Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit
Religion
Der vorliegende Beitrag bietet einen Überblick über die Debatte zum Thema Religion und ökologischer Nachhaltigkeit. Beiträge in dieser Debatte betonen verschiedene Potentiale, anhand deren Religion ökologische Transformationen vorantreiben kann. Weiterhin wird häufig angenommen, dass Religionen weltweit umweltfreundlicher werden („ergrünen“) und sich zunehmend aktiv in ökologischen Transformationsprozessen engagieren. Die soziologische Forschung findet hierfür bisher jedoch keine breiten empirischen Belege. Der besondere Beitrag der Soziologie besteht in der empirischen Erforschung dieser Annahmen. Weiterhin kann Soziologie auf Basis ihres reichen Fundus an Sozial- und Gesellschaftstheorien die empirische Rolle von Religion in nachhaltigen Transitionen erklären.
Einleitung
Bei einer Auseinandersetzung mit der Rolle von Religion in den gegenwärtigen Prozessen nachhaltigen Wandels mag man sich folgende Fragen stellen: Sind Religionen nicht prädestiniert dafür einen Beitrag zu einer Nachhaltigkeitstransformation zu leisten, da ihnen die Norm innewohnt, „die Schöpfung zu bewahren“? Oder sind sie andersherum Teil des Problems, da sie dazu auffordern, dass sich der Mensch die Welt zum Untertanen machen soll?
Generelle Antworten hierauf lassen sich nicht geben, da ganz unterschiedliche Auslegungen der jeweiligen religiösen Traditionen vorliegen. Diese haben verschiedene Auffassungen davon, wie sich der Mensch gegenüber der Natur verhalten sollte. Dabei konkurrieren diese unterschiedlichen Auffassungen in den jeweiligen Traditionen miteinander. Jedoch gibt es Stimmen in der akademischen Debatte um Religion und Nachhaltigkeit, die davon ausgehen, dass umweltfreundliche Auslegungen langsam die Überhand gewinnen. Sie gehen von einem „Ergrünen“ der Religionen aus. Dieses zeigt sich auch an den zunehmenden öffentlichen Verlautbarungen religiöser Führungsfiguren. Ein prominentes Beispiel hierfür ist „Laudato Sí“ von Papst Franziskus. Der Papst veröffentliche die Enzyklika kurz vor der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris. Hierin warnt er vor den Folgen des Klimawandels und fordert die Weltgemeinschaft zum Handeln gegen die globale Erwärmung auf. Während die Enzyklika von der medialen Weltöffentlichkeit im überwiegenden Masse äusserst positiv aufgenommen wurde, war das Echo innerhalb der katholischen Kirche gespaltener. Daran zeigt sich, dass innerhalb der einzelnen Religionen um das Thema Nachhaltigkeit gerungen wird. Es erzeugt Spannