaft mit Fokus auf Care würde nur auf taube Ohren stoßen. Dass es der Kern von Care ist, unter prekären Umständen auch in diesen Realitäten benötigt zu werden und deswegen Care-Arbeitende in einem Moment von Krieg und Aufrüstung eine starke ökonomische Fürsprache gebraucht hätten, kam ihm anscheinend nicht in den Sinn.
Doch zurück zur Reisemetapher, die Jackson selbst ausführlich gebraucht. Eine Reise ist es wahrlich! Ein anekdotenreicher Ritt auf 437 Seiten, dem ein straffes Lektorat gutgetan hätte. Als Leser*in folgt man Jackson auf seinen mäandernden Erkundungen durch Europa. Was für eine kurz zu haltende Rezension, die eigentlich nur den Roten Faden und die Kernthesen wiedergeben möchte, zu einer Herausforderung wird. Zumal die Rezensentin Politökonomin mit dem Fokus auf Care-Arbeit ist und sich während der Lektüre dachte, dass eine Medizinhistorikerin zeitweise eine bessere Beurteilung hätte bieten können. Was leider schon viel über die Kluft zwischen Buchtitel- und Anspruch und dem eigentlichen Inhalt aussagt. Wie Jackson selbst anfangs zugibt, sei das Buch ein bisschen vom ursprünglichen Kurs abgekommen. Das ist bei Schreibprozessen nichts Ungewöhnliches, aber es wäre schön gewesen, dieser Kurswechsel hätte sich auch im Titel gezeigt. Das Buch hätte passender Ökonomie der Gesundheit geheißen, und nicht maximal beanspruchend Ökonomie der Fürsorge.
Gesundheit und Care als Fundament von Wirtschaft
Zu Beginn macht Jackson seine zwei zentralen Thesen deutlich. Die eine besagt, dass menschlicher Wohlstand in erster Linie mit Gesundheit zu tun habe und nicht mit Reichtum (23). Die zweite, dass sich Wirtschaft deswegen zuallererst um Care in allen ihren Formen kümmern solle, anstatt auf unablässiges Wachstum zu setzen (23). Jackson möchte Wirtschaft als Care betrachten. Auch das ist nicht neu, sondern wurde von Generationen feministischer Ökonom*innen bereits so postuliert, nicht zuletzt in dem Essay „Wirtschaft ist Care“ von Ina Praetorius (2015), ebenfalls von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben. Für seine Thesen definiert Jackson zunächst die Begriffe Gesundheit und Care. Für ersteren nutzt er die Definition der WHO, dass Gesundheit „ein Zustand von vollständigem physischem, geistigem und sozialem Wohlbefinden“ sei, der sich „nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit und Behinderung auszeichnet.“ (26). Die Care-Definition übernimmt er vom Klassiker der Care-Literatur, dem Werk von Berenice Fisher und Joan C. Tronto: „Care ist eine Tätigkeit, die alles umfasst, was wir tun, um unsere Welt zu bewahren, fortzuführen und zu reparieren.“ (26) Care ist für Jackson ein Akt der Wiederherstellung, wobei er sich nicht auf die eindeutigen Parallelen dazu in der marxistischen Theorie bezieht, die Care-Arbeit als Reproduktion bezeichnet. Für Leser*innen ist damit der gesamte deutschsprachige Debattenstrang unsichtbar gemacht, der erstens von der Produktion des Lebens spricht (Werlhof et al 1983), zweitens die Nutzung des Begriffes Reproduktion kritisiert, weil dieser geschlechterhierarchische Dualismen produziere (Biesecker und Hofmeister 2013) und drittens dafür plädiert, eine Differenzierung von Reproduktionsarbeit und generativer Arbeit vorzunehmen (Haidinger und Knittler 2016).
Sind die Thesen einmal in der Welt, begibt sich Jackson auf die Reise, u.a. mit der Frage im Gepäck, „wenn Fürsorge eine so offensichtliche Grundlage für unser Wohlergehen ist, wie konnte sie dann vom Wachstum dermaßen an die Seite gedrängt werden?“ (396). Als mitlesende Reisebegleitung kann man das eigene Allgemeinwissen auf faszinierende Weise erweitern, kommt jedoch nicht umhin, sich zu fragen, was ein Großteil der besuchten Stationen mit den Thesen zu tun hat.
Profit und Fürsorge passen nicht zusammen
Man begleitet Jackson zunächst, wie er in einem walisischen Krankenhaus seinen verletzten Fuß behandeln lässt, weil er über eine Katze gestolpert ist. Dann taucht man mit ihm in die Entstehung des Opiumhandels, der modernen Schmerzmittelindustrie und des Drogenmissbrauchs ein, sitzt lange mit ihm an einem walisischen Strand, meditiert über die Balance des Lebens und erfährt eine Menge über die Reaktion des Körpers beim Eisbaden (72). Es folgt ein Abstecher zu Goethe und Heidegger (113) und eine Recherche auf den Spuren des britischen Gesundheitssystems NHS im walisischen Städtchen Tredegar (121). Während man Jackson anschließend bei einem Spaziergang durch Paris begleitet, lernt man eine Menge über die verschiedenen Typen der Diabetes-Erkrankung, über die Insulinkriege als auch über die Hauptrisikofaktoren und Ursachen dieser Zivilisationskrankheit, die im westlichen Lebensstil verankert sind. Man erfährt, wie bei Jackson selbst Diabetes diagnostiziert wurde. Wenn Jackson beschreibt, wie die eigene Erkrankung sein Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie stärkte, nähert man sich langsam dem starken Teil des Buches: „Allmählich begann ich mich zu fragen, wie viel von dem, was wir als Care bezeichnen, wirklich Care ist. Wie viel von dem, was wir tun, darauf abzielt, […] die Signale des Körpers zu ignorieren. [Und] uns nicht vor dem profitgierigen Mechanismus des Marktes zu schützen.“ (202) Jackson zeigt auf, wie der heutige westliche Lebensstil im Kapitalismus mit Zeitknappheit und industrieller Lebensmittelherstellung zu einer Reihe zivilisatorischer Krankheiten führt. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebserkrankungen und eine steigende Anzahl an Diabetes-Erkrankungen, weil überall so viel Zucker in unserer Ernährung sei. Doch anstatt an den Wurzeln anzusetzen, den Stress zu reduzieren, die Schnelllebigkeit und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, würden von der Pharmaindustrie Medikamente produziert, die wiederum die Probleme kosmetisch heilen sollen. Es würden Milliarden in Medikamentenforschung gesteckt, um Krankheiten zu „heilen“, die sich durch eine Umstellung des wirtschaftlichen Systems möglicherweise viel grundsätzlicher beheben ließen: „Unsere Volkswirtschaften basieren quasi auf diesem dysfunktionalen Arrangement. Wir sollen glauben, dass wir uns die Gesundheitsfürsorge, die uns retten soll, nur leisten können, wenn wir eine Wachstumswirtschaft unterstützen, die uns schadet.“ (205) Das auf Wachstum basierende Wirtschaftssystem sei es, das uns krank mache. Wenn auch diese Erkenntnis nicht neu ist, kommt an dieser Stelle Jacksons wachstumskritischer Scharfsinn für eine fundierte Argumentation zum Einsatz.
Medizinische Meinungskämpfe und die Konsequenzen für Gesundheitspolitik
Und schon geht es weiter mit der Reise. Jackson arbeitet sich kritisch an der Lebensmittelindustrie ab (217) und begleitet dann die Krankenpflegerin Florence Nightingale im Jahre 1854 auf die Krim und zurück (224). Man segelt mit ihm und seinem Bruder vor der britischen Küste bei Chichester Harbour (233) und erlebt, wie dort Fäkalien ins Meer umgeleitet werden. Das führt ihn zu Überlegungen, dass Krankheit selbst ein wiederherstellender Prozess sei (227, 237) und kommt zum zweiten wirklich starken Moment des Buches: der medizingeschichtlichen Auseinandersetzung mit zwei parallel entwickelten Heilungskonzepten, von denen nur eins den systemischen Sieg davontragen sollte: der Terrain- und der Keimtheorie. Die Terrain-Theorie bezieht für Gesundungsprozesse die Umwelteinwirkungen mit ein, setzt auf soziale Reformen und den Ausbau von Infrastruktur, wie beispielsweise die Einführung von Abwasserkanälen in den Städten der Industrialisierung zu einem Rückgang von Infektionskrankheiten führte (259, 271). Die Terrain-Theorie wurde laut Jackson als Komplementär- und Alternativmedizin diffamiert. Die Keimtheorie hingegen heile, indem sie Keime identifiziere und eliminiere und wurde zu dem, was man heute unter Schulmedizin oder wissenschaftlicher Medizin versteht. Jackson identifiziert für den einseitigen Siegeszug der Schulmedizin wirtschaftliche Machtinteressen. Die Keimtheorie habe damals „die ‚Unterstützung der amerikanischen Wirtschaftselite‘ [erhalten], weil sie ‚eine Erklärung für die Ursachen, Prävention und Heilung von Krankheiten bot, die der Weltanschauung des industriellen Kapitalismus bemerkenswert ähnlich war.“ (276) Er macht deutlich, wie gefährlich es ist, angesichts der zunehmenden Resistenzen gegen Antibiotika stur an einem wirtschafts- und machtpolitisch gesetztem medizinischen Rahmen des 19. Jahrhunderts festzuhalten (270). Diese ökonomische Machtanalyse und wachstumskritische Perspektive auf die Entwicklung des Gesundheitssystems ist erhellend. Sie zeigt, dass hilfreiche und massentaugliche Lösungen gegen zunehmende Resistenzen, etwa bei Antibiotika, auch aus wirtschaftspolitischen Gründen verhindert werden (264-278).
Exkursionen und ein patriarchaler Versuch der Patriarchatskritik
Weiter geht’s auf dem Europatrip, nach Stonehenge zu fiktiven Begegnungen mit den griechischen Gottheiten Asklepios und Hygieia und dem Theoretiker der sogenannten baumolschen Kostenkrankheit, William Baumol (312). Danach reist man mit Jackson in eine Hochmoorlandschaft in Cornwall. Es folgt ein langer literarischer Exkurs über die Werke der 1989 verstorbenen britischen Schriftstellerin Daphne du Maurier. Leicht ermüdet von diesem Ausflug, erhellt sich die Miene, wenn Jackson eine Romanfigur von Daphne du Mauriers nutzt, um endlich (!) und leider erst auf Seite 334 erwähnt, dass drei Viertel der unbezahlten Arbeit und zwei Drittel der bezahlten Arbeit weltweit von Frauen geleistet werden. Die Personen, die Sorgearbeit ausführen und deswegen unter existenziellen Diskriminierungen leiden, sind nicht der Fokus dieser spezifischen Ökonomie der Fürsorge. Im darauffolgenden Kapitel 12, das popkulturell anbiedernd mit einem Zitat von Taylor Swift betitelt wurde („Fuck the patriarchy“), wird es unangenehm. Bei dem Versuch, die Ursachen für die Misere von Fürsorge im Patriarchat wiederzugeben, bezieht Jackson sich sporadisch auf einzelne Theoretiker*innen und bedient sich dabei vor allem essentialistischer Argumente zu Verhaltensunterschieden von Männern und Frauen. Es gibt keine Erwähnung von konstruktivistischen Theorien, die besagen, dass Geschlecht gesellschaftlich hervorgebracht wird (bspw. Butler 1990) – und damit die Möglichkeit zu gesellschaftlicher Veränderung besteht.
Letzte Reisestation ist dann ein Exkurs zum Untergang eines Schiffes vor Cornwalls Küste im Oktober 1898 und der Schlussfolgerung von Jackson, dass der Kapitalismus selbst die Krankheit sei, die Teil eines Wiederherstellungsprozesses hin zur Gesundheit ist: „Was ist der Heilungsprozess, bei dem der Kapitalismus eine Rolle spielt?“ (388)
Am Ende der Reise spricht er sich für eine Vision aus, in der „Fürsorge – und nicht die rastlose Expansion – das zentrale Organisationsprinzip [des Wirtschaftssystems] ist.“ (394) Der Frage nach der Transformation hin zu diesem Organisationsprinzip widmet er am Ende nur ein einziges Kapitel, das halb so lang wie die anderen ist. Die Vorschläge sind in knapper Sprache und oft nur in Spiegelstrichen präsentiert, was nach all den großzügigen Seiten für Nebenschauplätze eine merkwürdige inhaltliche Gewichtung darstellt.
Zusammenfassung und Kritik
Was ist das Ergebnis dieser Reise? Dass Wirtschaft Care ist, dass Menschen von Anfang an abhängig sind von anderen, dass es nötig ist, das Care-Prinzip auf jedes wirtschaftliche Handeln anzulegen! Aber Jackson führt diese Punkte kaum aus, sondern widmet sich oft Landschaftsbeschreibungen und thematischen Exkursen. Ob er sich einen Gefallen getan hat, seine Argumentation in Reisestationen zu verpacken? Das Buch liest sich leicht, hat aber sehr viele Redundanzen. Die Kern-Inhalte gehen unter in den mäandernden Anekdoten. Der große Wurf, den der Titel verspricht, ein Buch über dieÖkonomie der Fürsorge, bleibt aus. Zu viele Perspektiven fehlen, zu wenig wird gesagt über die Folgen dieser wirtschaftlichen Arbeitsteilung, die Unterdrückung, die nicht nur Frauen betrifft, sondern alle Personen, die in der westlichen Weltordnung nicht auf der obersten Hierarchiestufe stehen.
Auffällig ist, dass Jackson gegen Ende des Buches viele weibliche Autor*innen aufzählt, deren Vermächtnis er vermeintlich anerkennt (423), seine eigene Argumentation jedoch vorrangig auf männlichen Autoren aufbaut. So geht er intensiv auf die Arbeit des Ökonomen William Baumol ein, erwähnt jedoch mit keinem Wort die explizit care-ökonomische Weiterentwicklung dieser Theorie durch die feministische Ökonomin Susan Donath (2000). Er bezieht sich zudem hauptsächlich auf Veröffentlichungen aus dem angloamerikanischen Raum und blendet damit ein Großteil existierender Literatur aus, bspw. Deutsch- und Spanischsprachige Texte (Precarias a la Deriva 2004; Knobloch 2019). Auch fehlt ein Verweis auf wegweisende Veröffentlichungen zu den Auswirkungen der Klimakrise auf Care-Arbeit (MacGregor et al. 2022). Weiters fehlen Perspektiven aus dem Globalen Süden (bspw. Darkwah/ Nawi Afrifem Collective o.J.) oder zum Zusammenhang von Eigentum, Rassismus und Sorgearbeit (bspw. Fraser 2022)
Jackson spricht immer wieder von einem Wir, mit dem nur der weiße, bürgerliche Mann gemeint sein kann. So auch am Ende, im letzten Satz: Das Prinzip der Fürsorge zu nutzen, um sich mit der dualen Gesellschaftsstruktur auseinander zu setzen und sich letztlich daraus zu befreien, bezeichnet er als „eine Reise, auf der wir die ersten zögerlichen Schritte gerade erst gegangen sind.“ (437) Dieser Satz ist Hohn für die Kämpfe von Frauen und Marginalisierten, die diese Schritte seit Jahrhunderten in aller Entschiedenheit und mit großen persönlichen Opfern gegangen sind und gehen, um eine Befreiung aus der binären Ordnung zu erkämpfen, deren Erfolge es heute gegenüber dem globalen Rechtsruck zu verteidigen gilt.
Eine kritische Diskussion wäre außerdem über Jacksons These zu führen, dass Krankheiten als ein Wiederherstellungsprozess für Gesundheit gesehen werden könnten. Aus der Perspektive der Disability Studies (bspw. Garland Thomson 1997) schließt das die Lebensrealitäten von Menschen aus, für die eine komplette Wiederherstellung der Gesundheit nicht möglich ist, wie beispielsweise chronisch erkrankte Long Covid Patient*innen. Geht es bei Fürsorge nicht vielmehr um Teilhabe und Ausrichtung an den Bedürfnissen der einzelnen Menschen als um die Wiederherstellung einer Gesundheitsnorm, die manche Körper nicht erreichen können?
Wer also das sucht, was draufsteht: eine fundierte und umfassende Auseinandersetzung mit der komplexen Thematik Care-Ökonomie, dem seien die nach wie vor hochaktuellen Klassiker und neuere Publikationen wie Unter Wert von Emma Holten (2025) oder Decolonizing Feminist Economics. Possibilities for Just Futures von Gisela Carrasco-Miró(2025) empfohlen.
Wer Tim Jacksons frühere Arbeiten und seine scharfsinnige Wachstumskritik schätzt, viel Zeit hat für eine Lektüre mit persönlichen Einsichten in sein Leben, in Pariser Straßenszenen, Segeltouren vor der südenglischen Küste, ausufernde Literaturzusammenfassungen und einer umfassenden Erweiterung des anekdotischen Allgemeinwissens, dem*der kann die Lektüre dieses Buches möglicherweise eine Freude bereiten.
Tipps zum Weiterlesen
Carrasco-Miró, G. (2025): Decolonizing Feminist Economics. Possibilities for Just Futures. Bristol: University Press.
Holten, E. (2025): Unter Wert. Warum Care-Arbeit seit Jahrhunderten nicht zählt. München: dtv.
Meier-Gräwe, U./Praetorius, I./Tecklenburg, F. (2023): Wirtschaft neu ausrichten. Care-Initiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Opladen: Verlag Barbara Budrich.
Bennholdt-Thomsen, V. (1981): Subsistenzproduktion und erweiterte Reproduktion: Ein Beitrag zur Produktionsweisendiskussion. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Biesecker, A./Hofmeister, S. (2013): Zur Produktivität des ‚Reproduktiven‘. Fürsorgliche Praxis als Element einer Ökonomie der Vorsorge. Feministische Studien 2, S. 240-252.
Butler, J. (1990): Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. London: Routledge.
Darkwah, A. K. (o.J.): Reflections on the Care Economies of Africa. https://www.nawicollective.org/written-resources
Donath, S. (2000): The Other Economy: A Suggestion for a Distinctively Feminist Economics, Feminist Economics, 6:1, S. 115-123, DOI: 10.1080/135457000337723
Federici, S. (1975): Wages Against Housework. Bristol: Power of Women Collective and the Falling Wall Press.
Fisher, B./Tronto, J. C. (1990): Towards a Feminist Theory of Caring. In: Abel, E. und M. Nelson. Circles of Care: Work and Identity in Women’s Lives. New York: University Press.
Folbre, N. (2001): The Invisible Heart. Economics and Family Values. New York: The New Press.
Fraser, N. (2022): Cannibal Capitalism. How Our System is Devouring Democracy, Care, and the Planet – and what we can do about it. London: Verso.
Garland Thompson, R. (1997): Extraordinary Bodies. Figuring Physical Disability in American Culture and Literature. Columbia University Press.
Haidinger, B./Knittler, K. (2016): Feministische Ökonomie. Eine Einführung. Wien: mandelbaum.
Knobloch, U.(2019): Ökonomie des Versorgens: Feministisch-kritische Wirtschaftstheorien im deutschsprachigen Raum. Weinheim: Beltz/Juventa.
MacGregor, S./Arora-Jonsson, S./Cohen, M. (2022): Caring in a changing climate: Centering care work in climate action. Oxfam Research Backgrounder series: https://www.oxfamamerica.org/explore/research-publications/caring-in-a-changing-climate/
Praetorius, I. (2015): Wirtschaft ist Care. Oder: Die Wiederentdeckung des Selbstverständlichen. Berlin: Heinrich Böll Stiftung.
Precarias a la Deriva (2004): a la deriva. por los circuitos de la precariedad feminina. Madrid: Traficantes de Sueños.
Von Werlhof, C./Mies, M./Bennholdt-Thomsen, V. (1983): Frauen, die letzte Kolonie. Hamburg: Rowohlt.

Feline Tecklenburg ist Politökonomin mit einem Schwerpunkt auf der Verbindung von Ökonomie und Care(-Arbeit). Sie ist geschäftsführende Co-Vorständin der Denk- und Handlungswerkstatt Wirtschaft ist Care und forscht an der Universität Paderborn zur Rolle von Care in zukunftsfähigen Wirtschaftsmodellen.
www.felinetecklenburg.com
Instagram: @felinetecklenburg, @economyiscare
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Bericht zur Tagung "A Climate of (De-)Civilization? Shifting Dynamics between Nature and Society" vom 12.-15. März 2025 an der TU Dortmund
Bericht zur Tagung „A Climate of (De-)Civilization? Shifting Dynamics between Nature and Society“ vom 12.-15. März 2025 an der TU Dortmund
Von Tom Lennart Ebener, Fynn Gutjahr, Jana Herms, Marcel Sebastian, Sarah von Querfurth und Jule Wilberg
Umweltfragen haben in der soziologischen Forschung und Theorie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Prozess- und Figurationssoziologie von Norbert Elias erweist sich als fruchtbarer Boden für die Entwicklung von Denkwerkzeugen, Konzepten und Theorien zur Untersuchung von gesellschaftlich-ökologischen Beziehungen. Dennoch bleiben prozesssoziologische Perspektiven in der Umweltsoziologie und verwandten Disziplinen weitgehend unbekannt. Vor diesem Hintergrund organisierten Marta Bucholc (Universität Warschau), Debbie Kasper (Hiram College), André Saramago (Universität Coimbra) und Bernd Sommer (TU Dortmund) die internationale Tagung „A Climate of (De-)Civilization? Shifting Dynamics between Nature and Society“.
In ihrer Keynote „Colonialism as European De-Civilization: The Implications for Understanding Climate Catastrophe“ analysierte Gurminder Bhambra (Universität Sussex) die durch das Britische Empire ausgelösten Hungersnöte in Indien unter kolonialer Herrschaft. Sie zeigte aus postkolonialer Perspektive, wie die weiterhin bestehenden asymmetrischen globalen Strukturen sowie auf nationalstaatliche Aspekte verengte Problemwahrnehmungen und -lösungsstrategien in Zeiten der Klimakrise enorme Gefahren für Länder des globalen Südens mit sich bringen.
Der zweite Tag begann mit einem Panel zum Thema „Civilising/De-Civilising Processes“. Darin präsentierten zunächst Philip Koch, Martin Fritz, Jana Holz (Friedrich-Schiller-Universität Jena) und Dennis Eversberg (Goethe-Universität Frankfurt) ihre empirische Forschung zu sozial-ökologischen Mentalitäten und hieraus entstehenden neuen Konfliktdynamiken in Deutschland. Sie argumentierten, dass durch das Erstarken eines der sozial-ökologischen Transformation ablehnend gegenüberstehenden Spektrums zunehmend Prozesse der Dezivilisierung sichtbar würden. Danach argumentierte Thore Prien (Europa-Universität Flensburg), dass die Zeit im Zuge der Entfaltung sozial-ökologischer Katastrophen ‚aus den Fugen geraten‘ sei: Die Utopie sei bereits verloren, die Vergangenheit biete keine Inspiration mehr und das Vertrauen in die staatlich organisierte Zukunft fehle. Matthias Schmelzer (Europa-Universität Flensburg) reflektierte in seinem Beitrag das Verhältnis von Klimakrise und Dezivilisierung. Er argumentierte, dass der wachstumsbasierte Zivilisationsprozess aufgrund des ökologischen Kollapses in einen Dezivilisationsprozess übergehe. Die laut Schmelzer notwendige kollektive Selbstbeschränkung durch Degrowth führe nicht in Prozesse der Dezivilisierung, sondern sei vielmehr prädestiniert, Dezivilisierungsprozesse zu unterbrechen.
Im darauffolgenden Panel zu „Violent Conflicts“ plädierte Adele Bianco (Universität Chieti-Pescara „Gabriele d’Annunzio“) dafür, ökologische Nachhaltigkeit als eine Dimension des Zivilisationsprozesses zu betrachten. Am Beispiel der Ukraine und des Gazastreifens zeigte sie, dass die Zerstörung der Natur elementarer Bestandteil von Kriegen sei. Kerrin Langer (TU Dortmund) und Frank Reichherzer (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) argumentierten, dass Kriegen ambivalente Prozesse der De-/Zivilisation inhärent seien. Während sie die militärische Gewalt als Zeichen der Dezivilisierung betrachteten, zeigten sie, dass die Anerkennung von Ökozid als Verbrechen im internationalen Recht auch Zivilisationsprozesse widerspiegele. Abiodun Paul Afolabi (Adekunle Ajasin University) veranschaulichte in seinem Vortrag das komplexe Zusammenspiel von Gewalt und Umweltzerstörung in Konflikten zwischen Farmer*innen und nomadischen Hirt*innen im Südwesten Nigerias. Diese Konflikte entstünden aufgrund des Wettbewerbs um Land und Ressourcen und hätten die vermehrte Ausbeutung der natürlichen Umwelt zur Folge.
In seiner Keynote „The Pitfalls of Transformation. On Precarious Figurations“ über die Herausforderungen nachhaltiger globaler Transformationsprozesse diagnostizierte Sighard Neckel (Universität Hamburg) ein Ausbleiben weitreichender, aber notwendiger Transformationsprozesse. Er zeichnete die Dynamiken von Zivilisierungs- und De-Zivilisierungsprozessen anhand der parallelen und einander bedingenden Entwicklung von Kapitalismus und Demokratie in der Moderne auf.
Das Panel zu „Contested Futures“ eröffneten Alissa Starodub und Sebastian Garbe (Hochschule Fulda) mit ihren empirischen Beobachtungen vom Leben in von Aktivist*innen besetzten Wäldern. Auf Basis posthumanistischer Theorie schlugen sie ein erweitertes Verständnis des Mensch-Natur-Verhältnisses als Alternative zu zunehmend katastrophischen Zukunftsvorstellungen vor. Daran anschließend plädierte Jessica Croteau (Johns Hopkins University) für eine kulturelle Transformation des Verständnisses von Verfall, den sie als essenziellen Entwicklungsprozess darstellte, da er neben der Dekonstruktion auch Basis der Konstruktion des Neuen sei.
Das Panel „Local (De-)Civilization“ begann mit einem Beitrag von Marta Gospordaczyk (Universität Warschau) über die Reaktionen polnischer Farmer*innen auf die sich verstärkenden Dürren. Mithilfe von Elias‘ Kontinuum von Engagement und Distanzierung zeigte sie auf, dass die von ihr befragten Landwirt*innen trotz starker emotionaler Involviertheit in ihre Betriebe die Wetterextreme häufig als Zwänge außerhalb menschlicher Kontrolle wahrnahmen. Stefan Sjöberg und Elvi Chang (Universität Gävle) stellten ihr Konzept der „ecosocial work“ vor. Phillip Altmann (Central University of Ecuador) thematisierte danach die Lebensrealitäten der indigenen Bevölkerung Ecuadors. Aus postkolonialer Perspektive beschrieb er den Widerstand gegen europäische Kultur als notwendigen Prozess der „De-Zivilisierung“, der einem Prozess der eigenmächtigen Re-Zivilisierung vorausgehe.
Der Konferenztag endete mit der Abendpräsentation „Complex Figurations – Risks, Alternatives and Proposal for Amazon Nature“ von Gláucio Campos Gomes de Matos (Federal University of Amazonas). Er thematisierte die Figurationen der lokalen Bevölkerung im Amazonas und der globalen Produktionsketten. Dabei zeigte er auf, wie das Amazonasgebiet durch den globalen Konsum zerstört wird und wie auf Basis indigener Traditionen dieser Umweltzerstörung entgegengewirkt werden könne.
Der dritte Tagungstag begann mit einem Panel über „Human/Non-Human Figurations”. Marcel Sebastian (TU Dortmund) diskutierte, wie sich die Gleichzeitigkeit von Eindämmung und Ausweitung von Gewalt gegen Tiere erklären lässt. Seit dem Übergang in die Spätmoderne, so seine These, habe die ambivalente Gleichzeitigkeit personalisierender und objektifizierender Beziehungen zu Tieren an gesellschaftlicher Legitimität verloren, sodass heute etwa Fleischkonsum zunehmend begründungswürdig werde. Danach argumentierten Waldek Rapior, Marta Gospodarczyk & Gabriela Jarzębowska (Universität Warschau), dass der zunehmende Einfluss der Tierrechtsbewegung zu einem neuen Legitimationsdruck auf die Jagd in Polen führe. Sie zeigten, wie Jäger*innen versuchten, sich gleichzeitig als Bewahrer*innen traditioneller Kulturpraxen, moderne Naturschützer*innen und Hüter*innen polnischen Nationalgefühls zu präsentieren. Abschließend stellte Jędrzej Kozak (Adam-Mickiewicz-Universität Posen) einen öffentlichen Diskurs in Polen über die angemessene Bezeichnung des Todes von Hunden vor. Während es zunehmend üblich werde, menschenbezogene Beschreibungen auf Hunde zu erweitern, wehrten Kritiker*innen dies als unzulässige Vermenschlichung ab.
Im Panel „Emotions & Knowledge“ diskutierte Marianna Kostecka (Adam-Mickiewicz-Universität Posen) das Phänomen der Flugscham in Polen. Sie beschrieb, dass insbesondere unter jüngeren Menschen eine Scham des Nicht-Fliegens existiere, da Fliegen als Ausdruck von Kosmopolität und persönlicher Reife gelte. Im Anschluss skizzierte Dieter Reicher (Universität Graz) eine Paradoxie des Zivilisationsprozesses: Während das Wissen über Naturzusammenhänge in den Gegenwartsgesellschaften vergleichsweise groß ist, sei es den Menschen mit fortschreitender Komplexität zunehmend unmöglich, die Dynamiken der gesellschaftlichen Entwicklung zu erfassen. Abschließend diskutierten Vincenzo Marasco und Angela Perulli (Universität Florenz) die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln in Bezug auf nachhaltige Ernährung. Sie betonten, dass Ernährung als wichtiger Teil des Habitus mit emotionalen Bindungen und Gefühlen kultureller Zugehörigkeit einhergehe, was als Erklärung für Barrieren der Verhaltensänderung fungieren könnte.
In der abschließenden Keynote „The Ecological Class: A New ‚Pivotal Class’“ stellte Nikolaj Schultz (Universität Kopenhagen) Thesen aus seinem gemeinsam mit Bruno Latour veröffentlichten Buch „Zur Entstehung einer ökologischen Klasse – Ein Memorandum“ vor. Anstelle eines materiellen Klassenkonflikts über Produktionsmittel und Arbeitsverhältnisse seien für die ökologische Klasse vielmehr Überproduktion und ihre Folgen sowie die sich verändernden Umweltbedingungen konstitutiv.
Insgesamt gelang es den Organisator*innen der Tagung „A Climate of (De-)Civilization? Shifting Dynamics between Nature and Society“, die Vielfalt der an Norbert Elias‘ Prozess- und Figurationssoziologie angelehnten Forschung zu sozial-ökologischen Krisen und gesellschaftlichen Naturverhältnissen abzubilden. Durch die Einbindung sowohl etablierter als auch neuer Forschungsperspektiven entstand eine angeregte Debatte während und zwischen den Veranstaltungen.
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Organisation (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)
Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit und Organisation
Als machtvolle Akteure der Moderne tragen Organisationen wesentlich zur Konkretisierung gesellschaftlicher Nachhaltigkeitsvorstellungen bei. Hierbei kann der organisationale Umgang mit Nachhaltigkeit von bloßen Lippenbekenntnissen bis hin zu tiefgreifenden Projekten und Maßnahmen reichen. Unter Umständen gelingt es Organisationen sogar, Widersprüche zwischen Nachhaltigkeit und anderen modernen Werten zu glätten. Organisationen sind dabei keineswegs passive Rezipienten gesellschaftlicher Erwartungen. Im Gegenteil: Sie engagieren sich im Rahmen organisationaler Felder aktiv und diskursiv bei der fortwährenden Deutung der vagen Idee der Nachhaltigkeit.
Einleitung
An Organisationen, hier verstanden als soziale Gebilde (wie Unternehmen, Behörden, Schulen, Krankenhäuser, Vereine), die eine gewisse formale Koordinationsform aufweisen, werden stets verschiedene Erwartungen hinsichtlich Nachhaltigkeit gestellt (Besio/Meyer 2022). Große Konzerne werden bspw. als Verursacher von Umweltproblemen angeprangert und als Akteure gesehen, die Transformationsprozesse blockieren. Sie sollen neben der Generierung von Profiten auch Nachhaltigkeitsziele formulieren. An Schulen wird herangetragen, Nachhaltigkeitskompetenzen zu vermitteln. Parteien und Verbände sind dazu angehalten, sich zum Thema zu positionieren. Die Soziologie ist sich einig, dass eine sozial-ökologische Transformation ohne das Zutun von Organisationen nicht passiert. Als zentrale Akteure, die alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen, prägen Organisationen gesellschaftliche Transformationen zentral mit, und werden von diesen Transformationen zugleich geprägt.
Neuere Forschungen thematisieren dabei, dass Organisationen gesellschaftliche Nachhaltigkeitsvorstellungen keineswegs schlicht übernehmen. Sie übersetzen sie mitunter in konkrete Geschäftsmodelle, Infrastrukturen, Handlungen und Narrative oder halten sie gezielt von den eigenen Kernaktivitäten fern (Ametowobla et al. 2021; Delbridge et al. 2024). Beispielsweise investieren Stadtwerke und Energiegenossenschaften in den Ausbau erneuerbarer Energien, bieten Ökostromtarife an und/oder schaffen Bildungsangebote zur Sensibilisierung von nachhaltigem Energieverbrauch. Automobilhersteller entwickeln Elektrofahrzeuge oder verschiedene Behörden führen Nachhaltigkeitsrichtlinien ein. Mitunter engagieren sich Organisationen aber auch nur im viel thematisierten „Greenwashing“ und ändern darüber hinaus ihre Strukturen und Praktiken nur wenig. Inwiefern Nachhaltigkeit nur als Außendarstellung genutzt oder in folgenreichen Programmen tatsächlich etabliert wird, variiert stark.
Welche Umgangsweisen einzelne Organisationen wählen, hängt von ihren Strukturen, Kulturen und Praktiken ab, sowie von ihrer Einbettung in interorganisationale Netzwerke und Felder. Jenseits normativer Vorstellungen, die etwa in der Verwaltungs- und Managementliteratur formuliert werden, erklärt die Organisationssoziologie, wie Organisationen mit Nachhaltigkeit umgehen, welche Probleme dabei organisationsintern entstehen, welche organisationalen Eigenschaften eine starke Umsetzung von Erwartungen an Nachhaltigkeit fördern, und welche Typen von Organisationen imstande sind, nachhaltig zu handeln bzw. welche eher nicht (Ametowobla et al. 2021; Besio/Meyer 2022; Delbridge et al. 2024). Untersucht werden zudem die aktive Rolle von Organisationen und die Kooperationen bzw. Konflikte zwischen Organisationen in der Definition und Gestaltung von Nachhaltigkeit als politisch-regulativer Idee.
Organisation und Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit wird zwar unterschiedlich definiert, einig ist man sich aber, dass es darum geht, in der Gegenwart so zu handeln, dass zukünftige Existenzgrundlagen nicht zerstört werden. Die Idee der Nachhaltigkeit betont eine Nutzung von Ressourcen, die diese nicht erschöpft, sondern sie so verwendet, dass Ressourcenbestände bestehen bleiben. Der Begriff der Nachhaltigkeit umfasst demnach zugleich eine Verantwortungsübernahme für heute Lebende sowie für zukünftige Generationen. Nachhaltigkeit kann dabei selten konkrete Handlungsanweisungen vorgeben und somit nicht als Entscheidungskriterium dienen. Sie wird eher etwa als „Leitbild“ (Grunwald/Kopfmüller 2022) verstanden. Dieser Sachverhalt verschärft sich durch das allgegenwärtige Dreisäulenmodell der Nachhaltigkeit, laut dem sie eine ökologische, ökonomische und soziale Dimension umfasst. Diese Auffächerung kann zu widersprüchlichen Anforderungen führen [1].
Nachhaltigkeitsvorstellungen werden in verschiedenen Kontexten debattiert, umkämpft ausgestaltet und konkretisiert. Dabei spielen Organisationen stets eine zentrale Rolle. Parteien, Non-Governmental-Organizations (NGOs), Think-Tanks und Forschungsinstitute, aber auch Verwaltungen und Unternehmen prägen mit Wort und Tat Formen und Bedeutungen von Nachhaltigkeit (Ametowobla et al. 2021; Delbridge et al. 2024). Organisationen bearbeiten die Idee der Nachhaltigkeit kontinuierlich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Ihre Lösungen wirken sich dann nicht nur organisationsintern, sondern auch über organisationale Grenzen hinweg aus. In der Folge prägen Organisationen nicht nur konkrete technische und managerielle Modelle der Nachhaltigkeit, sondern transportieren verschiedene Zukunftsvorstellungen einer nachhaltigen Gesellschaft (Adloff/Neckel 2019). Im folgenden Abschnitt zeigen wir, wie die Organisationssoziologie diese Prozesse untersucht.
Organisationsoziologische Perspektive
Organisationen mit ihren Ressourcen, Kompetenzen und Machtpotenzialen prägen ganz wesentlich, was als nachhaltig gilt. Die Organisationssoziologie analysiert den organisationalen Umgang mit gesellschaftlichen Nachhaltigkeitserwartungen sowie die aktive Rolle von Organisationen in ihrer Gestaltung. Dabei werden intra- und interorganisationale Aspekte berücksichtigt. Um relevante Forschungsergebnisse gebündelt wiedergeben zu können, zeigen wir in den folgenden Abschnitten zuerst, wie Organisationen intern mit an ihnen herangetragene Erwartungen an Nachhaltigkeit umgehen, dann wie Organisationen darüber hinaus Widersprüche zwischen Nachhaltigkeit und anderen Erwartungen begegnen, und schließlich, inwiefern organisationales Handeln Nachhaltigkeit gestaltet.
Organisationsinterne Respezifikation von Nachhaltigkeit
Organisationen nehmen externe Erwartungen nicht passiv an, sondern revidieren diese im Einklang mit internen Logiken. D.h. Organisationen nehmen Erwartungen wahr, selektieren, filtern, übersetzen, kombinieren und konkretisieren sie unterschiedlich, je nach ihren Strukturen und Bedürfnissen. An die Organisationen herangetragene Nachhaltigkeitserwartungen werden so etwa gestärkt und/oder in ihrer Umsetzung behindert (Ametowobla et al. 2021).
Organisationen können etwa der einen oder der anderen Säule mehr Relevanz beimessen und intern definieren, welche Handlungen als nachhaltig gelten. Sie können den Wert als bloßes Lippenbekenntnis in ihre Selbstdarstellung aufnehmen. Bspw. können Nachhaltigkeitsberichte, Verhaltenskodizes und andere Systeme des Managements von Nachhaltigkeit hierzu dienen. Organisationen initiieren aber auch konkrete Projekte und gezielte Maßnahmen im Namen der Nachhaltigkeit (Ametowobla et al. 2021; Besio/Meyer 2022), oder schaffen konkrete Stellen für das Nachhaltigkeitsmanagement. Teilweise sind ihre Respezifikationen aber auch umstritten. So definieren z.B. Energiekonzerne CCS-Technologien (Carbon Capture and Storage) als nachhaltig, während NGOs solche Technologien als problematisch einstufen (Markusson et al. 2012).
Je nach Strukturen, Kulturen und Praktiken tendieren Organisationen dazu, unterschiedliche Formen von Nachhaltigkeit umzusetzen. Beispielweise sind Unterschiede zwischen kleinen und großen Organisationen relevant, wie etwa die verschiedenen Projekte von großen Energiekonzernen und kleineren Akteuren wie Energiegenossenschaften im Bereich Windenergie zeigen (z.B. Kungl/Geels 2018). Weiterhin ist ein starker Zusammenhang zwischen verfügbarer Technik, materiellen Risiken und Nachhaltigkeitsstrategien zu beobachten (z.B. für den Fall Rechenzentren Heyny et al. 2024). Zudem ist zu berücksichtigen, dass Organisationen häufig in Netzwerken und anderen interorganisationalen Kooperationsformen operieren. Diese erleichtern den Austausch von Wissen über nachhaltige Technologien oder über die Entwicklung von innovativen Geschäftsmodellen. Kooperationen sichern reziproke Unterstützung und bieten die Gelegenheit, einander zu ergänzen (Bauwens/Pantazis 2018).
Widersprüchliche Erwartungen an Organisationen
Dilemmata der Nachhaltigkeit (Henkel et al. 2023) werden in Organisationen verhandelt. Organisationen müssen neben der Nachhaltigkeit auch anderen Erwartungen gerecht werden. In Unternehmen muss Nachhaltigkeit etwa mit Gewinnmaximierung vereinbar sein. Organisationen verfügen aber über zahlreiche Lösungen, um mit heterogenen Erwartungen umzugehen (Besio/Meyer 2022). Eine Strategie ist es, einige Erwartungen nur in der externen Darstellung anzusprechen, während die konkrete Arbeit andere Erwartungen erfüllt. Zudem nutzen Organisationen die Bildung von Abteilungen (wie Produktion, F&E, Vertrieb, Accounting, Human Resources etc.), um disparate Ziele gleichzeitig zu verfolgen.
Mitunter gelingt es, sogenannte Win-Win-Lösungen zu entwickeln, die gleichzeitig mehrere Anforderungen erfüllen (Van der Byl/Slawinski 2015). So kann beispielsweise Nachhaltigkeit in Ökoeffizienz oder Green Economy dort übersetzt werden, wo ökonomisch vorteilhafte Kosteneinsparungen im Vordergrund stehen (wie z.B. in der Hotelbranche). Zu beachten ist, dass diese Herangehensweise tiefgreifendere Optionen zurückdrängen kann. Organisationen leiden also nicht immer unter der Widersprüchlichkeit von Erwartungen, sondern können sie mitunter zum eigenen Vorteil nutzen (Besio/Meyer 2022). Mitunter werden so die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit so miteinander kombiniert, dass die ökonomische Dimension priorisiert wird und etwa grüne Technologien als profitable Innovationen gelten.
Eine tiefgreifende Umsetzung von Nachhaltigkeit gelingt häufig in unkonventionellen, partizipativen und hybriden Organisationen, wie z.B. Genossenschaften (Ametowobla et al. 2021; Delbridge et al. 2024). Hier sind Prozesse so strukturiert, dass Anliegen jenseits der Profitorientierung von Organisationsmitgliedern leichter eingebracht werden können. Auch, dass sie mitunter durch unentgeltliche Freiwilligenarbeit getragen werden, ermöglicht die Umsetzung nachhaltiger Ziele. Die Freiwilligenarbeit wird dann häufig mit Bezug auf Werte wie Nachhaltigkeit motiviert.
Organisationale (Mit-)Gestaltung von Nachhaltigkeit
Gesellschaftliche Erwartungen werden nicht nur durch konkrete organisationsinterne Praktiken mitdefiniert, sondern Organisationen nehmen zudem aktiv und diskursiv an der Definition gesellschaftlicher Werte teil. Durch strategische Interventionen können gerade mächtige Organisationen (etwa über Lobbyarbeit, PR-Kampagnen, Diskussionen mit den Stakeholdern, Beratung der Politik oder auch Korruptionsversuche) viel bewirken (Besio/Meyer 2022; Windeler/Jungmann 2023). Unternehmen aber auch Verbände, NGOs, Gewerkschaften und andere Organisationen versuchen durch den Einsatz von Ressourcen, auf Normen und Werte Einfluss zu nehmen. Dabei ist ein beträchtliches Engagement notwendig, um bestimmte Vorstellungen von Nachhaltigkeit aufrechtzuerhalten oder zu ändern (Levy et al. 2016).
Die Gestaltung von Nachhaltigkeitsvorstellungen findet dabei selten isoliert, sondern zumeist im Zusammenspiel verschiedener Organisationen in sozialen Feldern statt. Felder sind dadurch gekennzeichnet, dass sich verschiedenartige Organisationen um ein Thema herum koordinieren, für das sie sich als relevant betrachten. So handeln sie etwa die Bedeutsamkeit bestimmter Innovationen für sozial-ökologische Transformationen aus (Windeler/Jungmann 2023). Dabei sind Netzwerke und andere interorganisationale Kooperationsformen wie Verbände oder Konsortien von zentraler Bedeutung. Auch internationale NGOs können häufig Einfluss nehmen, weil sie als interessenlose Akteure gelten, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, genauso auch Medienorganisationen, Gerichte oder wissenschaftliche Institute. Organisationalen Feldern entspringen auch Standards, wie nachhaltige Prozesse zu gestalten sind – wie z.B. technische Standards, Nachhaltigkeitszertifikate oder Qualitätsmanagementstandards – die dann wiederum das Handeln weiterer Organisationen beeinflussen (Arnold 2019). Dabei kann es sowohl zur Angleichung als auch zu einem Ringen zwischen Organisationen (z.B. um Positionen oder Ausdeutungen) kommen. Häufig dreht es sich etwa um ein Ausbalancieren verschiedener Ziele, Interessen und Vorstellungen in Bezug auf Ökologie und Ökonomie oder Zentralität und Dezentralität, so z.B. in der Ausgestaltung von Smart-Grids im Rahmen der Energiewende (Skripchenko et al. 2023).
Zum Weiterdenken
Diese Überlegungen zeigen, dass die organisationale Ebene einbezogen werden muss, wenn man verstehen will, wie Nachhaltigkeitserwartungen in unserer Gesellschaft Fuß fassen und welche Aspekte dabei ausgeblendet werden. Eine (organisations-)soziologische Perspektive im interdisziplinären Nachhaltigkeitsdiskurs betont dabei die Bedeutung der organisationalen Gestaltung nachhaltiger Transformationen. Das bedeutet, sie nimmt Prozesse des Organisierens in, von, zwischen und jenseits von Organisationen dezidiert in den Blick und thematisiert die Akteure der Transformation als Organisationen mit bestimmten Strukturen, Kulturen und Praktiken. Damit bringt sie eine spezifische Sicht ein, die andernfalls oft vernachlässigt wird. Unternehmen, Parteien, Behörden, Verbände, NGOs und andere Organisationen sind heute wichtige Akteure, die über materielle Ressourcen und Handlungs- sowie Deutungsmacht verfügen. So erlangen ihre Respezifikationen von Nachhaltigkeit nicht selten umfassende gesellschaftliche Relevanz. Eine solche Relevanz erlangen Organisationen nie isoliert, sondern im Zusammenspiel mit anderen Organisationen, etwa durch aktive Strategien der Beeinflussung interorganisationaler Felder oder gesellschaftlicher Teilbereiche. Auch Strategien einzelner Organisationen und selbst interne Maßnahmen können sich jedoch extern auswirken. Mittels Respezifikation von Nachhaltigkeit entwickeln Organisationen beispielsweise Technologien, Standards und Dienstleistungen, die dann andere Instanzen verwenden. Diese können kopiert, perfektioniert, weiterentwickelt und verbreitet oder auch abgelehnt werden. Untersuchungen solcher Wirkungen sind noch selten, aber notwendig um Transformationsprozesse adäquat zu verstehen.
Der Blick auf Organisationen verdeutlicht eindrücklich, dass Nachhaltigkeitsvorstellungen unterschiedlich operationalisiert werden, je nach Branche, Verfügbarkeit von Infrastrukturen, organisationaler Kultur, Opportunitäten, usw. Also sind es kontextgebundene, lokale und changierende Faktoren, die die Formung der Nachhaltigkeit kontinuierlich beeinflussen. Systematische Untersuchungen dieser Faktoren sind noch ein Forschungsdesiderat. Nötig sind Mehrebenenanalysen, in deren Rahmen die Organisationssoziologie intraorganisationale Dynamiken sowie Dynamiken von Netzwerken und Feldern erfasst.
[1] Vgl. Beitrag „Nachhaltigkeit“ in Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit
Zum Weiterlesen
Ametowobla, D./Besio, C./Arnold, N. (2021): Nachhaltigkeit organisieren. In: SONA – Netzwerk Soziologie der Nachhaltigkeit (Hrsg.): Soziologie der Nachhaltigkeit. Bielefeld: Transcript, S. 355-375.
Delbridge, R./Helfen, M./Pekarek, A./Schuessler, E./Zietsma, C. (2024). Organizing Sustainably: Introduction to the Special Issue. In: Organization Studies, 45. Jg., Heft 1, S. 7-29.
Adloff, F./Neckel, S. (2019): Futures of sustainability as modernization, transformation, and control: a conceptual framework. In: Sustainability Science, 14. Jg., Heft 4, S. 1015–1025.
Arnold, N. (2019): Organisation(en) von der Stange? Der Trend zu Standardisierung und Formalisierung. In: M. Apelt/I. Bode/V. von Groddeck/R. Hasse/U. Meyer/M. Wilkesmann/A. Windeler (Hrsg.): Handbuch Organisationssoziologie. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15953-5_30-1
Bauwens, M./Pantazis, A. (2018). The ecosystem of commons-based peer production and its transformative dynamics. In: The Sociological Review, 66. Jg., Heft 2, S. 302-19.
Besio, C./Meyer U. (2022): Gesellschaftliche Wirkung organisationaler Re-Kombinationen: Die Neuausrichtung von Gewerkschaften und Genossenschaften jenseits der Mitgliedervertretung. In: Soziale Welt, 73. Jg., Heft 3, S. 546-577.
Grunwald, A./Kopfmüller, J. (2022): Nachhaltigkeit. Frankfurt/New York: Campus.
Henkel, A./Berg, S./Bergmann, M./Gruber, H./Karafyllis, N./Mader, I./Müller, A.-K./Siebenhüner, B./Speck, K./Zorn, D.-P. (2023): Dilemmata der Nachhaltigkeit. Baden-Baden: Nomos.
Heyny, S./Simoni, M./Busch, K./King, V./Lindenstruth, V. (2024): Wo die Cloud die Erde berührt. Rechenzentren zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und Innovationsblockaden. In: Organisationsberatung, Supervision, Coaching (OSC), 31. Jg., S. 63–78.
Kungl, G. / Geels, F. W. (2018). Sequence and alignment of external pressures in industry destabilisation: Understanding the downfall of incumbent utilities in the German energy transition (1998-2015). In: Environmental Innovation and Societal Transitions, 26. Jg., S. 78-100.
Levy, D./Reinecke, J./Manning, S. (2016). The political dynamics of sustainable coffee: Contested value regimes and the transformation of sustainability. In: Journal of Management Studies, 53. Jg., S. 364–401.
Markusson, N., Shackley, S., & Evar, B. (2012). The social dynamics of carbon capture and storage. New York: Routledge.
Skripchenko, A./Albrecht, J.-M./Besio, C./Hoffmann, T. (2023). Welche Digitalisierung braucht Nachhaltigkeit? Streit um die Normen und die Umsetzung bei der Digitalisierung der Netze. In: Soziologie und Nachhaltigkeit, 9. Jg., Heft 1, S. 1-26.
Van der Byl, C. A., & Slawinski, N. (2015). Embracing Tensions in Corporate Sustainability: A Review of Research From Win-Wins and Trade-Offs to Paradoxes and Beyond. In: Organization & Environment, 28. Jg., Heft 1, 54-79.
Windeler, A./Jungmann, R. (2023). Complex innovation, organizations, and fields: Toward the organized transformation of today’s innovation societies. In: Current Sociology, 71. Jg., Heft 7, S. 1293-1311.

Jana Albrecht ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der TU Berlin.
E-Mail: j.albrecht@tu-berlin.de
Christina Besio ist Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Organisationssoziologie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
E-Mail: cristina.besio@hsu-hh.de
Robert Jungmann ist Juniorprofessur für Soziologie mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Organisationssoziologie an der Universität Trier.
E-Mail: jungmann@uni-trier.de
Beitrag als PDF/DOI
Verantwortung (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)
Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit
Verantwortung
Wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, so geht es dabei oft um bestehende oder drohende Schäden, für die jemand Verantwortung übernehmen soll. Aber wer? Anders konsumierende Konsumenten? Besser regulierende Politik? Umsichtiger wirtschaftende Unternehmen? Angesichts komplexer Zusammenhänge ist diese Frage nicht einfach zu beantworten – umso mehr, als mit Verantwortung auch Verteilungs- und Gerechtigkeits- sowie Machtfragen einhergehen.
Einleitung
Verantwortung und deren Zurechnung auf bestimmte Akteure sind im Nachhaltigkeitsdiskurs allgegenwärtig. Sehr präsent ist die Zurechnung von Verantwortung auf Konsumenten, die durch eine Änderung ihres Konsumverhaltens Verantwortung übernehmen sollen, indem sie bestimmte Produkte oder insgesamt weniger konsumieren. Als komplementäre Perspektive sehen viele auch die Politik in der Verantwortung, die insbesondere durch Regulierung und Bereitstellung von Infrastruktur Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit übernehmen soll. Auch eine über erfolgreiche Produktion hinausgehende soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen wird thematisiert sowie eine mögliche Verantwortung kollektiver Akteure von Dorfgemeinschaften oder Bürgerinitiativen, die beispielsweise fehlende Mobilitätsangebote im ländlichen Raum ausgleichen.
Ein Grundproblem bei der Diskussion von Verantwortung für Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung liegt darin, dass sowohl die Problemlagen als auch die Akteurskonstellationen komplex und miteinander verbunden sind. Ein einzelner Kaufakt, eine einzelne Regulierung oder ein einzelnes Unternehmen ist nie allein und direkt für eine Problemlage wie Klimawandel oder Biodiversitätsverlust verantwortlich, zu arbeitsteilig sind die Verhältnisse. Zudem machen Pfadabhängigkeiten (etwa bestimmter Energiequellen), Rebound-Effekte (wenn etwas billiger ist, wird mehr davon verbraucht) und kulturelle Bewertungen (Automobilität als Freiheit, neuer Kleidung als Luxus etc.) die Sache nicht einfacher. Hinzu kommt, dass Ziele, für deren Erreichen Verantwortung übernommen werden soll, sich teilweise widersprechen, beispielsweise Ausbau von Windenergie und Naturschutz, oder Elektromobilität und Abbau von seltenen Erden.
Angesichts dessen ist wenig überraschend, dass sich je nach Vorstellung von Nachhaltigkeit die Zurechnung von Verantwortung unterscheidet. Ob es bei Nachhaltigkeit vor allem um die Reduktion von Treibhausgasemissionen geht oder vor allem um eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs, bringt unterschiedliche Zurechnungen von Verantwortung mit sich. Dabei hat Verantwortung auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun – etwa indem diejenigen Staaten oder Akteursgruppen, die zur Entstehung nicht-nachhaltiger Problemlagen mehr beitragen, auch eine größere Verantwortung für diese tragen oder tragen sollen. Zudem spielt die zeitliche Dimension eine wichtige Rolle, gilt es doch, sowohl historische Verursachung zu berücksichtigen als auch gerade mit Blick auf künftige Generationen für das Erreichen von Nachhaltigkeit globalgesellschaftlich gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.
Verantwortung und Nachhaltigkeit
Der Begriff Verantwortung bezeichnet üblicherweise eine zugerechnete (Selbst-) Verpflichtung, für durch eigenes Handeln verursachte Schäden einzustehen. Anders als Begriffe wie „Schuld“ oder „Pflicht“ entsteht der Begriff der Verantwortung relativ spät. Er wird im Mittelalter zunächst in einem juristischen Kontext verwendet und erst im 20. Jahrhundert alltagsgebräuchlich (Bayertz 1995). Im Nachhaltigkeitsdiskurs ist es das Buch „Das Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas, das Verantwortung und Nachhaltigkeit erstmals prominent aufeinander bezieht. Jonas unternimmt darin angesichts offensichtlicher ökologischer Gefährdung den Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation – danach kommt jedem direkte persönliche Verantwortung für den Erhalt der Umwelt zu, auch gerade mit Blick auf künftige Generationen (Jonas 1984).
Soziologisch fällt auf, dass der Begriff Verantwortung in einer gesellschaftlichen Konstellation relevant wird, in der die Relation zwischen „eigenem Handeln“ und „verursachten Schäden“ problematisch wird. Im Zuge wirtschaftlicher Industrialisierung und funktionaler Differenzierung der Gesellschaft wandeln sich soziale Praxisbereiche von einer Orientierung an durch Personen ausgeübten handwerklichen oder professionellen Rollen mit ihrer auf solche Rollen ausgerichteten Ethik hin zu formaler Organisation (vgl. etwa Abbott 1991). Die Auflösung von sozialen Schichten als gesellschaftlicher Primärstruktur im Zuge funktionaler Differenzierung ermöglicht zwar Individualisierung und damit zunehmend die Zurechnung von Verantwortung auf einen größer werdenden Kreis nunmehr eigenständiger Individuen. Aber diese Individuen sind verstärkt in formal organisierten Kontexten tätig, die wiederum durch zunehmend komplexe Regulierung, zunehmend globalisierte Märkte und internationale Lieferketten sowie zunehmend differenziertes wissenschaftliches Wissen geprägt sind.
Bis auf vergleichsweise wenige Entscheidungen im absoluten Nahbereich sind die Verhältnisse so komplex geworden, dass die Zurechnung von Verantwortung auf einzelne individuelle oder auch korporative Akteure immer offensichtlicher nicht eindeutig zurechenbar ist, weil eben nicht eine Handlung kausal einen Schaden verursacht, sondern eine Vielzahl von Handlungen und Handlungsbedingungen zusammenwirken (Bayertz 1995, Henkel 2013/2014). So ist beispielsweise Konsumverhalten eingebettet in einen global industrialisierten Agrar- und Ernährungskomplex, selbst für die im Hofladen erworbenen Lebensmitteln aus biodynamischer Landwirtschaft gilt, dass für deren Herstellung mindestens ein mit Traktor verwendet wurden und Direktvertrieb ein funktionierendes Internet sowie eine gepflegte Website erfordern.
Soziologische Perspektiven auf Verantwortung und Nachhaltigkeit
In der Soziologie ist Verantwortung anders als „Handlung“ oder „Struktur“ kein selbst eigenständiger sozialtheoretischer Begriff. Soziologische Auseinandersetzung mit Verantwortung ist stattdessen empirisch und gesellschaftstheoretisch orientiert, etwa entwickelt Karl-Otto Apel Überlegungen zu „Diskurs und Verantwortung“ oder Anthony Giddens zu Eigenverantwortung im Sozialstaat, was wiederum kritisch reflektiert wird (Heidbrink/Hirsch 2006). Vor diesem Hintergrund ist die Soziologie bereits gut gerüstet, um sich mit dem Aspekt der Verantwortung im Nachhaltigkeitsdiskurs zu befassen. Dabei lassen sich drei thematische Schwerpunkte unterscheiden, nämlich einmal eine Reflektion der Grenzen individueller Verantwortung, zweitens die Zurechnung von Verantwortung als Responsibilisierung sowie drittens die Auseinandersetzung damit, wie eine plausible Zurechnung von Verantwortung auch unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit aussehen könnte.
Reflektion der Grenzen individueller Verantwortung
Eine Verantwortung des Einzelnen insbesondere als Konsument ist im Nachhaltigkeitsdiskurs prominent. Dies gilt nicht nur für den öffentlichen Diskurs, wenn sich beispielsweise Werbung an Verbraucher richtet, indem sie die Möglichkeit eines individuellen Beitrags zum Umwelt- und Klimaschutz mit den Eigenschaften eines Produktes verbindet. Darüber hinaus ist die individuelle Konsumentenverantwortung auch in prominenten Nachhaltigkeitsansätzen zentral. So lässt sich insbesondere in der Postwachstumsperspektive die Prämisse verorten, dass eine Transformation bottom-up von geändertem Konsumverhalten ausgehen soll (Paech 2012). Projekte, die sich als Teil sozialer Bewegungen sehen, wie repair-cafés, urban-gardening oder Unverpackt-Läden, stehen in diesem Umfeld, das auf individuell verantwortliches Konsumverhalten, Regionalität, Befreiung vom Überfluss und Langlebigkeit setzt.
Aus soziologischer Perspektive werden Ansätze wie diese vor dem Hintergrund praktischer Bedingungen individuellen Handelns reflektiert. Die soziologische Praxistheorie geht davon aus, dass menschliches Handeln und soziale Strukturen als soziale Handlungsbedingungen in konkreten Praktiken verbunden sind. So spielen materielle Infrastruktur, kulturelle Werte und auch konkrete Anforderungen von Organisationen als Arbeitsgebern oder gesetzlicher Art eine wichtige Rolle dafür, ob mit dem Fahrrad gefahren wird, wie Ernährungsgewohnheiten aussehen oder wie oft und lange geduscht wird. Für eine Verhaltensänderung in Richtung größerer Nachhaltigkeit ist daher nicht nur der Einzelne verantwortlich – auch Politik, Unternehmen und Medien sind gefordert, um ein solches Verhalten nahezulegen oder jedenfalls zu ermöglichen (etwa Shove 2014).
Aus einer im weitesten Sinne praxistheoretischen Perspektive werden soziologisch sowohl empirische, konkrete Felder nachhaltiger Transformation näher untersucht (beispielsweise Görgen 2021). Damit bestehen Berührungspunkte zu einer ethischen Perspektive im Nachhaltigkeitsdiskurs, die eine funktionale und normative Überforderung des Konsumenten reflektiert (Grunwald 2012). Unter dem Stichwort der „Multiakteursverantwortung“ ist dies in die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zum Thema Klimagerechtigkeit eingegangen (Ethikrat 2024). Bezüge bestehen auch zu einer interdisziplinären Anthropozän-Forschung, die anregt, den Akteursbegriff grundsätzlich neu zu fassen und eine Wechselwirkung in Mensch-Naturverhältnissen systematisch zu berücksichtigen (etwa Latour 2018).
Zurechnung von Verantwortung als Responsibilisierung
Folgt man der gesellschaftstheoretischen Feststellung, dass unter Bedingung von Arbeitsteilung, Organisationsbildung und funktionaler Differenzierung die Bezüge zwischen Handeln und durch dieses Handeln verursachtem und daher zu verantwortendem Schaden uneindeutig geworden sind, so liegt die Frage nahe, wie eine Zurechnung von Verantwortung auf einzelne Akteure gleichwohl erfolgt. Der Begriff der Responsibilisierung wird in diesem Zusammenhang teilweise verwendet, um den kontingenten Charakter solcher Verantwortungszurechnung auf Einzelne zu verdeutlichen: Wenn Zurechnung auch anders möglich wäre, dann liegt in diesem Akt auch ein Ausdruck von Macht.
Wie eine solche Zurechnung erfolgt und was sie mit den so Responsibilisierten macht, sind soziologisch relevante Fragestellungen. Aus dieser Perspektive lässt sich beispielsweise fragen, wie in Partizipation Verantwortung hergestellt wird, inwieweit Eigenverantwortung als neoliberale Regierungstechnologie gesehen werden könnte oder wie Verantwortungszuschreibungen in der Inszenierung von Fairtrade funktionieren (vgl. die Beiträge von Burger, Sulmowski und Jonas im Band Henkel/Luedtke et al. 2018). Soziologisch kann reflektiert werden, dass jede Responsibilisierung zugleich die Mitverantwortung anderer beteiligter Akteure und Strukturen potentiell unsichtbar macht und auf diese Weise grundsätzlich dazu beitragen kann, nicht-nachhaltige Strukturen aufrechtzuerhalten. Gerade wenn die Zurechnung von Verantwortung insofern asymmetrisch ist, als die zugerechnete Verantwortung über die individuelle Handlungsmacht hinausgeht, ist dies problematisch: Responsibilisierung wirkt auf die Subjektivität derjenigen, die verantwortlich sind, gemacht werden oder sich zu sein bemühen, in diesem Zusammenhang wird auch von einem „Bann der Verantwortung“ gesprochen (Vogelmann 2014).
Vor diesem Hintergrund ist die Einsicht in die Heterogenität des Nachhaltigkeitsbegriffs besonders relevant: Je nach Verständnis von Nachhaltigkeit ergibt sich auch eine unterschiedliche Zurechnung von Verantwortung. Versteht man unter Nachhaltigkeit eine ökologische Modernisierung, so sind Unternehmen in der Verantwortung, Produkte mit ökologischem Mehrwert herzustellen und Konsumenten, diese zu kaufen. Versteht man Nachhaltigkeit eher im Sinne der Postwachstums, so sind Konsumenten in der Verantwortung, weniger, regionaler und bewusster zu Konsumieren sowie Unternehmen, langlebigere Produkte ressourcenschonend herzustellen. Die Frage nach einer Verantwortung für Nachhaltigkeit ist damit nicht nur eine Frage nach impliziten oder expliziten normativen Prämissen. Sie verweist außerdem auf grundlegende Spannungsverhältnisse der modernen Gesellschaft und inhärente Dilemmata der Nachhaltigkeit (SONA 2021).
Verantwortung als Gerechtigkeitsfrage
Bereits der Hinweis auf den Bezug zwischen zugerechneter Verantwortung und individueller Handlungsmacht deutet darauf hin, dass mit Verantwortung für Nachhaltigkeit nicht nur Macht-, sondern auch Gerechtigkeitsfragen tangiert sind. Wenn Verantwortung angesichts komplexer Verhältnisse nicht eindeutig gegeben ist, deren Zurechnung den Responsibilisierten in ihrer Persönlichkeit und Selbstwahrnehmung betrifft und eine über die Handlungsmacht hinausgehende Verantwortungszurechnung die Aufrechterhaltung nicht-nachhaltiger Strukturen begünstigt, so ist eine gerechte Verteilung von Verantwortung im Kontext von Nachhaltigkeit offensichtlich erforderlich. Dies gilt umso mehr, je höher die Kosten durch Klimaschäden und für einen nachhaltigen Umbau der Gesellschaft werden.
Eine zentrale Herausforderung bei der Frage nach einer gerechten Verteilung der Verantwortung im Kontext von Nachhaltigkeit ist, welche Maßstäbe dafür angelegt und wie die Akteursgruppen gebildet werden. Damit ist der soziologisch zentrale Aspekt sozialer Ungleichheit tangiert. So wird bei der Frage, wer welche Verantwortung und damit auch Kosten für die Bewältigung des Klimawandels zu übernehmen hat, auf internationaler Ebene nicht nur die aktuelle, sondern auch die historische Verursachung von Treibhausgasen einbezogen und dies auf die Ebene von Nationen bezogen. Die Art der Zurechnung verändert sich erheblich, wenn statt Nationen Einkommensgruppen angesetzt werden und damit Verursachung abgestuft wird nach dem Ausmaß des einkommensgruppenspezifischen Beitrags zur Verursachung von Treibhausgasen. Es wird dann deutlich, dass die einkommens- und vermögensstärkste Gruppe von Individuen überproportional stark zur Verursachung beiträgt und dies relativ unabhängig von den durchschnittlichen Emissionen ihres Herkunftslandes. Maßnahmen zur Beförderung von Nachhaltigkeit und zur Verminderung sozialer Ungleichheit zusammen zu denken, wäre daraus eine Forderung – progressiver Besteuerung von Energie, Ausbau von öffentlichen Gütern, die für alle zugänglich sind und sehr hohe Besteuerung klimaschädlicher Luxusgüter wären daraus zu ziehende Konsequenzen (Chancel 2020).
Macht und soziale Ungleichheit stärker im Nachhaltigkeitsdiskurs zu berücksichtigen (wie Wendt und Görgen vorschlagen in Henkel/Luedtke et al. 2018), wird vor diesem Hintergrund zunehmend relevant.
Zum Weiterdenken
Soziologische Perspektiven auf das Verhältnis von Nachhaltigkeit und Verantwortung sind geeignet, normative Prämissen zu entwickeln sowie Bedingungen, Implikationen und Herausforderungen der Zurechnung von Verantwortung offen zu legen und zu reflektieren. Für die Gestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft ist dies bedeutsam: Bei Verantwortung geht es wie beim Vertrauen um den Umgang mit Unsicherheit. Vertrauen funktioniert dabei mit Referenz auf Zukunft. Weil die gegenwärtige Zukunft notwendig in der gegenwärtigen Gegenwart unsicher ist, ist ein gewisses Maß an Vertrauen unabdingbar – etwa in Politik, Institutionen oder das Funktionieren von Techniken. Verantwortung dagegen funktioniert mit Referenz auf (künftige) Vergangenheit zum Umgang mit eingetretenen bzw. künftig möglicherweise eintretenden Schäden. Dies involviert nicht nur die vergleichsweise einfache Frage, wer etwaige materielle Kosten zu tragen hat. Schwerwiegender ist vielmehr die Frage, ob ein zuvor gegenwärtig zukunftsgerichtetes Vertrauen retrospektiv als gerechtfertigt oder aber als verantwortungsloses „blindes Vertrauen“ angesehen wird (Henkel 2013/2014). Zudem hat eine gegenwärtige Klärung von Verantwortungsverhältnissen Auswirkung auf die Handlungsprämissen derjenigen, denen Verantwortung im Schadenfall zugerechnet oder eben nicht zugerechnet wird. Vertrauen und Verantwortung sind also eng verbunden. Es hat jedenfalls Auswirkungen auf Art und Umfang gegenwärtigen Vertrauens, welche Mechanismen der Verantwortungszurechnung hinsichtlich des Umgangs mit einem möglichen künftigen Schaden bestehen. Gilt dies ganz grundsätzlich, so ist es gerade mit Bezug auf die ökologische Frage von im wahrsten Sinne des Wortes existentieller Bedeutung.
Zum Weiterlesen
Bayertz, K (1995): Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung. In: Bayertz. K. (Hrsg.): Verantwortung. Prinzip oder Problem? Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 3-71.
Grunwald, A (2012): Ende einer Illusion. Warum ökologisch korrekter Konsum die Umwelt nicht retten kann. München: Oecom.
Henkel, A/Lüdtke, N/Buschmann, N/Hochmann, L (2018): Reflexive Responsibilisierung. Verantwortung für nachhaltige Entwicklung. Bielefeld: transcript.
Abbott, A. (1991): The Future of Professions: Occupation and Expertise in the Age of Organisation S. In: Bacharach, S. (Hrsg.): Research in the Sociology of Organizations. London: JAI Press.
Bayertz, K. (1995): Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung. In: Bayertz. K. (Hrsg.): Verantwortung. Prinzip oder Problem? Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 3-71.
Chancel, L (2020): Unsustainable Inequalities. Social Justice and the Environment. Cambridge: Massachusetts.
Deutscher Ethikrat (2024): Klimagerechtigkeit. Stellungnahme. Berlin: Deutscher Ethikrat.
Görgen, B. (2021): Nachhaltige Lebensführung. Praktiken und Transformationspotenziale gemeinschaftlicher Wohnprojekte. Bielefeld: transcript.
Grunwald, A (2012): Ende einer Illusion. Warum ökologisch korrekter Konsum die Umwelt nicht retten kann. München: Oecom.
Heidbrink, L./Hirsch, A. (2006): Verantwortung in der Zivilgesellschaft. Zur Konjunktur eines widersprüchlichen Prinzips. Frankfurt am Main: Campus.
Henkel, A. (2013/2014): Gesellschaftstheorie der Verantwortung. Funktion und Folgen eines Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. In: Soziale Systeme, Sonderhaft „Precarious Responsibility“, 19. Jg., Heft 2, S. 471-501.
Henkel, A./Luedtke, N./Buschmann, N./Hochmann, L. (2018): Reflexive Responsibilisierung. Verantwortung für nachhaltige Entwicklung. Bielefeld: transcript.
Jonas, H. (1984): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Latour, B. (2018): Das terrestrische Manifest. Berlin: Suhrkamp.
Paech, N. (2012): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München: Oekom.
Shove, E. (2014): Putting Practice into Policy: Reconfiguring Questions of Consumption and Climate Change. In: Contemporary Social Science, 9. Jg, Heft 4, S. 415-429.
Netzwerk Soziologie der Nachhaltigkeit (2021): Soziologie der Nachhaltigkeit. Bielefeld: transcript.
Vogelmann, F. (2014): Im Bann der Verantwortung. Frankfurt am Main: Campus.

Anna Henkel ist Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Techniksoziologie und nachhaltige Entwicklung an der Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Passau.
Email: anna.henkel@uni-passau.de
Rezension zum Buch "Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt"
Rezension „Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt"
Eversberg, D., Fritz, M., von Faber, L., Schmelzer, M. (2024): Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt. Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation. Frankfurt und New York: Campus, 221 S.
Auch in Deutschland greift der Trend zu offensiveren Spielarten eines klimapolitischen Obstruktionismus (Ekberg et al. 2022) seit der Pandemie um sich. In Wahlkämpfen wird die Ansprache von Umwelt- und Klimathemen gerade von jenen gemieden, die dazu progressive Positionen vertreten, während die in der Bevölkerung um 2018 herum bestehenden Mehrheiten für eine übergeordnete Berücksichtigung von Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschafts-, Städtebau- und Verkehrspolitik rapide schwinden (Grothmann et al. 2023: 23; in den mir als UBS-Beiratsmitglied einsichtigen Daten der neusten Studie aus 2024 beschleunigen sich diese Trends weiter). Im OECD-Vergleich unterstützen die Deutschen einige ökologische Maßnahmen wie grüne Infrastrukturprogramme oder Verbrennerverbote sogar unterdurchschnittlich (Dechezlepretre et al. 2022: 22). Gleichzeitig sind eine Trendumkehr bei den in den Nuller- und Zehnerjahren deutschlandweit abgesunkenen demokratieskeptischen bis -feindlichen Einstellungen sowie eine neue Öffentlichkeitsfähigkeit persistierender chauvinistischer und gruppenbezogen menschenfeindlicher Ressentiments zu beobachten (Decker et al. 2022: 44-50). Homogene soziale Netzwerke segregieren sich entlang des Grüne-AfD-Gegensatzes und tragen zu einer affektiven Polarisierung im Politischen bei (Teichler et al. 2023: 33f., 93f.). Letztere wird lediglich durch die Übertreibungen gewiefter Polarisierungsunternehmer*innen erzeugt, die sich eine bei unteren sozialen Schichten ausgeprägte(re) „Veränderungserschöpfung“ zunutze machen und denen es gelingt, durch das geschickte rhetorische Bündeln und Bewirtschaften ansonsten diffus bleibender Entgrenzungs- und Traditionsverlustbefürchtungen tatsächlich vorhandene Grundkonsense zu übertönen (Mau et al. 2023): Diese Zeitdiagnose büßt, kaum ist sie gestellt, angesichts der enormen Dynamik aktueller Entwicklungen an Plausibilität bereits drastisch ein.
Hier setzen Dennis Eversberg und seine Kolleg*innen von der Universität Jena mit ihrer theoretisch anspruchs- und empirisch gehaltvollen sowie eloquent und flüssig geschriebenen Studie an, die – diese Bemerkung sei gleich zu Anfang gestattet – auf den Schreibtisch jedes sozialökologisch interessierten Sozialwissenschaftlers und jeder reflektierten Umweltpolitikerin gehört. In Bourdieuscher Manier fragt die Studie nach Zusammenhängen von Sein und Bewusstsein, die weder deterministisch allein von der Seite der Sozialstruktur her zu erklären noch befriedigend aufzulösen sind in das Spiel von „diskursiven Konjunkturen oder Krisen“ (S. 70). Sie macht damit all jenen ein Orientierungsangebot, die sich fragen, welche Motive eines sachangemessenen Umgangs mit den ökologischen Herausforderungen in unserem Land (und wohl auch in anderen westlichen Gesellschaften) bei welchen Teilen der Bevölkerung überhaupt noch auf ein Entgegenkommen hoffen dürfen. Gerade weil die Wissenschaftler*innen sich auf relativ ‚alte‘ Umfragedaten aus der Zeit unmittelbar vor dem Ukrainekrieg stützen, auf geringfügig ältere Daten also als Mau und Kollegen in ihrer vielrezipierten Triggerpunkte-Studie, können sie glaubhaft dem bei retrospektiver Befassung mit dieser Studie sich aufdrängenden Eindruck entgegenwirken, vor wenigen Jahren noch habe es einen in der Bevölkerung stabil verankerten Klimakonsens gegeben. Die „ökologische Klassenfrage im Werden“ (Mau et al. 2023: 220) wird, das können Eversberg und Kolleg*innen mithilfe ihrer Datenexplorationen (Hauptkomponenten- und Clusteranalysen; S. 88ff.) zeigen, nicht bloß durch Distinktionsgebärden gut situierter ‚Ökos‘ affektiv angeheizt und betrifft auch nicht nur die innergesellschaftliche Verteilung von Transformationskosten.
Der um solche Kosten sich drehende „Veränderungskonflikt“, wie ihn die Autor*innen nennen, ist einer zwischen der „abtrakte[n] Orientierung am langfristigen Überlebensinteresse“ und „einem Festhalten am bisher Gewohnten“, das sich „aus der konkreten Angewiesenheit auf einen bestimmten Arbeitsplatz oder auf konstante Benzinpreise … ergibt“ (S. 168). Diese Angewiesenheit spüren etwa ältere, geringverdienende Arbeitnehmer*innen in bestimmten Dienstleistungsbranchen, die sich durch die allgemeine Qualifikationsentwicklung abgehängt sehen und im von Politik und Gesellschaft stark abgewandten Mentalitätstyp der sog. „Zurückgezogenen Notwendigkeit“ konzentrieren (S. 109) – aber auch Menschen mit moderatem Einkommen in Büroberufen oder vom Typus „Hausfrau/-mann“, deren sog. „Harmonistischer Konformismus“ zum Zeitpunkt der Studie eher klassischen FDP-Positionen zuneigt (S. 101f.). Ähnlich wie Mau und Kollegen halten die Jenaer Autor*innen den Veränderungskonflikt um Kosten und Geschwindigkeit des Strukturwandels für zwar in realen lebensweltlichen Erfahrungen begründet, aber auch für medial und politisch aufgeputscht. Diese Vermutung ist plausibel, auch wenn sie dem eigenständigen Effekt entlang des medial induzierten Grüne-AfD-Gegensatzes sich scheidender Bekanntenkreise, von dem eingangs die Rede war und der in der Studie nur einmal kurz erwähnt wird (S. 35), womöglich nicht genug Beachtung zollt. Dies kann sie auch deshalb nicht, weil durch die Umfrage keine sozialen Netzwerke untersucht wurden (von Faber/Fritz 2023: 60-75); wie meist in der Einstellungs- und auch Lebensstilforschung handelt es sich bei den „Mentalitäten“, die im Zentrum dieser Studie stehen, um entlang ihrer Ähnlichkeiten in Lebenslage und Einstellungen aggregierte, abstrakte Gruppen von Individuen.
Das durch das Aufputschen des Veränderungskonfliktes um die ökologische Transformation veranlasste Zusammenrücken eines eminent bürgerlichen, „konservativ-steigerungsorientierten“ Spektrums, zu dem der eben erwähnte konformistische Mentalitätstyp gehört, mit einem im sozialen Status zurückgesetzten „defensiv-reaktiven“ Spektrum birgt in den Augen von Eversberg und Kolleg*innen erhebliche „demokratiepolitische Risiken“; es droht ein Bündnis zwischen „Besitzinteressen … und … radikale[m] anti-gesellschaftlichen Affekt“ (S. 169, 171). Diese Formulierung wirft auf die Diskussionen um Rechtspopulismus, bröckelnde ‚Brandmauern‘ usw. insofern ein scharfes Licht, als sich in jenem steigerungsorientierten Spektrum nicht nur kleinbürgerliche Mentalitätsträger*innen wiederfinden, sondern zuvörderst auch Menschen in sehr hochqualifizierten, oftmals leitenden Dienstleistungsberufen, Selbstständige mit sehr hohem Einkommen usf. Ihr „Liberaler Wachstumsoptimismus“ (S. 97 ff.), der die Gewissheit beinhaltet, die Gesellschaft begreifen und gestalten zu können, steht zu den Ohnmachtsgefühlen im defensiv-reaktiven Spektrum eigentlich in schärfstem Gegensatz. Wenn sie gleichwohl mit diesem Spektrum in einer Ablehnung weitreichender Transformationen zu konvergieren drohen, so lässt sich das durch einen weiteren Gegensatz erklären – den zum dritten, dem sog. „ökosozialen“ Spektrum. In der klaren Herausarbeitung der beiden entsprechenden Konfliktlinien besteht das eigentliche Verdienst des Buches.
Zum einen handelt es sich dabei um einen in der Studie so bezeichneten „Abstraktionskonflikt“, der gerade schon kurz angeklungen ist. Er schwelt vor allem zwischen Gruppen mit hohem und niedrigem wirtschaftlich-kulturellen Kapital; Selbstwirksamkeits- und Überforderungserfahrungen stehen sich in ihm gegenüber. Dies hat eine eminent kognitive Dimension: Menschen mit niedrigerer Bildung und niedrigerem soziökonomischem Status bejahen nicht nur häufiger und stärker die Aussage „Es ist zwecklos, meinen eigenen Beitrag für die Umwelt zu leisten, solange andere sich nicht genauso verhalten“ oder machen sich stärkere „Sorgen, dass sich unser Leben in Deutschland zu sehr verändert“ (S. 133) – wozu sie in beiden Fällen angesichts ihrer geringeren beruflichen Flexibilität und ihres geringeren CO2-Fußabdrucks auch gute Gründe haben –, sondern sie engagieren und äußern sich auch weniger häufig politisch (S. 104, 106) und misstrauen öfter den Medien sowie der Wissenschaft (S. 133). Man muss bei dieser Analyse unwillkürlich an den in etlichen westlichen Ländern zu findenden, statistisch schwachen Zusammenhang zwischen selbstzugeschriebener „rechter“ politischer Orientierung und einem niedrigeren Vertrauen in Wissenschaftler*innen denken (Cologna et al. 2025). Der weniger direkte Zugang zu abstrakt-wissenschaftlichem Wissen wirkt der Jenaer Studie zufolge mit geringeren kulturellen und wirtschaftlichen Ressourcen zur Bewältigung aktualer und kommender Umbrüche insofern ungünstig zusammen (S. 149), als etwa die Klimaforschung sich ja „auf ein geradezu idealtypisches abstraktes Wissen [stützt], das nur mittels komplexer Einrichtungen und Verfahren zu gewinnen ist und dem nur das Vertrauen in diese Einrichtungen und Verfahren einen Wert zuschreiben kann“ (S. 134f., Herv. M. R.). Die Entfremdung von gesellschaftlichen Institutionen und das Abblenden von Komplexität fallen im Abstraktionskonflikt in eins; die ökologische Thematik erscheint lediglich als sein prominentestes, exemplarisches Opfer.
Dass zum anderen aber die Hochstatusgruppen des konservativ-steigerungsorientierten und des ökosozialen Spektrums in der ökologischen Krise nicht zueinanderfinden, hat dem klassenanalytischen Ansatz der Studie zufolge v. a. damit zu tun, dass die einen ihren Status auf Besitz, die anderen auf Bildung gründen. Die sozialstrukturellen Differenzen zwischen beiden Spektren sind weniger an (ähnlich hohen) Äquivalenzeinkommen und Bildungsabschlüssen festzumachen, als vielmehr an Faktoren wie Aktienbesitz und Wohneigentum auf der Seite des steigerungsorientierten sowie der Herkunft aus Akademikerfamilien und der Arbeit in entsprechenden Berufen, auch im öffentlichen Dienst bzw. generell „interpersonale[n] Tätigkeiten in vorwiegend öffentlich finanzierten Bereichen“, auf der Seite des ökosozialen Spektrums (S. 117, 138). Zwei der drei in diesem letztgenannten Spektrum verorteten Mentalitätstypen, die jungen und expansiv eingestellten „Progressiven Selbstverwirklicher“ und die etwas bescheidener lebenden, politisch besonders engagierten „Ökosozialen Aktivbürger*innen“, leben zudem besonders häufig in Großstadtzentren (S. 91-95). Zwischen ökosozialem und steigerungsorientiertem Spektrum prägt sich ein Konflikt besonders stark aus, den die Autor*innen als „Lebensweisekonflikt“ bezeichnen, weil Veränderungs- und Bewahrungsaffinität sowie egalitäre und hierarchische Gesellschaftsvorstellungen hier in einen Gegensatz geraten. Dieser Gegensatz wird aus einzelnen Items etwas spekulativ geschlossen (vgl. von Faber/Fritz 2023: 62); eine systematische Erhebung von Werteinstellungen fehlte im Fragebogen. Präziser wäre der Konflikt, den die Autoren als Gegensatz zwischen der Orientierung an öffentlich-allgemeinen und privat-partikularen Interessen beschreiben und für den in sozialökologischer Hinsicht etwa die Zustimmung oder Ablehnung des Autos als Freiheitssymbol und das Verhältnis zur umweltpolitischen Regulierung der Wirtschaft stehen (S. 140-142), wohl als „Gemeinwohlkonflikt“ adressiert.
Besonders gewinnbringend und ‚zielgruppengenau‘ wird die Lektüre des Buches auf der Ebene unterhalb der drei in dieser Rezension einigermaßen bündig zu reproduzierenden Spektren, also auf jener der zehn (in etwa gleich großen) Mentalitätstypen. So ist etwa die „Ökosoziale Reduktion“, obgleich dem ökosozialen Spektrum zugeordnet, als Mentalität relativ unabhängig von Bildungsabschlüssen und eher bei alten, am Rande von Städten lebenden Menschen ausgeprägt (S. 97); im Gemeinwohlkonflikt stellt diese im Status eher niedriger gestellte und gleichzeitig von Vermögen abhängigere Gruppe sich z. B. eher gegen die Regulierung der Wirtschaft, lebt aber von allen Gruppen am überzeugtesten „suffizient“, ja „antihedonistisch“ (S. 151). Der ihnen sozialstrukturell ähnliche, nur geringfügig schlechter gestellte sowie geringer qualifizierte Typus der „Öko-Konservativen“ wiederum teilt diesen Antihedonismus gar nicht und ist außerdem deutlich regulierungsfreudiger und wachstumsskeptischer als die anderen Mentalitäten im konservativen Spektrum (S. 99f.). Einen weiteren interessanten, problematischen Typus bilden die sog. „instrumentellen Wachstumsindividualist*innen“, jung, non-konformistisch und überdurchschnittlich häufig AfD-affin, die sich zwar im Abstraktionskonflikt klar gegen die gesellschaftlichen Institutionen abschotten, andererseits aber den Konformismus und die Veränderungsaversion anderer Gruppen im defensiv-reaktivem Spektrum nicht teilen (S. 103ff.) Die Autor*innen diskutieren jede dieser zehn Mentalitäten genauso ausführlich wie ihre Beweglichkeit in den von ihnen skizzierten Grundkonflikten.
Während die Lektüre der Kernbefunde und auch „politischen Schlussfolgerungen“ der Studie jedem gesellschaftspolitisch interessierten Zeitgenossen ans Herz zu legen sind – das Buch ist, wie gesagt, nicht nur sehr gut und eingängig geschrieben, sondern zudem über die Website des Verlages kostenfrei zugänglich – darf diese an Sozialwissenschaftler*innen gerichtete Rezension nicht ohne einen Hinweis auf den eingangs erwähnten theoretischen Anspruch schließen. Wie in der Bourdieuschen Tradition hier Einstellungsmuster mit verschiedenen sozialstrukturellen Merkmalen (von Alter über Einkommen bis Stadt vs. Land) kombiniert und innerhalb eines zweidimensionalen Raumes (Kapitalhöhe und Kapitalsorte) verortet werden, erinnert natürlich an das Vorgehen der sog. Milieuforschung etwa von SINUS oder sociodimensions, wobei in dieser Jenaer Studie eine Zentralstellung der Kapitalsorte (Bildung vs. Besitz als Grundlage von Status) erfolgt. Als Explanandum vor allem für den nur zaghaft sich manifestierenden „Lebensweise-“ (Gemeinwohl-) sowie für den politisch-medial eskalierenden Veränderungskonflikt wird diese Dimension analytisch produktiv. Aber warum eigentlich „Klassenkonflikt“?
Indem die Autor*innen von Klassen sprechen, versuchen sie, ihren sozialtheoretischen Erklärungsansatz tiefer zu legen: Es geht ihnen nicht nur um eine plausible Beschreibung der Datenlage, sondern auch darum, unser soziologisches Weiterdenken darüber anzuregen, wie sich Interessengegensätze in einem an seine ökologischen Grenzen stoßenden „flexibel-kapitalistischen Wachstumsregime“ weiterentwickeln und wie sie die individuell-mentale Positionierung beeinflussen bzw. mit dieser interagieren könnten (S. 60). Sie behaupten gerade nicht, bei den gefundenen Mentalitätsformationen handele es sich bereits um „Klassenmentalitäten“, sondern wollen es erlauben, „Klassenbildungsprozesse(n)“ nachzuspüren, für welche jene Formationen als „mentale Textur“ eines sozialen Raums im Umbruch Anhaltspunkte liefern können (S. 70). Dieser Ansatz ist erfreulich vor allem deshalb, weil er die Frage nach der möglichen „Entstehung einer ökologischen Klasse“ (Latour/Schultz 2022) dem Bereich bloßer Rhetorik entreißt (S. 48f.), indem er versucht, sie in ein analytisches Paradigma umzusetzen. Er wird über die Beschreibung der Mentalitäten hinaus interessant z. B. dort, wo die Forscher*innen über das objektive ökologische Interesse jener nachdenken, die „ihr Auskommen noch immer dem direkten Umgang mit menschlicher wie außermenschlicher Natur verdanken – Landwirt*innen, Förster*innen, Pflegekräfte, Erzieher*innen“ (S. 64) – und über das Fehlen entsprechender subjektiver „prekär-ökosozialer“ Mentalitäten (S. 158). Die Spekulationen dazu, unter welchen Voraussetzungen eine vierte wichtige Dimension im sozial-ökologischen „Klassenkonflikt“, welche die fortwährende Externalisierung bzw. denkbare Re-Internalisierung sozialer Kosten der Umweltzerstörung betrifft, thematisch werden könnte, gehören zu den interessantesten, angesichts der Datenlage allerdings auch am wenigsten konklusiven Passagen des Buches.
Solche weiterführenden, künftige empirische Studien hoffentlich weiter inspirierenden Spekulationen wurden und werden durch das Aufrufen des auratischen, traditionsreichen Begriffes der „Klasse“ sicher befördert. Ein Überblick über diese Tradition legt zwar nahe, dass dieses Konzept ohne das Hineinnehmen einer weltanschauliche Selbstzuordnung zum Kollektiv („Klassenbewusstsein“) nicht ausdefiniert ist (Gurvitch 1954), was Eversberg und Kolleg*innen um ihres empirisch offenen, Mentalitäten explorierenden statt determinierenden Ansatzes natürlich nicht leisten wollen (vgl. S. 162). Aber indem die Autor*innen ihren Sozialraum anhand der Kategorien Kapital und Bildung aufspannen und diese, in den Worten des im Zusammenhang mit dem Mentalitätsbegriff auch von ihnen herangezogenen Theodor Geiger, als interessenbestimmende „Produktionsmittel“ auffassen (Geiger 1932: 5), gehen sie in der Tat einen Schritt über Begriffe wie „Schicht“ oder „Lage“ hinaus. Häufig erweist sich indes die konkrete Berufsgruppe als unentbehrliche Zusatzinformation, um Befunde genauer und anschaulicher zu interpretieren – das Erwerbsklassenschema von Daniel Oesch, das von den Jenaer Autor*innen relativ schnell abgetan wird („weniger eine Klassen- als eine Berufsgruppentypologie“; S. 37), hätte hier vielleicht gute Dienste leisten können.
Cologna, V./Mede, N.G./Berger, S. (2025): Trust in scientists and their role in society across 68 countries, in Nature Human Behavior. https://doi.org/10.1038/s41562-024-02090-5
Decker, O./Kiess, J./Heller, A./Brähler, E. (2022) (Hrsg.): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Leipziger Autoritarismus Studie 2022. Gießen: Psychosozial-Verlag.
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Gurvitch, Georges (1954): Le concept de classes sociales. Paris: Centre de Documentation Universitaire.
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Von Faber, L./Fritz, M.: BioMentalitäten in Deutschland. Bericht über die Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zu Bioökonomie und sozial-ökologischem Wandel. Working Paper Nr. 8, Mentalitäten im Fluss (flumen), Jena. https://doi.org/10.22032/dbt.57671

Manuel Rivera leitet die Forschungsgruppe „Kunst und Wissenschaft für Nachhaltige Entwicklung“ am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) in Potsdam.
Email: manuel.rivera@rifs-potsdam.de
Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2025-63573
Capitalism (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)
Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit
Capitalism
In the light of multiple crises affecting economic, ecological, and social orders, sociologists explore the relationship between sustainability and capitalism in terms of social values, structures, practices, and hegemonies. Despite sociological critiques pointing out how the capitalist logics of profit-driven market dynamics is incompatible with sustainable principles, the contemporary debate around capitalism and sustainability tends to gravitate towards concepts of sustainable capitalist production and consumption. This contribution provides an overview of these perspectives and suggests pathways for prospective research.
Introduction
The approval of a ‘European Green Deal’ by the European Parliament in 2020, business certifications such as the B Corp standard, and the rapidly growing industry of sustainable fashion are just a few examples of how capitalism and sustainability intersect in policy decisions, business conduct, and consumption practices. When trying to understand the relationship between capitalism and sustainability from a sociological perspective, core questions of sociological inquiry arise: Can sustainability be achieved within the capitalist system by changing structures or practices? Alternatively, does a socio-ecological transformation necessitate moving beyond capitalism as social order? How do social actors negotiate the conflicting norms and values of capitalism and sustainability? How do they navigate the systemic demands of a capitalist world order? What does agency look like in processes of socio-ecological and economic transformation?
In the following, we offer a brief introduction to capitalism and its relation to sustainability from a sociological perspective. We trace sociological approaches to capitalism from Marx to the present day and discuss their relationship with sustainability. Over the last decades, the academic discussion around capitalism and sustainability has been gravitating towards the question of whether socio-ecological transformation can be achieved by modifying the capitalist order to include sustainable systems, goals, and practices, or whether capitalism and sustainability are irreconcilable. While sociology started out with a fundamental critique of capitalist production as unsustainable, more recent approaches have provided critical analyses of capitalist reactions to the climate crisis. Outlining the arguments of this transdisciplinary debate, we explore what contributions sociological approaches can make and conclude with an outlook on further fields of inquiry.
Capitalism and Sustainability
Capitalism represents the currently dominating system of domestic and global economic organisation. While various forms of capitalist relations can be found across different economic epochs, it was in the 19th century that capitalist production in the form of large-scale industrialisation spread across Western Europe and the United States. It usually describes an economic system based on free market exchange, private property, and profit-driven growth. Capitalist structures are based on the pursuit of profit and competition within a market economy, where economic actors, such as businesses, strive to expand and increase their market share to generate higher returns for investors. Continual economic growth to sustain and enhance profitability is the core principle of a capitalist economy. Capitalist practices include market-driven exchange organised by competition, the externalisation of the costs of production, the extraction of resources, and the creation of demands through consumerism. According to Max Weber, capitalist logic no longer considers the satisfaction of basic human needs as the primary aim of economic activity, for in capitalism, economic acquisition becomes an end in itself (Weber 2001 [1930]: 18). The “spirit of modern capitalism” (2001 [1930]: 17) thus represents a normative force that reaches beyond economic activity into the values, beliefs, and actions of individuals and collectives.
Sociology as an academic discipline emerged in the 19th century describing and critically reflecting upon the societal changes that accompanied the rise of capitalism. Large-scale industrialisation became the cradle of the capitalist economic order in the Global North but also marked a new and accelerated phase of anthropogenic climate change. The term capitalism was developed as a critical concept in the 19th century, most prominently in the works of Karl Marx and Friedrich Engels (Marx and Engels 2012 [1847-48]). With a focus on the organisation of wage labour and its social consequences, they criticised the exploitative logic of the capitalist system of production. Analysing the political and economic developments of the 19th century, economic sociologist Karl Polanyi posited that the state is ultimately not interested in fostering the common good, but in facilitating the capitalist modes of production. He diagnoses a fundamentally conflictive relationship between a self-regulating market and “the elementary requirements of an organized social life” (Polanyi 2001 [1944]: 257).
As a dominant economic system that shapes social structures, relationships, and values, capitalism is central to sociological research on inequality, class divisions, labour markets, power relations, and cultural norms, but also resistance movements, conflicts, and alternative economic models. From a sociological perspective, capitalism does not merely refer to economic practices and structures that have environmental consequences but describes a logic that is inseparable from social and cultural change. This has important implications for environmental, social, and economic sustainability as the next section is going to show.
Sociological Perspectives on Capitalism and Sustainability
Building on classical sociological critiques of capitalist production, the more recent sociological field of sustainability and capitalism research draws interdisciplinary connections to, e.g., economic theory, practice theories, environmental studies, social philosophy, or conflict theory. It tends to question the concept of a sustainable capitalism that is put forward by proponents of ecological modernisation and that is reflected by the rise of ‘Green New Deal’ and sustainability agendas across different governance institutions.
The debate around ecological modernisation has been pursued in the fields of environmental sociology, political economy, and environmental and sustainability studies since the 1980s, suggesting that economic development and environmental sustainability can coexist and even further one another through ‘green’ technological innovation, policy regulations, and the integration of ecological concerns into economic practices. A ‘circular economy’, ‘green economy’, or ‘bioeconomy’ are the most prominent concepts discussed as possible pathways to a more sustainable economy (D’Amato et al. 2017). Capitalist practices that are declared ‘sustainable’, such as corporate social responsibility (CSR) schemes or social enterprises, seek to balance economic growth with environmental and social responsibility within capitalist systems by, e.g., reducing carbon footprints, improving labour conditions, or investing in community development. Another pathway that proponents of sustainable capitalism suggest is the implementation of ‘green’ technologies such as the use of renewable energies or more sustainable production methods. Highlighting the potential for technological innovation, market mechanisms, and policy interventions to address environmental challenges within a capitalist framework, they suggest that capitalism’s capacity for innovation can lead to the development of cleaner technologies, resource-efficient production processes, and sustainable business practices to mitigate environmental degradation and promote long-term sustainability (Smulders et al. 2014).
Yet, the striving for economic growth and profit maximisation also conflicts with principles of ecological sustainability as it builds on resource extraction while usually disregarding ecosystem services, environmental degradation, and resource depletion in profit and expense calculations. In addition, the externalisation of environmental costs, the unequal distribution of economic benefits as well as the exploitation of (unremunerated) labour in capitalism are factors that undermine social sustainability. Sociological perspectives on the relationship between capitalism and sustainability thus articulate a twofold critique of our current global market economy and its implication for anthropogenic climate change: Early accounts that have shaped the field of environmental sociology provide a foundational critique of capitalist production as inherently exploitative for the environment, whereas more recent accounts examine how sustainability has become integrated into this logic of capitalist reproduction in order to seemingly respond to the climate crisis while continuing business as usual.
As one of the prominent socio-economic concepts of the 20th century, Allan Schnaiberg’s ‘treadmill of production’ theory (1980) developed the Marxist criticism of extractivist capitalism further to address the relationship between capitalist economics and sustainability. As one of the prevalent theories from North American environmental sociology, the ‘treadmill of production’ framework posits that societal efforts to increase economic growth and consumption perpetuate a cycle of environmental degradation and resource depletion, ultimately leading to unsustainable outcomes as the drive for constant growth leads to the overuse of natural resources, environmental pollution, and the exploitation of labour. The economic benefits of this exploitative capitalism are usually unequally distributed, as are the environmental consequences, leading to alienated relationships between workers, labour, and the environment. While criticised for oversimplifying the complexities of global capitalism in the 21st century, the ‘treadmill of production’ framework highlights the need for a fundamental shift in economic and social systems towards sustainable logics and practices. This includes questioning the principle of continual growth and considering alternatives such as post- or degrowth concepts, circular economies, or other resource-conscious economic models.
Beyond the incompatibility of capitalist production and sustainability, Ève Chiapello and Luc Boltanski (1999) critically engage with the limited transformative scope within capitalist structures. They argue that capitalist systems resist threats to their basic mode of functioning by co-opting values from anti-capitalist movements to a degree that integrates criticism while preserving its fundamental logics and operations (2018 [1999]). Environmental critiques, more specifically, examine how capitalist practices incorporate demands for sustainability, e.g. the economisation and commodification of natural resources and environmental impact, in the form of corporate greenwashing, or the promises of ‘green finance’ (Chiapello and Engels 2021).
Discourses on ‘transformation’ have been gaining momentum over the last decade. The core argument implied in these transformation discourses is that sustainable impulses need to impact, both, economic and social structures to create a transformed, sustainable society. This requires not just changes on the level of individual behaviour, but deep structural adjustments within institutions, businesses, and political systems. Considering that the promises of a technological and bioecological transformation that were proclaimed towards the end of the 20th century revealed themselves as exaggerated and unrealistic (Eversberg et al. 2023), the question of where and how such transformative change can happen prevails. Ecological economist Tim Jackson emphasises how capitalist growth undermines both ecological sustainability and social flourishing, arguing instead for a cultural shift in the common perception of ‘prosperity’ (2017) and a transition from a growth-centric economic system to a ‘post-growth’ one that prioritizes well-being, reducing environmental harm, and rethinking consumerism (2021). From a practice theory angle, ‘transcapitalist practices’ that exist beyond conventional economic models and aim to change or transcend capitalist structures (Boddenberg 2018) are proposed as a potential pathway, including alternative economic models such as solidarity economies, commons-based initiatives, or new forms of consumption that are ecologically and socially responsible.
While sociological perspectives tend to highlight the incompatibility of capitalist structures with a notion of sustainability that would provide solutions for anthropogenic climate change and offer new ways of thinking about societal relations beyond the capitalist logic, current political-economic trends still pursue an agenda of ecological modernisation. Yet, new climate realities pose severe threats to the continuous workings of the current capitalist order, likely presenting limits to ‘Green Growth’ paradigm and the ‘business as usual’ approach.
Follow-up
Beyond the question of whether ‘Green Growth’ is actually ‘green’, the climate crisis might render the debate obsolete as business-as-usual strategies become increasingly unstable. The damages that natural disasters and extreme weather events inflict on local communities with increasing frequency because of anthropogenic climate change, the finite nature of many resources, and the increasing social and political instability that results from the economic inequalities produced within the capitalist order are just some of the factors that put into question the basic workings of capitalist practices.
As the debate on limits of green growth and ecological modernisation in the light of accelerating climate change might soon be overtaken by new climate realities, the effects of these changes on societies, alternative modes of organisation, and possible cultural logics outside the capitalist paradigm continue to provide fruitful ground for prospective sociological research.
Zum Weiterlesen
Escobar, A, (2015): ‘Degrowth, Postdevelopment, and Transitions: A Preliminary Conversation’. In: Sustainability Science, 10. Jg., Heft 3, S. 451-62.
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Valentina Ausserladscheider is Assistant Professor at the Department of Economic Sociology, University of Vienna.
Email: valentina.ausserladscheider@univie.ac.at
Mareike Zobel is Research Associate at the Forest Research Institute Baden-Württemberg, and Affiliated Researcher at the Department of Sociology, University of Cambridge.
Email: mz333@cam.ac.uk
Tagungsbericht zum zweiten Soziologischen Waldsymposium am 17.-18. Oktober 2024 an der FVA Freiburg
Tagungsbericht zum zweiten Soziologischen Waldsymposium am 17.-18. Oktober 2024 an der FVA Freiburg
Im Oktober 2024 kamen 47 Wissenschaftler*innen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz im Rahmen eines anderthalbtägigen Netzwerktreffens an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg zusammen, um sich zu sozialwissenschaftlichen Forschungsperspektiven auf den Wald auszutauschen. Das Soziologische Waldsymposium fand in dieser Form zum zweiten Mal statt, nachdem die Auftaktveranstaltung 2023 in Jena auf große Resonanz gestoßen war.
Was beschäftigt die soziologische Waldforschung – und was ist ihre aktuelle Relevanz? Anhand eines breiten Themenspektrums veranschaulichte das diesjährige Symposium deutlich, dass die soziologisch geprägte Waldforschung mit den fortschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen und Transformationen weiter an Bedeutung gewinnt. Das betrifft zum einen Fragen der Nachhaltigkeit, wie die Nutzung natürlicher Ressourcen oder das zugrundeliegende Verhältnis von Mensch und Natur. Eine Soziologie des Waldes profitiert hier vom interdisziplinären Austausch etwa mit der Umweltsoziologie, den Forstwissenschaften, den Environmental Humanities oder auch der Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitsforschung. Zum anderen spiegeln sich in den Konflikten verschiedener Interessensgruppen und den sich verändernden Anforderungen an eine Reihe etablierter Berufsbilder und Forstpraktiken auch größere kulturelle und soziale Transformationen und die damit verbundenen individuellen und gesellschaftlichen Spannungen. Eine thematisch und methodologisch breit aufgestellte Waldsoziologie trägt durch ihre Forschung dazu bei, diese gesellschaftlichen Entwicklungen am Wald und über den Wald hinaus besser zu verstehen.
Anknüpfend an das erfolgreiche Treffen im vergangenen Jahr stand auch dieses Mal der Austausch über Theorien und Methoden der sozialwissenschaftlichen Waldforschung sowie die Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmenden im Mittelpunkt. Im ersten Jahr seit der Gründung 2023 ist das Netzwerk bereits auf knapp 100 Mitglieder gewachsen, was den hohen Bedarf nach Vernetzung und Austausch bestätigt. Um dem gerecht zu werden, gaben offene und interaktive Formate Raum, die gemeinsame Kultur der Zusammenarbeit neu zu denken und zu erfahren. So konnte der intensive Austausch beispielsweise bei einem „walk-and-talk“ Spaziergang auch außerhalb des klassischen Tagungssettings fortgeführt werden und blitzlichtartige Frage-und-Austauschrunden gaben Gelegenheit, viele Perspektiven in kurzer Zeit zu teilen. Im Rahmen einer Fishbowl-Runde zu Beginn ließ sich nachvollziehen, wie vielfältig die akademischen Wege in die soziologische und soziologisch inspirierte Waldforschung sind. Diese unterschiedlichen disziplinären Hintergründe und persönlichen Werdegänge spiegelten sich dann auch in der inhaltlichen Breite, die sich in Form von fünf ganz unterschiedlichen Kurzpräsentationen zu Forschungsprojekten aus den Reihen der Teilnehmenden zeigte. Die Beiträge umfassten sowohl konzeptionelle und methodische Zugänge als auch empirische Ergebnisse:
Sebastian Garbe von der Hochschule Fulda eröffnete die Runde mit einer Vorstellung des Teilprojekts PROTEST, das sich mit Waldbesetzungen als Ausdruck ökologischer Solidarisierung mit und zwischen Wäldern im Kontext der Klimakrise befasst. Anschließend widmeten sich Jana Holz (Friedrich-Schiller-Universität Jena) und Anna Saave (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) in einer gemeinsamen Forschungsidee der Frage: Werden wir uns um den Wald gekümmert haben (wollen)? Ausgehend von unterschiedlichen Vorstellungen von (Für)Sorge in Bezug auf Wald schloss der Beitrag mit der normativen Aussage, dass die gesellschaftliche Verantwortung darin liegt, dass wir uns um den Wald gekümmert haben werden müssen. Florian Knutzen (Climate Service Center Germany) stellte daraufhin Ergebnisse einer Befragung zu Klimaextremen im Wald vor. Dabei zeigte sich, dass die befragten Akteure ähnliche Herausforderungen identifizieren, ihre Lösungsansätze jedoch je nach ihrem individuellen Waldverständnis stark variieren. Martina Perzl von der BOKU Wien teilte methodologische Überlegungen aus ihrer Forschung zur Saatgutproduktion in österreichischen Wäldern. Für ein tiefergehendes Verständnis von Grenzelementen und Machtkonzentrationen kombiniert sie Inhaltsanalysen mit relationalen Situationsanalysen. Den Abschluss der „Pitches“ bildete Tom Scheunemann (HS Fulda) mit der Frage, ob der Wald selbst Konzepte „schreibt“ und somit, im Sinne Foucaults, unser Wissen regiert. Dies veranschaulichte er anhand eines Interviewbeispiels, in welchem seine Vorstellungen zu Wald mit denen eines Försters konfrontiert wurden.
Diese inhaltlichen Impulse lieferten vielfältige Denkanstöße und zeigten eindrücklich, wie unterschiedlich und interdisziplinär die Themen der Waldforschung sind. Am zweiten Tag boten vier teils geplante, teils spontan organisierte Workshops die Möglichkeit, zu diesen und weiteren Themen in einen vertieften Austausch zu kommen. Ein erster Workshop widmete sich der Materialität des Waldes und griff die zuvor im Blitzlicht von Tom Scheunemann gestellte Frage „Wo ist der Wald in meinen Daten?“ auf. Die Diskussion drehte sich um verschiedene Perspektiven, welche zur Konzeptualisierung von Materialität und Handlungsmacht des Waldes in (soziologischer) Forschung beitragen könnten. Statt sich auf eine abschließende Antwort festzulegen, sammelte die Gruppe unterschiedliche methodologische und theoretische Ansätze. Die Bedeutung historischer Daten, die Einbindung verschiedener (auch naturwissenschaftlicher) Perspektiven auf den Wald, emotionale Zugänge sowie Ansätze des Neuen Materialismus wurden thematisiert und miteinander in Beziehung gesetzt.
Eine weitere Gruppe, angeleitet von Susanne Koch (TU München), widmete sich der Positionalität in der waldsoziologischen Forschung. Zunächst wurden die Ambivalenzen der Positionalität anhand einiger Fragen thematisiert: Wie dynamisch ist die eigene Position? Wie stark hängt sie von Kontext und Raum ab? Und wie eng ist sie mit Fragen der eigenen Identität verknüpft? Im Workshop wurden persönliche Werdegänge und disziplinäre Hintergründe geteilt, wodurch die Herausforderungen von Positionierung deutlich wurden. Besonders die Frage nach den Implikationen einer Nicht-Verortung stieß auf große Resonanz.
Ein dritter Workshop unter der Leitung von Andreas Gutmann (Universität Kassel) stellte eine kritische Reflexion kolonial geprägter Waldverhältnisse an, welche häufig von einem menschenleeren Raum ausgehen, der durch strategische Planung und Bewirtschaftung erst in Wert gesetzt werden muss. In dieser maßgeblich durch die deutsche Forstwirtschaft und Forstwissenschaft geprägten Haltung zeigt sich eine klare Trennung zwischen „Natur“ und „Kultur“. (Selbst-)kritisch wurde diese angenommene „Menschenleere“ als Grund für eine lange vernachlässigte soziologische Waldforschung diskutiert und der Wert einer solchen anhand von Fragen erörtert: Wie können koloniale Waldverhältnisse überwunden werden? Wie lassen sich nicht-westliche Waldbeziehungen (wieder) sichtbar machen?
In einem vierten Workshop stellten Nicole Weydmann, Christian Weidmann und Christina Weber (Hochschule Furtwangen) die Frage, mit welchen methodischen Zugängen Emotionen rund um den Klimawandel sozialwissenschaftlich definiert, erhoben und abgebildet werden können. Die Möglichkeiten und Grenzen qualitativer, quantitativer und künstlerisch-experimenteller Herangehensweisen wurden anhand von aktuellen Forschungsprojekten der Hochschule Furtwangen diskutiert. Über das Methodische hinaus ging es auch um Grenzen zwischen therapeutischem Handeln und Forschungspraxis im Themenfeld der Klimaemotionen und um die Frage, wie sich Forschende als gleichzeitig Betroffene in diesem Feld bewegen.
Nach einem inspirierenden, austauschintensiven Tagungsprogramm fand am Nachmittag des zweiten Tages eine Strategieschmiede statt, bei der die Teilnehmenden sich über die aktuelle und zukünftige Kultur, Form und Struktur des Netzwerks austauschten. Besonders positiv hervorgehoben wurde hier der vertrauensvolle Austausch auf Augenhöhe, der hohe Wert interdisziplinärer Diskussionen und die gebotenen Möglichkeiten zu Kooperation und Vernetzung. Mehrere der Workshopthemen sind auf so großes Interesse gestoßen, dass sich Arbeitsgruppen zum weiteren Austausch gebildet haben oder in Planung sind.
Den Abschluss bildete eine Waldexkursion am Freitagnachmittag. Diese lud die Teilnehmenden dazu ein, über ontologische und epistemologische Fragen rund um den Wald nachzudenken. Die Exkursion fand in der Nähe des Tagungsortes statt, im an die FVA angrenzenden Wald der Wonnhalde, der in den 1970er Jahren unter Mitwirken der FVA als Prototyp eines Erholungswaldes angelegt und seither weiterentwickelt wurde. An der ersten Station erklärte der Phytopathologe Jörg Grüner (FVA), wie ein Baum seinen Gesundheitszustand „kommuniziert“. Am Beispiel des Eschentriebsterbens zeigte er, wie die Krankheitssymptome gelesen werden können, um ein besseres Verständnis für den Zustand des Baumes zu entwickeln. An der zweiten Station führte Manuel John (FVA) die Gruppe zu einer Marteloskopfläche. Marteloskope sind kartierte Waldflächen, auf welchen forstwirtschaftliche Entscheidungen simuliert werden. Den Teilnehmer*innen wurden quantitative Daten zu Biodiversität und ökonomischem Ertrag auf einem Tablet zur Verfügung gestellt, um eine Entscheidung zu simulieren, welcher Baum gefällt und welcher auf Grund des ökologischen Wertes erhalten werden soll. Die dritte und letzte Station leitete Bernd Nold (Regierungspräsidium Freiburg), der die Gruppe dazu anregte, den Wald bewusst wahrzunehmen, mit allen Sinnen einzutauchen und eine persönliche Verbindung zum Wald aufzubauen. Diese drei unterschiedlichen Stationen boten Gelegenheit, dem Wald auf verschiedene Weise näherzukommen: durch das „lesen lernen“ von Krankheitssymptomen, durch datengestützte Planungsüberlegungen sowie auf emotionaler Ebene. Obwohl der Wald immer nur mittelbar erfahren werden kann, konnte die Exkursion so zu einem differenzierteren Verständnis der Materialität des Waldes beitragen.
Der E-Mail-Verteiler soz-wald@listserv.dfn.de, der nach dem ersten Waldymposium 2023 eingerichtet wurde, wird auch in Zukunft genutzt, um Informationen zu teilen, ebenso wie Veranstaltungshinweise, Calls for Papers, Publikationen oder Stellenausschreibungen. Diese Plattform soll weiter aktiv genutzt werden und ist offen für alle Interessierten, die sich unter dem folgenden Link anmelden können: https://www.listserv.dfn.de/sympa/subscribe/soz-wald?previous_action=info.
Das dritte Soziologische Waldsymposium soll 2025 in Fulda stattfinden. Weitere Informationen folgen über den soz-wald-Verteiler.
Von diesem Netzwerktreffen bleiben positive Eindrücke von spannenden und anspruchsvollen Gesprächen, von der beeindruckenden Themenvielfalt in der soziologischen Waldforschung und von dem interdisziplinären Interesse an Forschung und Kooperation. Wir freuen uns auf weitere Gelegenheiten!

Charlotte Pfahler ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. Sie befasst sich im Rahmen einer Beteiligungsplattform mit den vielfältigen Interessen und Ansprüchen, die an den Wald gestellt werden. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit sozialwissenschaftlicher Forschung zu Klimaemotionen.
Dr. Mareike Zobel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg sowie Research Affiliate am Department of Sociology der University of Cambridge. Sie interessiert sich für Zukunft und Subjektivierung, soziale Naturbeziehungen und Klimaemotionen, u.a. in Dokumentarfilmen. Als Prozessberaterin beschäftigt sie außerdem, wie sich gesellschaftliche Transformationen in Hinblick auf neue Arbeitsweisen, Kollaboration und Beteiligung in Organisationen auswirken.
Sabeth Häublein ist seit 2021 Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Forst- und Umweltpolitik, an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie ist in zwei Forschungsprojekten involviert, die sich mit integriertem Wasser- und Waldmanagement und der Handlungsmacht von Kleinprivatwaldbesitzer*innen beschäftigen. Zudem lehrt sie am University College Freiburg einen Grundlagenkurs zu Science & Technology Studies. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit narrativen Ansätzen im Kontext des Wasser-Wald-Nexus.
Philipp Mack hat Geographie studiert und ist seit 2019 Promovend und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Graduiertenkolleg ConFoBi (Conservation of Forest Biodiversity in Multiple-Use Landscapes of Central Europe) sowie am Lehrstuhl für Forst- und Umweltpolitik an der Universität Freiburg. Zurzeit forscht er zu klimabezogenen Waldschadensdiskursen, der Vielfalt von Kleinprivatwaldbesitzer*innen sowie zur Klimawandelanpassung von Wäldern.
Wissen (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)
Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit
Wissen
Nachhaltige Entwicklung ist eine wissensintensive Angelegenheit. Große Mengen heterogenen Wissens müssen produziert, sortiert, kommuniziert und praktisch wirksam gemacht werden. Da es sich hierbei zugleich um wert- und interessensbezogene Relationen handelt, weisen Fragen des Wissens im Kontext der Nachhaltigkeit eine politisch-epistemologische Qualität auf.
Einführung
Im Zuge der wissensgesellschaftlichen Entwicklung hat generell die Bedeutung von Wissen und Expertise zugenommen. Zugleich lässt sich jedoch an drei Umständen aufzeigen, dass Nachhaltige Entwicklung die Frage nach dem Wissen auf eine besondere Weise herausfordert. Erstens geht mit Nachhaltiger Entwicklung die Konfrontation mit ganz unterschiedlichen Wissensformen und -beständen einher. Die Inklusion heterogenen Wissens stellt mithin eine Schlüsselaufgabe für Prozesse Nachhaltiger Entwicklung dar. Nicht zufällig wird ein eigenständiger Typus des Forschens, transformatives Forschen, für eine solche Entwicklung gefordert. Dabei entstehen auch neue Wissensinfrastrukturen wie Reallabore. Zweitens verbindet sich mit Nachhaltiger Entwicklung ein ganz neues Ausmaß an Wissensintensität. Betrachtet man etwa die Sustainable Development Goals, dann bedeutet der Anspruch auf das Einlösen dieser Ziele, dass sie messbar gemacht werden müssen – und zwar weltweit einheitlich. 231 Indikatoren bilden das Gerüst. Die kollektive Wissens-Selbst-Zumutung, die darin liegt, im Anthropozän im Grunde alles über den Weltzustand zu wissen, um handlungsfähig zu sein und zu bleiben, ist präzedenzlos. Drittens müssen Diskurse um Nachhaltige Entwicklung als politische Diskurse verstanden werden. Die Vorstellung von oder gar der Wille zu einem einheitlichen Konzept nachhaltiger Entwicklung entpuppt sich als eine expertokratische Fiktion. Vielmehr ist das Leitbild der Nachhaltigkeit unabweisbar normativ. Mit ihm werden Fragen des «Guten Lebens» verhandelt. Und das ist nicht etwa eine Schwäche, sondern vielmehr eine Stärke des Leitbilds der Nachhaltigkeit. Um das zu erkennen, muss das Wissen der Nachhaltigkeit jedoch in seinen vielschichtigen Relationen präziser verstanden werden. Andernfalls drohen autoritäre Vereindeutigungen durch Wissen oder relativistische Verharmlosungen im Wissen.
Begriff/Definitionen
Wissen, obgleich zentraler Begriff der Wissenschaft, gehört zugleich zu den umstrittensten und deutungsbedürftigsten Begriffen von Wissenschaft. Mit der wissensgesellschaftlichen Entwicklung (z.B. Stehr 2001), in der Wissen nicht nur neben Boden und Kapital zu einer weiteren Produktivkraft wurde, sondern mehr noch zum zentralen Medium der Vergesellschaftung, hat sich diese Deutungsbedürftigkeit nicht verringert – eher im Gegenteil. Niklas Luhmann (1994) betonte im Wissen den Aspekt des Lernens, das er als lernbereite, „enttäuschungsbereite“ Erwartungen definierte. Im Gegensatz zu Normen – an denen auch im Enttäuschungsfall festgehalten wird – ist Wissen durch einen kognitiven Erwartungsstil gekennzeichnet, bei dem Erwartungen angepasst werden können, falls es Sachverhalte gibt, die diese widerlegen können. Wissen zeichnet sich also dadurch aus, generell auf den Prüfstand gestellt werden zu können. Wissen wird dadurch mit Geltungsansprüchen versehen (Bora 2009: 27). Der Begriff der wissenschaftlichen Erkenntnis markiert den Anspruch, über methodisch gesichertes, falsifikationsfähiges, also in seiner Entstehung erklärbares Wissen zu verfügen. Mit Blick auf den Zusammenhang von Wissen und Nachhaltigkeit zeigt sich nun, dass neben Erkenntnis viele weitere Geltungsansprüche relevant werden, weil Nachhaltige Entwicklung eine tiefgreifende Transformation des Kollektivs und damit letztlich seiner Wissensbestände in allen nur denkbaren Facetten bedeutet.
Dies findet sich in der Nachhaltigkeits- bzw. Transformationsforschung typischerweise als Differenz zwischen drei Wissensformen (Vilsmaier/Lang 2014). Erstens Systemwissen, worunter empirische Untersuchungen des Ist-Zustands verstanden werden. Darin spiegelt sich gleichsam das wider, was landläufig als Erkenntnis verstanden wird. Entsprechend wird dies oftmals exklusiv als Wissen der Expert*innen verstanden und somit expertokratisch verkürzt. Aussagen sind dann etwa: Das Wissen ist da, es geht nur noch um die Umsetzung. Das trifft nur aus einem begrenzten Blickwinkel zu. Zweitens Orientierungswissen, wobei es darum geht, Ziele gesellschaftlicher Wandlungsprozesse zu artikulieren und zudem zu begründen. Auf diese Weise können Wegmarken entstehen. So ist das bei den Sustainable Development Goals, die 17 Ziele formulieren und als Orientierungshilfe für die Transformation dienen. Drittens Transformationswissen. Bei dieser Wissensform stehen die praktischen Mittel für die Realisierung von Zielvorstellungen Nachhaltiger Entwicklung im Zentrum, gleich welcher Quelle (politisch, technisch, rechtlich, kulturell, ökonomisch u.a.) sie sich verdanken. Auf diese Weise entstehen epistemologisch komplexe Wissenslagen (vgl. Krohn et al. 2017).
Grundlegend argumentiert unterscheidet sich Wissen von anderen kulturellen Schemata durch die Gewissheit, dass sich unsere Vorstellungen auf eine Wirklichkeit beziehen, die unabhängig von unserem Denken existiert. Wissen kann mithin für ein Sinnrepertoire der Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit stehen (Berger/Luckmann 1999). Es bezieht sich letztlich auf eine „Wirklichkeit“, welche durch intersubjektiv geteilte, überprüf- und falsifizierbare Aussagen adressierbar ist. Zwar erleben Menschen keinesfalls das Gleiche, aber sie können sich ihre Erlebnisse wechselseitig ansichtig machen und auf diese Weise gemeinsame, u.U. geteilte Vorstellungen von „Wirklichkeit“ erarbeiten. Diese Plastizität der Wirklichkeitsrelation stellt die Voraussetzung wie Notwendigkeit von Lernen dar. Die Angemessenheit (die „Wahrheit“) einer Vorstellung lässt sich aufgrund ihrer Bewährung in der Praxis beurteilen. Der entscheidende Punkt dabei in puncto Wirklichkeitsrelation besteht darin, dass die Welt unsere Überzeugungen einschränkt, ohne sie eindeutig zu bestätigen (Dupré 1993). Bestätigungen bleiben letztlich immer nur vorläufig, Anlässe für Überraschungen können jederzeit auftreten. Das bedeutet jedoch nicht, dass stabile „Wissensbestände“ eine Fiktion sind. Der entscheidende Punkt ist, dass sich die Voraussetzungen zur Stabilisierung von Wissensbeständen unter Bedingungen nachhaltiger Entwicklung deutlich anspruchsvoller gestalten, weil die drei zentralen Wissensformen kontinuierlich synchronisiert werden müssen.
Somit lässt sich zunächst festhalten: (a) Wirklichkeitsrelationen erscheinen als Wissen, obgleich sie typischerweise nicht ohne Brüche sind, da es keinen unmittelbaren Zugang zur Welt gibt; vielmehr wird der Wirklichkeitsbezug durch ein Ausschlussverfahren von nicht funktionierenden Vermutungen gesichert; (b) Bei der Frage des Wissens spielen deshalb unterschiedliche Modalitäten von „Für-Wahr-Haltungen“ (Zittel 2014) eine wesentliche Rolle. Es gibt verschiedene Ordnungen des Rechtfertigens von Wissen, welche den Charakter der Für-Wahr-Haltungen bestimmen; so erscheint das zu betrachtende Phänomen im Spiegel der jeweiligen Perspektiven ganz unterschiedlich; (c) Bei Nachhaltigkeitswissen kommt solchen Für-Wahr-Haltungen insofern noch einmal eine spezifische Bedeutung zu, als sie nicht allein Systemwissen verkörpern, sondern Orientierungs- und Transformationswissen zugleich beinhalten; dies bedeutet jedoch nicht, dass Wissen (d) nicht als Erkenntnis stabilisiert und damit allgemeingültig gemacht werden könnte, die Voraussetzungen dafür sind jedoch anspruchsvoller geworden und es bedarf deshalb neben akademischer Wissenschaft eigener Wissensinstitutionen zur Sicherung von Wissensbeständen.
Nachhaltigkeitswissen
Ein wesentliches Merkmal von Wissen im Kontext Nachhaltiger Entwicklung besteht darin, dass es nicht allein ein Wissen über den Zustand der Welt in Bezug auf nachhaltige Entwicklung darstellt, sondern zugleich ein stark auf Prozesse abzielendes Wissen ist – und auch sein muss, damit die angesprochenen Synchronisierungsleistungen erbracht werden können. Und entscheidend hierbei ist, dass in solchen Prozessen ganz heterogene Wissensbestände mobilisiert werden müssen. Die Normativität und Gestaltungsfrage im Wissen erzeugen auch innerhalb des Feldes immer wieder einen fortlaufenden Disput (Henkel et al. 2021; Brand 2022) bzw. das Erfordernis der Selbst-Orientierung (Holden et al. 2014). Dies lässt sich aber auch aus der Verknüpfung von Wissenschaft mit anderen Feldern heraus sagen. Denn hier erscheinen dann die vielschichtigen politisch-epistemologischen Fragen des Wissens und der Praxis politischer Mobilisierung für Nachhaltigkeit (z.B. mit Blick auf die Lokale Agenda 21, Brand/Warsewa 2003). Und es wird deutlich, dass Nachhaltigkeit im öffentlich-politischen Diskurs nicht vereinheitlichend, sondern als Versammlung von Vielfalt funktioniert (Grunwald 2015). Somit gibt es eben nicht eine Form von Nachhaltigkeit, sondern eine sehr große Bandbreite von Varianten des „Doing Sustainability“ (Böschen 2021), die nicht mit einer Idee der Nachhaltigkeit überprüft werden können. Daher war die Suche nach Grundbegriffen zur eigenen Selbstverständigung in der Nachhaltigkeitsforschung schon immer eine relevante wie paradoxe Aufgabe, so etwa bei der Analyse „Gesellschaftlicher Naturverhältnisse“ (aktueller Überblick: Hummel et al. 2023). Im Folgenden sollen Herausforderungen der Synchronisierung von System-, Orientierungs- und Transformationswissen näher spezifiziert werden.
Die Bestimmung von Systemwissen im Kontext von Nachhaltigkeit steht vor der großen Aufgabe, Über-Komplexität zu bearbeiten. Nicht zufällig werden zur Bewältigung dieser epistemischen Komplexität vielfach digitale Tools eingesetzt. Damit werden zwar Wissensprobleme gelöst, zugleich aber neue aufgeworfen. So etwa fördert „Daten-Fülle“ einen „Datenobjektivismus“, wonach Daten als „neutraler“ Makler zwischen Wissensansprüchen fungieren. In den Daten, so nehmen manche an, liege die objektive Wahrheit, die dann einen Schiedsspruch zwischen den artikulierten Wissensansprüchen begründen können müsse. Daten sind aber modelliertes Wissen und nicht umstandslos aus den sie erzeugenden Wissensschemata herauszupräparieren. Deshalb ist für das Verständnis von Nachhaltigkeitswissen eine Differenzierung zwischen Daten, Information und Wissen relevant. Daten sind nicht einfach Abbild von Wirklichkeit als vielmehr ein Zeichen in Relation zur Wirklichkeit. Die relationale Beziehung zwischen zwei Datenpunkten erscheint als Information, denn in der gezielten Differenzsetzung markiert sich ein Unterschied, dem Bedeutung zugewiesen werden kann. Wissen schließlich stellt den Horizont dar, in dem Informationen gedeutet und Lernbereitschaften mobilisiert werden. Von daher stellt sich auch und gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Nachhaltigkeitswissen die Aufgabe, die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Systemwissen zu erhöhen. Andernfalls bleibt es für die unterschiedlichen Nutzer:innen dieses Wissens gleichsam eine black box.
Gerade im Kontext Nachhaltiger Entwicklung spielen normative Bezüge im Wissen eine wesentliche Rolle, um Orientierung zu stiften. Entsprechend werden mitunter konträre Framings angeboten, die Nachhaltigkeitswissen in den Kontext von ganz unterschiedlichen sozialen Problemen stellen, wie etwa der Steigerung ökonomischer Wohlfahrt im Sinne von Nachhaltigkeit oder der Behebung sozialer Ungleichheit als Nachhaltigkeitsaufgabe (Brocchi 2019). Dies zeigt sich etwa an der Problemstellung der Klimagerechtigkeit. Die Auswirkungen des Klimawandels sowie die Belastungen durch kollektive Bewältigungsstrategien bringen ganz neue Formen der Ungleichheit hervor. Eine wesentliche Bedeutung für die Produktion von Nachhaltigkeitswissen haben deshalb von Anfang an nicht-akademische Akteure, insbesondere solche der Zivilgesellschaft, eingenommen. Denn Nachhaltigkeit steht im engen Zusammenhang mit der Gestaltung alltäglicher Praxis. Wissen und Partizipation sind im Kontext der Nachhaltigkeit zwei Seiten einer Medaille. Denn die Frage der Orientierung wird in den vielgestaltigen Gefügen des Alltags aufgeworfen und beantwortet. Dabei kommt es vielfach zu spannungsreichen Lagen zwischen den durch Systemwissen bestimmten „objektiv“ zu erreichenden Zielgrößen (2°-Ziel) und deren Erreichung inmitten des Alltags.
Nachhaltigkeitswissen war deshalb immer schon Prozesswissen in Bezug auf anspruchsvolle Forschungsprozesse. Diesem wurde im Kontext von transdisziplinärer Forschung und Nachhaltigkeit viel Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Bergmann et al. 2021). Gegenwärtig erhält dies mit der Diskussion um Reallabore eine weitere Intensivierung (vgl. z.B. Parodi/Beecroft 2021). Dies weist zum einen in die Richtung von Realexperimenten, wobei hier also das Experiment als Entdeckungs- wie Überprüfungsverfahren genutzt wird. Dann aber geht es insbesondere auch, etwa in der Lesart von Parodi/Beecroft (2021) um Realexperimente als experimentelles Erschließen neuer Handlungsmöglichkeiten, also als Entdeckungs- und Gestaltungsverfahren. Es sind Orte der kollektiven Kooperation ganz unterschiedlicher Wissensakteure. Dabei geht es um die Formierung von Problemen selbst, wobei das Spektrum von gut strukturieren Problemen (Wissen und Werte sind kaum umstritten) bis hin zu schwer strukturierbaren Problemen (Wissen und Werte sind gleichermaßen hoch umstritten) (Hurlbert/Gupta 2015) reicht. Entscheidend ist hier jedenfalls, dass Reallabore als konkrete kollektive Orte der Artikulation und Synchronisierung von Systems-, Orientierungs- und Transformationswissen angesehen werden können.
Zudem werden durch die Nutzung von Wissen in den verschiedenen Organisationen der Gestaltung von Nachhaltigkeit, seien es politische Körperschaften, die Regulierungswissen zu Nachhaltigkeitszielen erstellen, seien es Unternehmen, die Reportingwissen zur Nachhaltigkeit der Organisation aufbereiten, eine jeweils kontextbezogene Wissensarbeit vollzogen. Zwar spielen hierbei Indikatoren die Rolle von Wissenseinheiten, die eine standardisierte Form versprechen. Aber zum einen ist das gemessene Wissen unterschiedlich erstellt, zum anderen geben die Indikatoren kein kohärentes Bild, sondern beeinflussen sich mitunter negativ, wie es etwa eindrücklich an den SDGs nachgewiesen werden kann. Insbesondere die Ziele 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ sowie 9 „Industrie, Innovation und Infrastruktur“ mit solchen des Naturschutzes kollidieren (Pradhan et al. 2017). Eine andere Entwicklung, die sich hier zeigt, ist der Einsatz von Indikatoren zu politischen Zwecken (etwa beim Greenwashing durch Nachhaltigkeitsreporting) oder die Positionierung politischer Auffassungen durch Indikatoren (Fall des „Ecomodernist Manifesto“, das im Namen der Nachhaltigkeit anhand der Indikatoren Landverbrauch der Erneuerbaren und deren mangelnde Energiedichte für den Ausbau von Atomkraft wirbt). Zugleich bringen diese Anforderungen spezifische Wissensaktivitäten auf Seiten der Nachhaltigkeits-Forschung in Gang, weil zum einen Wissenslücken sichtbar werden, wie z.B. in Bezug auf das Wissen um Biologische Vielfalt (Jetzkowitz 2023). Hier zeigt sich eindringlich die sehr hohe Wissensabhängigkeit solcher Prozesse mit der Konsequenz, dass im Medium des Wissens immer auch politische Fragen verhandelt werden und beides nicht umstandslos zu trennen ist.
So basieren Formen kompetenter Nachhaltigkeitsgovernance zwar auf (technischer) Expertise, zugleich werden dabei jedoch fundamentale demokratische Belange kollektiver Willensbildung und moralischer Selbstverständigung verhandelt. Diesen Grundanliegen entsprechen drei unterscheidbare Semantiken öffentlichen Sprechens (Böschen/Sigwart 2020: 20) Das politische Können setzt einen Fokus auf effiziente Entscheidung und Problemlösung, das politische Wollen legt den Akzent auf die Artikulation von differenten Wertperspektiven und Interessen für die politische Willensbildung und das politische Sollen schließlich umfasst die Artikulation von moralischen Beschränkungen kollektiver Willensbildung und Problemlösung. In diesem Sinne lässt sich das Feststellen von Verlässlichkeit des Wissens als eine sozio-epistemische Fixierung verstehen. Sie ist das Ergebnis eines Prozesses, bei dem Probleme von den beteiligten Akteuren je nach Position verschieden konstruiert, im Kollektiv schließlich konfiguriert und dabei zugleich Maßstäbe von Verlässlichkeit formiert werden. Problemstellungen des Nachhaltigkeitswissens sind mithin solche einer politischen Epistemologie von Nachhaltigkeit (vgl. grundlegend: Vogelmann 2022).
Ergebnisse/Anwendung
Es gibt nun eine Vielzahl von Aspekten, die für die künftige Forschung bedeutsam sind. Davon sollen drei herausgegriffen werden, weil sie wiederum das Erfordernis zur Synchronisation von Wissen mit Interessen und Normen verdeutlichen.
Erstens bedarf es einer verbesserten und epistemologisch reflektierten Wissensanalytik von Nachhaltigkeitswissen. Denn die Wissensintensität beim kollektiven Problemlösen nimmt unter dem Globalanspruch zu. Zugleich werden die Wissenslagen immer unübersichtlicher und das nicht nur aufgrund des Fehlens von Wissen, sondern mitunter auch wegen eines Überangebots an Wissen. Zudem steht das Wissen der Nachhaltigkeit in unauflösbar paradoxen Relationen von Faktenwissen, Orientierungswissen und Prozesswissen. Deshalb muss das Wissen der Nachhaltigkeit in seinen vielschichtigen Relationen präziser verstanden werden. Andernfalls drohen autoritäre Vereindeutigungen durch (System-)Wissen oder relativistische Verharmlosungen von Wissen durch Orientierungs- und Prozesswissen.
Zweitens zeigt sich, dass im Kontext der Adressierung und Lösung so genannter «Großer gesellschaftlicher Herausforderungen» den Universitäten eine neue Rolle zuwächst. Mit Ideen zu einer third mission gibt es zwar schon Ansätze zur unmittelbaren Kooperation mit Akteuren im jeweiligen regionalen Umfeld. Jedoch zeigt sich prägnant in Strukturwandelprozessen, wie sie gegenwärtig in der Lausitz und im Rheinischen Revier stattfinden, dass dabei gerade auch Technischen Universitäten (in dem einen Fall der BTU Cottbus, im anderen der RWTH Aachen) neue Rollen zukommen, um Strukturwandel zu gestalten (vgl. Herberg et al. 2021). Pointiert gesprochen gewinnen Formen einer „exzentrischen Wissensproduktion“ an Bedeutung. Dabei fungieren etwa Reallabore als Vermittlungsräume zwischen den Wissensakteuren der Region.
Drittens bleibt auch künftig die Aufgabe der Überwindung spezifischer expertokratischer Vorstellungen von gesellschaftlichem Wandel, bei denen das wissensgesellschaftliche Dispositiv performativ von einer Hierarchie geprägt wird, in der Expertensysteme eindeutig eine Überordnung gegenüber anderem Wissen zukommt. Entsprechend bedarf es neben der Fokussierung auf Wissen und dessen genaueres Verständnis für Nachhaltigkeitsprozesse einer institutionellen Maßnahmenphantasie zur Vermittlung zwischen Wissensansprüchen, Interessen und Normen der Nachhaltigkeit. Global geschieht das in den Science-Policy-Interfaces wie dem IPCC oder dem IPBES. Regional in Form von Reallaboren. Gleichwohl ist hier noch viel Entwicklungsarbeit vonnöten. Denn mit der Wissensintensität wächst auch die Konfliktintensität. Oder unterschiedliche Ansprüche nachhaltiger Entwicklung geraten in einen Konflikt (etwa Naturschutz versus Erneuerbare Energien). Nachhaltige Entwicklung muss deshalb als Aufforderung zur gezielten Weiterentwicklung von Demokratien verstanden werden, um kollektives, zukunftsfähiges Problemlösen mit der Nachhaltigkeitsentwicklung Schritt halten zu lassen und dafür zugleich Impulse zu setzen. Das bedeutet umgekehrt für die Nachhaltigkeitsforschung Fragen des Wissens als solche einer politischen Epistemologie zu behandeln.
Tipps zum Weiterlesen
Herberg, J./Staemmler, J./Nanz, P. [Hrsg.] (2021): Wissenschaft im Strukturwandel. München: oekom.
Krohn, W./Grunwald, A./Ukowitz, M. (2017): Transdisziplinäre Forschung revisited: Erkenntnisinteresse, Forschungsgegenstände, Wissensform und Methodologie. In: GAIA, 26. Jg., Heft 4, S. 341-347.
Vogelmann, F. (2022): Die Wirksamkeit des Wissens. Eine politische Epistemologie. Berlin: Suhrkamp.
Berger, P./Luckmann, Th. (1999): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklich-keit. Frankfurt a.M.: Fischer.
Bergmann, M./Schäpke, N./Marg, O./Stelzer, F. [Hrsg.] (2021): Transdisciplinary sustainability research in real-world labs – success factors and methods for change. In: Sustainability Science. DOI: https://doi.org/10.1007/s11625-020-00886-8.
Bora, A. (2009): Innovationsregulierung als Wissensregulierung. In: Eifert, M./Hoffmann-Riehm, W. [Hrsg.]: Innovationsfördernde Regulierung. Berlin: Duncker & Humblot, S. 23–43.
Böschen, S. (2021): Reallabore: Versammlungen unterschiedlicher Formen des Doing Sustainability verstehen – und gestalten. In: SONA [Hrsg.]: Soziologie der Nachhaltigkeit. Bielefeld: transcript, S. 285-295.
Böschen, S/Sigwart, H.-J. (2020): Demokratisierung von Technikfolgenabschätzung? Zum Problem der Verhältnisbestimmung von Öffentlichkeit und wissenschaftlicher Expertise. In: TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis, 29. Jg., Heft 3, S. 18-23.
Brand, K.-W. (2022): Nachhaltigkeitstransformationen im Schatten multipler Katastrophen Desiderate eines adäquaten Verständnisses sozial-ökologischer Transformationsdynamiken. In: Leviathan, 50. Jg., Heft 2, S. 263–278.
Brand, K.-W./Warsewa, G. (2003): Lokale Agenda 21: Perspektiven eines neuen Politiktypus. In: GAIA, 12 Jg., Heft 1, S. 15-23.
Brocchi, M. (2019): Nachhaltigkeit und soziale Ungleichheit. Wiesbaden: Springer VS.
Dupré, John (1993): The Disorder of Things. Cambridge, MA: Harvard University Press.
Henkel, A./ Barth, Th./Koehrsen, J/Wendt, B./Besio, Chr./Block, K./böschen, St./Dickel, S./Görgen, B./Groß, M./Rödder, S./Pfister, Th. (2021): Intransparente Beliebigkeit oder produktive Vielfalt? Konturen einer Soziologie der Nachhaltigkeit. In: Leviathan, 49. Jg., Heft 2, S. 224–230.
Herberg, J./Staemmler, J./Nanz, P. [Hrsg.] (2021): Wissenschaft im Strukturwandel. München: oekom.
Holden, E./Linnerud, K./Banister, D. (2014): Sustainable development: Our Common Future revisited. In: Global Environmental Change, 26. Jg., S. 130–139.
Hummel, D./Jahn, Th./Kramm, J./Stieß, I. (2023): Gesellschaftliche Naturverhältnisse – Grundbegriff und Denkraum für die Gestaltung von sozial-ökologischen Transformationen. In: Sonnberger, M./Bleicher, A./Groß, M.: Handbuch Umweltsoziologie. DOI: 10.1007/978-3-658-37222-4_1-1.
Hurlbert, M./Gupta, J. (2015): The split ladder of participation: A diagnostic, strategic, and evaluation tool to assess when participation is necessary. In: Environmental Science and Policy, 50. Jg., S. 100-113.
Jetzkowitz, J. (2023): Biologische Vielfalt in soziologischer Perspektive. In: Sonnberger, M./Bleicher, A./Groß, M.: Handbuch Umweltsoziologie. Wiesbaden: Springer. DOI: 10.1007/978-3-658-37222-4_22-1.
Krohn, W./Grunwald, A./Ukowitz, M. (2017): Transdisziplinäre Forschung revisited: Erkenntnisinteresse, Forschungsgegenstände, Wissensform und Methodologie. In: GAIA, 26. Jg., Heft 4, S. 341-347.
Luhmann, N. (1994): Die Wissenschaft der Gesellschaft. 2. Auflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Parodi, O./Beecroft, R. (2021). Reallabore als Möglichkeitsraum und Rahmen für Technikfolgenabschätzung. In: [Hrsg.] Böschen, S./Grunwald, A./ Krings, B.-J./Rösch, Chr.: Technikfolgenabschätzung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, Baden-Baden: Nomos, S. 373-386.
Pradhan, P./Costa, L./Rybski, D./Lucht, W./ Kropp, J. P. (2017). A Systematic Study of Sustainable Development Goal (SDG) Interactions, Earth’s Future, 5 Jg., S. 1169–1179.
SONA (Netzwerk Soziologie der Nachhaltigkeit) [Hrsg.] (2021): Soziologie der Nachhaltigkeit. Bielefeld: transcript.
Stehr, N. (2001): Wissen und Wirtschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Vilsmaier, U./Lang, D. (2014): Transdisziplinäre Forschung. In: Heinrichs, H./Michelsen, G. [Hrsg.]: Nachhaltigkeitswissenschaften. Berlin: Springer, S. 87–114.
Vogelmann, F. (2022): Die Wirksamkeit des Wissens. Eine politische Epistemologie. Berlin: Suhrkamp.
Zittel, C. (2014): Wissenskulturen, Wissensgeschichte und historische Epistemologie. In: Rivista Internazionale di Filosofia e Psicologia, 5. Jg., Heft 1, S. 29-42.

Stefan Böschen ist Inhaber des Lehrstuhl für Technik und Gesellschaft an der RWTH Aachen
Rezension zum Buch "Umkämpfte Zukunft. Zum Verhältnis von Nachhaltigkeit, Demokratie und Konflikt"
Rezension „Umkämpfte Zukunft"
Zilles, D., Drewing, E., Janik, J. (2022): Umkämpfte Zukunft. Zum Verhältnis von Nachhaltigkeit, Demokratie und Konflikt. Bielefeld: transcript, 432 S., 39 EUR. ISBN: 978-3-8376-6300-6
Mehr Konflikttheorie wagen: Über die „Umkämpfte Zukunft“ der Nachhaltigkeit
Warum ist Fridays For Future kein Durchmarsch gelungen? Warum gelingt es trotz der immer wieder beschworenen Mehrheit für weitergehende Maßnahmen nicht, Politik im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel zu machen? Diesen Fragen widmen sich immer mehr Bände der sozialwissenschaftlichen Forschung. Angesichts der Gewalt-Rhetorik und -anwendung gegen Klimaaktivist*innen, der konfrontativen Protesttaktiken für und gegen klimapolitische Maßnahmen, angesichts der Stilisierung der Grünen zu einem Feindbild in Teilen der deutschen Öffentlichkeit, kurzum: angesichts der heftiger werdenden Auseinandersetzungen rückt dabei ein sozialwissenschaftlicher Grundbegriff erneut ins Zentrum: Konflikt.
In diese Richtung zielt auch „Umkämpfte Zukunft: Zum Verhältnis von Nachhaltigkeit, Demokratie und Konflikt“, herausgegeben von Julia Zilles, Emily Drewing und Julia Janik. Der Band versammelt ganze 19 Aufsätze zzgl. Vorwort, Einleitung und Fazit auf weit über 400 Seiten. Die meisten Beiträge widmen sich der „Energiewende“, die über lange Zeit den dominanten Bezugspunkt für ökologische Konflikte gebildet hat, bevor sich mit der Klimabewegung ein neues framing durchgesetzt hat. Mit ihm hat sich auch der Fokus von lokalen Konflikten hin zum Grundlegenden verschoben, das dann wiederum in Agrarwende, Wärmewende, Verkehrswende usw. übersetzt werden muss. Die Konflikte pluralisieren sich und bekommen zugleich einen gemeinsamen Rahmen.
Dass die Forschung zur Energiewende hier bereits wichtige Erkenntnisse zutage gebracht hat, zeigt der Sammelband in seinen besten Beiträgen eindrücklich. Ihn ereilen leider aber auch die klassischen Probleme des Genres: Die Qualität der Beiträge variiert stark und die enorme Spannweite kostet Kohärenz. Etwas weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen. Vor allem aber verpassen Band und Beiträge oft die Gelegenheit, ihre wertvollen Erkenntnisse in Theorie oder internationale Forschung einzubetten und damit anschlussfähig zu machen. Ich will hier einige solcher Schneisen schlagen und dabei – ganz im Sinne des Bandes – anhand ausgewählter Beiträge zeigen, dass eine gehaltvolle Konflikt-Konzeption tatsächlich das Scharnier zwischen Demokratietheorie, empirischer Analyse und Transformationsforschung bilden könnte.
Konsens und ökologische Konflikte I: Was kann network governance?
Einer der Schwerpunkte des Bandes bildet die Frage danach, wie demokratische Partizipation Konflikte um Nachhaltigkeit moderiert. So zeigt unter anderem Simon Teune in seinem informativen Beitrag, dass es – erwartungsgemäß – vor allem „die kritischen Gruppen, die Unzufriedenen und Energiewendegegner*innen“ sind, die „geneigt sind, aktiv zu werden“ (S. 178). Sie sind außerdem bereit, größere Anstrengungen auf sich zu nehmen. Während ein Großteil eher niedrigschwellige Partizipationsformen wählt, wenn er sich denn überhaupt beteiligt, weisen organisierte Konfliktgruppen klassischerweise eine innere Kohäsion und moralische Selbstüberzeugungen auf, die sie zu härteren Verhandlungen, offensiveren Taktiken und einem längeren Atem befähigen. Partizipation schafft Konflikt.
Gleichzeitig steht Partizipation hoch im Kurs, um Konflikte zu domestizieren oder gar zu lösen, und zwar über Prozeduralisierung. Das kann unterschiedliche Formen annehmen, die in dem Band in mehreren Beiträgen gekonnt zur Sprache kommen. Am Beginn steht ein Beitrag von Jörg Radtke und Ortwin Renn, die gewissermaßen die (kritische) Orthodoxie in dieser Hinsicht vorstellen, indem sie einerseits auf dezentrale Governance-Systeme – network governance– und andererseits diskursive Beteiligungsformate – deliberative Bürgerräte – abstellen. Die klassisch vorgebrachten Vorteile der deliberativen Verfahren werden dann auch in dem Beitrag von Blum, Colell und Treichel nochmals wiederholt und mit Beispielen aus Rostock, Samsö und Baden-Württemberg illustriert.
Es ist ein großer Verdienst des Sammelbandes, dass er hier nicht stehen bleibt. Gleich mehrere Beiträge bieten eine deutlich skeptischere Sicht an. Besonders kritisch fällt dabei die neomaterialistisch unterlegte Studie von Haas und Neupert-Doppler aus, die sich der Rolle des Staates in der Kompromissbildung um das EEG und den Kohleausstieg widmen. Durchaus im Sinne des network governance war es bei der „Kohlekommission“ den zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren aufgegeben, eine Leitlinie für Kohleausstieg und Strukturwandel zu erarbeiten. Die Kritik des lesenswerten Beitrags richtet sich nun auf die Sachebene: Die „strategischen Selektivitäten der Staatsapparate“ bei der Auswahl und Prozessgestaltung haben „zu Ungunsten der klimapolitisch orientierten Akteure“ gewirkt (S. 372).
Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass die Kommission in sozialer Hinsicht den Konflikt nicht befriedet hat: Lützi lebt. In Abgrenzung zur Selbstdarstellung von network governance gibt es auch in der weiteren Forschung langsam eine kritischere Betrachtung: Wenn policy-Arenen bereits stark konfliktbehaftet sind, können governance networks diese Konflikte eher nicht befrieden und führen zudem zu unbefriedigenden Ergebnissen, zeigen etwa Gronow et al. (2020). Spitzt man das polemisch zu, heißt es: Governance networks sind vor allem dann erfolgreich, wenn ohnehin schon eine gute Menge Konsens besteht. Aber braucht man dann noch network governance? Further research is needed.
Konsens und ökologische Konflikte II: Was kann Bürgerbeteiligung in ökologischen Konflikten?
Auch die Erzählung von der konsensstiftenden Kraft bürgerbeteiligender und deliberativer Verfahren bleibt nicht unhinterfragt. Sabrina Glanz, Anna-Lena Schönauer, Ramona Drossner und Leonie Nowack bringen empirische Befunde, die in eine andere Richtung deuten: Zum einen kommt es zu Beteiligungsverfahren meistens dort, wo Konflikte und oft auch organisierte Konfliktgruppen existieren; zum anderen generieren die Beteiligungsverfahren auch nicht unbedingt Konsens oder auch nur Akzeptanz, sondern womöglich Konflikt.
Während in dieser Studie auch deliberative Verfahren erfasst wurden, fokussieren Simon Fink und Eva Ruffing auf Konsultationen zum Netzausbau. Sie demonstrieren, dass die Akteure nicht in erster Linie die stereotypen NIMBY-Argumente vorbringen, sondern technische, ökonomische und dezidiert regionale Argumente formulieren. Wie bei Teune wird herausgestellt, dass Konflikte eine Kohäsions- und Organisationskraft entfalten, die konfliktorientierte „Handlungseinheiten“ (S. 263) von Kommunen, Bürgerinitiativen und Bürger*innen hervorbringt. Vor allem aber lautet der Befund auch hier, dass die partizipativen Verfahren nicht den ersehnten Konsens beibringen: „Beteiligungsverfahren […] werden die Konflikte um die Stromtrassen kaum befrieden“ (S. 262).
Diese eher realistischen Befunde könnten auf die skeptische Diskussion konsensorientierter Verfahren in Teilen der Demokratietheorie verweisen, die seit einiger Zeit nicht nur die Annahmen der Konsensorientierung hinterfragen, sondern jüngst auch alternative Institutionen vorschlagen. Leider fehlt diese Rückbindung auch in Einleitung und Fazit des Bandes, obwohl beide die ambivalente Rolle von Beteiligungsverfahren thematisieren.
Mehr Konflikttheorie wagen
Die Kritik der Beteiligungsverfahren muss sich dabei eben nicht an der Wahl zwischen mehr oder weniger Partizipation aufreiben, die mit Verweis auf die Zeitkosten partizipativer Modelle und die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Demokratie so gerne ausgespielt wird. Es geht vielmehr um eine realistische Erwartungshaltung gegenüber von Deliberation und Partizipation: Man muss mit der Konflikthaftigkeit von dialogischen Verfahren rechnen und Praktikendes Konfliktmanagements bereithalten, statt auf eine harmonische Auflösung zu hoffen.
Das ist auch für die kommunale Praxis relevant. Denn diese hat nichts gewonnen, wenn sie Bürgerräte und Mini Publics zur Lösung von ökologischen Konflikten einsetzt, am Ende aber mit (womöglich sogar mehr) Konflikt und ohne die Kapazitäten für Konflikttransformation dasteht. Dafür ist eine soziale Infrastruktur nötig, die Zusammenhalt im Konflikt organisiert, wie Herbst, Simmank und Vogel argumentieren. Es fehle, so spitzen es Reusswig, Lass und Bock zu, in den Kommunen aber schlicht oft auch an den Kompetenzen, „um die oft thematisch überdeterminierten Debatten […] zu führen“ (S. 195). Es gilt also, mehr Konflikttheorie zu wagen.
„Mehr Konflikttheorie wagen“ könnte auch eine konzeptionelle Schlussfolgerung nach der Lektüre des Bandes sein. Denn auf der einen Seite ist er Teil einer breiteren Bewegung in der Forschung, die – angesichts der intensiven Auseinandersetzungen um Ökologie, Migration oder Gender – wieder Konflikte als Konflikte (und nicht etwa als Diskurse oder Proteste o.ä.) erfassen will; auf der anderen Seite wird doch auch deutlich, wie stark die Theorien und Instrumente der klassischen Konfliktsoziologie in Vergessenheit geraten sind.
Nur wenige Beiträge nehmen überhaupt Referenz auf Konflikttheorie, und selbst bei diesen handelt es sich teilweise doch um radikaldemokratische Theorien oder nur um knappe Definitionen von Konflikt, die relativ folgenlos bleiben. Am häufigsten werden „Gründe“ für die Konflikte in den Interessen und Einstellungen gesucht, die sich dann als eine breite Palette – Gesundheitsrisiken, Naturschutz, Wertverluste – darstellen. Das ist wichtig, weil es zeigt, dass die vorgebrachten Gründe in Konflikten vielschichtig und oft erfahrungsgesättigt sind, dass sie sich nicht in stereotypen NIMBY-Haltungen erschöpfen. Die Konflikttheorie weiß aber auch: Konflikte können sich an allen möglichen Dingen entzünden, häufig bringen die Konflikte die Gründe sogar erst hervor.
Die Konflikttheorie hat daher die komplexen Konstellationen und Dynamiken im Blick, die Konfliktverläufe prägen: Wie eskalieren, de-eskalieren und enden Konflikte? Wie verändern sich dabei gleichzeitig die Verhältnisse in den Konfliktgruppen, zwischen den Konfliktgruppen und zum Publikum? Und wie tragen diese Dynamiken dazu bei, Makro-Konstellationen entweder zu reproduzieren oder zu verändern? In den Beschreibungen vieler Beiträge lassen sich dann viele ‚klassische‘ Vorgänge wiedererkennen, z.B. die Konstruktion einer gefährlichen Outgroup, die Homogenisierung der Ingroup, Allianzbildungen und Ressourcenmobilisierung. Ein gehaltvolles konflikttheoretisches Analyseinstrumentarium könnte ermöglichen, die reichen empirischen Befunde zu ordnen und zu einem größeren Bild zusammenzusetzen (einige Vorschläge finden sich konzeptionell auch in August/Westphal 2024, empirisch in August 2024).
Konflikttheorie und climate obstruction
Die Konflikttheorie geht auch davon aus, dass Konflikte nur dann andauern oder gar an Intensität gewinnen, wenn eine Gegeneskalation zwischen den Konfliktparteien stattfindet (besonders pointiert dazu Collins 2012). In der internationalen Forschung zur schleppenden Reaktion auf Klimawandel und Artensterben wird dies im in der climate obstruction-Forschung längst erfasst, auch hier ohne größeren Theorierahmen. Insbesondere die Netzwerke und frames von gezielter Obstruktion haben dabei viel Aufmerksamkeit erhalten, wobei die Forschung in erster Linie für die USA sehr reichhaltig ist. Für Deutschland gibt es – vergleichsweise – wenig Forschung. Mehrere Beiträge in diesem Band sprechen aber zu diesem Themenfeld, verpassen nur die Chance, hier an den Forschungskontext anzuschließen.
In dem lesenswerten Beitrag von Daniel Häfner und Tobias Haas über das Blackout-Narrativ werden zum Beispiel einige – durchaus unterschiedliche – Akteure vorgestellt, die Kandidaten für climate obstruction sind, wie z.B. Vernunftkraft, EIKE, das INSM oder Pro Lausitzer Braunkohle. Hauptgegenstand des Beitrags ist aber die Analyse eines spezifischen delay-Narrativs, das mit dem „Mythos einer Stromlücke“ (S. 205) mindestens seit den 1970er Jahren um Unterstützung wirbt. Dass es hier auch Verbindungslinien zu Rechtspopulismus und Verschwörungstheorie gibt, ist in der Forschung bereits gut besprochen. Der Artikel führt aber implizit vor Augen, wie relevant eine ideengeschichtlich-wissenssoziologische Perspektive ist, um die Verankerung und Anschlussfähigkeit bestimmter Narrative in viel breiterenBevölkerungsschichten zu verstehen. Dieser Aspekt findet in der climate obstruction-Forschung selbst bisher zu wenig Beachtung, weil man sich (mit Gründen) auf die Strategien von Unternehmen, Front Groups, Medien usw. konzentriert.
Demgegenüber hat die Konflikttheorie seit Simmel auf die große Relevanz der organisierten Dritten und des diffusen Publikums aufmerksam gemacht, vor denen die Konfliktparteien agieren. Stine Marg und Lucas Kuhlmann tragen dazu bei, dieses Konfliktpublikum zu erschließen. Während die „Unzufriedenen“ die Konflikte antreiben, sind es die „Unbeteiligten“, um deren Solidarisierung oder Zustimmung geworben wird – und deren Erfahrungen und Erwartungen daher eine zentrale Rolle spielen. Die Studie zeigt dann diverse Anschlusspunkte für eine Skepsis gegen weitergehende klimapolitische Maßnahmen auf, die jüngere Beiträge zu den moralischen Repertoires der Bevölkerung bestätigen (etwa Dörre et al. 2024; Mau et al. 2023; Ytterstad et al. 2022).
Dennis Eversbergs Studie verdeutlicht, dass sich dies aber nicht auf einfache Polarisierungen herunterbrechen lässt. In seinem äußerst informativen Beitrag prüft er gängige Thesen zum sozial-ökologischen Transformationskonflikt (jetzt auch in Buchlänge: Eversberg et al. 2024). Mit einer Korrespondenzanalyse von Mentalitäten, Lebensweisen und Sozialstruktur werde demnach deutlich, dass viele dieser Thesen wie z.B. die der ökologischen Distinktion nach unten, eines Wertewandels oder eines Generationenkonflikts zu kurz greifen und das Konfliktgeschehen nicht hinreichend erfassen. Es zeigt sich: Wir alle sind in die nicht-nachhaltige Operationsweise der modernen Gesellschaft verstrickt, aber mit sozial differenzierten Positionen und Erfahrungsräumen, an die dann auch angeschlossen werden kann.
Die Analyse der ökologischen Transformationskonflikte braucht dementsprechend den Blick auf die polarisierenden Konfliktparteien, aber sie muss auch die organisierten Dritten und das diffuse Publikum im Blick haben, die die Konfliktparteien selbst wiederum auch in ihre Strategien einkalkulieren. Wenn die moderne Gesellschaft mit den Folgekosten ihrer eigenen Operationen konfrontiert ist, dann stellt das nicht nur Machtpositionen infrage, sondern auch lange stehende Erzählungen vom guten Leben. Hier formen sich Solidargruppen, die Konfliktlinien schärfen wollen, Allianzen bilden und ideelle und materielle Ressourcen auffahren. Manche Akteure haben dabei klare Vorteile gegenüber anderen, aber sie alle agieren in einem heterogenen Umfeld. Gerade hieraus entsteht die Eigendynamik von Konflikten, die überraschende Ausgänge zulässt, selbst wenn die makrosoziologische Ressourcenverteilung dafür nicht spricht.
August, V. (2024): Dynamiken des Klimakonflikts: Eskalation, Gegen-Eskalation und De-Eskalation seit Fridays For Future und Letzter Generation. In: Politische Vierteljahresschrift, 65. Jg., i.E. als online first.
August, V. / Westphal, M. (2024): Theorizing democratic conflicts beyond agonism. In: Theory & Society, 53. Jg., i.E. als online first.
Collins, R. (2012): C-escalation and d-escalation: A theory of the time-dynamics of conflict. In: American Sociological Review, 77. Jg., Heft 1, S. 1-20.
Dörre, K. / Liebig, S. / Lucht, K. / Sittel, J. (2024): Klasse gegen Klima? Transformationskonflikte in der Autoindustrie. In: Berliner Journal für Soziologie, 34. Jg., Heft 1, S. 9-46.
Eversberg, D./ Fritz, M. / Von Faber, L./ Schmelzer, M. (2024): Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt: Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation. Frankfurt am Main: Campus.
Gronow, A. / Wagner, P. / Ylä‐Anttila, T. (2020): Explaining collaboration in consensual and conflictual governance networks. In: Public Administration, 98. Jg., Heft 3, S. 730-745.
Mau, S. / Lux, T. / Westheuser, L. (2023): Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Ytterstad, A. / Houeland, C. / Jordhus-Lier, D. (2022): Heroes of the Day After Tomorrow: “The Oil Worker” in Norwegian Climate Coverage 2017–2021. In: Journalism Practice, 16. Jg., Heft 2-3, S. 317-333.

Vincent August ist Gastprofessor am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet dort die Gerda-Henkel-Forschungsgruppe „Ökologische Konflikte“.
Email: vincent.august@hu-berlin.de
Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-6112
Climate Change (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)
Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit
Climate Change
Sociological studies increasingly address climate change as a research topic. This contribution describes different subfields of sociological climate change research (e.g., climate politics, economy, global flows). A stronger focus on climate change research within the discipline could facilitate knowledge spillovers that stimulate other fields of sociological inquiry as well as climate debates in society at large.
Introduction
Climate change does not only lead to alterations in weather events and climate trends but generates also social impacts. These impacts can take different shapes. They can assume the form of mitigation and adaptation measures such as the promotion of electric mobility, the construction of wind farms, the shutdown of coal power plants, and the extension of urban green spaces as a protection against heat waves in cities. But the changes can also become visible in political mobilization for or against more ambitious climate policies, as well as in rising political polarization, and in increasing social inequalities in living standards between wealthy and poor populations.
As climate change has social causes and implications, there is scope for sociological knowledge to unfold these societal causes and impacts of climate change as well as the potentials and limitations of mitigation and adaptation strategies and climate engineering strategies. In recent years, sociology has increasingly engaged with climate-change-related research.
In this contribution, we first describe the term “climate change” and how it relates to sustainability. Then, we discuss how sociology has addressed this topic. The sociological study of climate change includes two types of contributions: (a) sociological contributions to inter- and transdisciplinary climate change research and (b) contributions within the discipline (e.g., disciplinary journals, anthologies, monographs). We mostly focus on contributions in the discipline and describe different sub-fields of research (e.g., politics, economy, global flows). We conclude with a reflection on the need of sociological climate research and its relevance for public debates on climate research in society at large and for sociology as a discipline.
Climate change and Sustainability
Anthropogenic climate change is a process by which weather patterns and temperatures change due to greenhouse gas emissions. Industrialization paired with an ever-rising demand for consumption goods and services (e.g., mobility) has fuelled this process. While Global North countries and wealthy populations are responsible for the vast amount of greenhouse gas emissions, climate change most strongly affects vulnerable populations already living in poverty (especially in Global South countries, e.g., through extreme weather events such as flooding and droughts).
Climate change is closely related to sustainability (for the term “sustainability”, see Wendt et al. 2023), as it is an example of an unsustainable process of environmental change provoked by human activities. Being entangled with other sustainability issues such as social inequality, sociological sustainability research frequently addresses social phenomena related to climate change as a topic.
Climate Change in Disciplinary and Interdisciplinary Sociological Research
Sociological climate change research has traditionally been related to environmental sociology and, thereby, has been embedded in the discipline. However, most existing research engages in debates beyond the boundaries of the discipline. Climate change has become a major topic of inter- and transdisciplinary research, which brings together insights and scholars from various fields in numerous academic networks and environmental, climate change, and sustainability journals. Sociological contributions to this research have addressed different topics such as mobility, consumption, urban energy transitions, governance of sustainable transformations, and the relationship with religion. Notably, this work draws upon a broad range of sociological theories such as, for instance, practice theory, differentiation theory and boundary analysis, discourse analysis, role theory, critical theory, sociological field approaches, the sociology of expectations as well as theories of reflexive modernity and risk society.
Contrasting the strong engagement in inter- and transdisciplinary spaces, sociological commitment has generated less resonance within the discipline itself. A survey of climate-change-related articles, published in eight top-ranked general sociological journals until 2018, has resulted in only 37 publications (Koehrsen et al. 2020). Compared to topics such as social inequality, climate change represents a very minor topic in these eight journals. The disciplinary studies published in these journals include five main subfields of research: (a) reflections on the role of the social sciences, (b) politics, (c) economy, (d) media and public perceptions, and (e) global flows. Most of the research is theoretical or applies qualitative methodologies whereas quantitative studies remain almost absent.
Of the 37 publications found, reflections on the role of the social sciences in climate change research are the most numerous. Lever-Tracy’s (2008) seminal contribution about the lack of sociological climate change research has generated vigorous debates on the potentials and limitations of sociology – and, more generally the social sciences – with regard to this topic. Scholars have argued that studying the social dimensions of climate change could be an entry point for sociology into the debates on climate change (Yearley 2009). However, it is controversial whether the engagement of sociologists should include active advocacy or even alarmism. Moving on from this initial debate, this subfield includes the development, extension, evaluation, and criticism of specific sociological theories for the study of social dynamics related to climate change. These latter contributions indicate a shift from “whether” to “how” sociology should study climate-related social change. In the course of this shift, sociologists reflect on their conceptual toolkit and consider in what ways they need to expand it.
Sociological studies on the politics of climate change tend to assume critical positions with regard to predominant policy frameworks and their focus on technological or economic solutions. They criticise behavioural-driven solutions as well as the political focus on economic growth (Webb 2012). Contributions to this subfield furthermore show that designing appropriate climate policies is troubling for policymakers because they have to create popular and manageable responses within the existing political system on the one hand and deal with climate change as a stigmatized issue in parliament on the other hand (Willis 2018).[1] Overall, these studies demonstrate the reflexive potential of sociology by evaluating and challenging existing approaches and prevalent power constellations.
Similarly, contributions on economy illustrate that sociology enables to scrutinise capitalist production and consumption structures. These publications suggest that present modes of capitalist production and consumption are inherently unsustainable (Leahy 2008; Redclift 2009; Urry 2008, 2009). They provide impulses for extending sociological thinking about the economy and offer empirical insights into internal paradoxes and complexities of late modern economies by focusing on the excessive practices, inequalities, and power asymmetries that contemporary capitalism generates (Vara 2015). Even though postmodernist scholars have problematized utopian and dystopian thinking, the looming climate catastrophe appears to force the discipline to rediscover the power of critique and the development of desirable alternatives to existing frameworks.
Studies on mass media and public perceptions show how media actors and prevalent narratives influence understandings of climate change (White 2017). They discuss how representations of climate change in the media create a climate imaginary that promotes the idea of ‘green capitalism’, implying soft transformative pathways that contradict visions of radical change (Luke 2015). Other contributions indicate that natural catastrophes such as heat waves and floods do not necessarily shift public opinion on climate change while ideologies remain the dominant predictor for climate change perceptions (Hamilton et al. 2016). In this subfield, sociology points to differences in the (re)production of climate change knowledge, as understandings of it vary across geographical regions as well as social milieus, and aims to understand how actors seek to make sense of it based on their prevalent perceptions of reality and operational logics.
Finally, sociological contributions on the global flows of knowledge and people analyse how climate change takes shape in the form of environmentally-related migration, international academic collaboration, unequal knowledge flows between the Global North and South (Connell et al. 2018), and global civil society networks. Publications in this subfield illustrate how climate change affects the social dynamics of world society. They draw attention to the importance of global flows, including flows of communication and people.
Thinking Further: A Changing Climate in Sociology?
There is a rising global interest among sociologists in climate change. Important sociologists, such as Ulrich Beck (2015) have placed the topic at the centre of their works, addressing the fundamental structural changes to be aligned with this topic. Furthermore, studies increasingly look beyond the Global North to consider Africa, Asia, and Latin America (for the term “Global South”, see Roysen et al. 2023). A common denominator in sociological climate change research is the analysis of different forms of reflexivity, namely analytical-descriptive, critical-normative, and political-practical reflexivity (Henkel et al. 2021). Many sociological contributions to climate change research provide critical perspectives on hegemonic transformation strategies and address power and inequality in climate discourses.
Nevertheless, it remains an open question to what extent sociological research has an impact on policy agendas and broader societal perceptions of climate change, not least given the existing inequalities in academic knowledge production, dissemination, and policy advice (i.e., the predominance of the natural sciences and economics). There is a need to study the communication of different forms of scientific knowledge about climate change in general, and of sociological knowledge in particular, into politics, economy, civil society, and mass media. Sociological knowledge may not only inform academic knowledge production and political decision making, but also broader debates in the media and civil society about alternative societal futures.
At the same time, the interest and reception within the discipline remain disputable. Rather than bringing the study of climate-related social dynamics to the publication centres of the discipline, sociological climate change research has been thriving in the inter- and transdisciplinary area of environmental and sustainability studies. Creating greater resonance for climate change research within sociology itself, however, could benefit the discipline by stimulating theoretical and methodological innovation. For instance, to integrate insights about low carbon transformations into the discipline could improve its general knowledge about societal transformations, enabling to apply this knowledge to social change in other domains (e.g., gender, agriculture, and digitalization).
[1] More recently, however, a “climatisation” of many discourses in the wake of the UN COP conferences has been observed.
Further Readings
Koehrsen, J./Dickel, S./Pfister, T./Rödder, S./Böschen, S./Wendt, B. (2020): Climate Change in Sociology. Still Silent or Resonating? Current Sociology, 68. Jg., Heft 6, S. 738-760.
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Connell, R./Pearse, R./Collyer, F./Maia, J./Morrell, R. (2018): “Re-Making the Global Economy of Knowledge: Do New Fields of Research Change the Structure of North–South Relations?” The British journal of sociology, 69. Jg., Heft 3, S.738-757.
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Henkel, A./Wendt, B./Barth, T./Block, K./Böschen, S./Dickel, S./Görgen, B./Groß, M./Köhrsen, J./Pfister, T./Rödder, S./Schloßberger, M. (2021) Soziologie Der Nachhaltigkeit. Bielefeld: transcript.
Leahy, T. (2008): “Discussion of `Global Warming and Sociology‘.” Current Sociology, 56. Jg., Heft 3, S. 475-484.
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Jens Koehrsen, Universität Oslo und Universität Basel
Email: jens.koehrsen@unibas.ch
Björn Wendt, Universität Münster
Email: bwend_01@uni-muenster.de
Stefan Böschen, RWTH Aachen
Email: stefan.boeschen@humtec.rwth-aachen.de
Anna Henkel, Universität Passau
Email: Anna.Henkel@Uni-Passau.de
Simone Rödder, Universität Hamburg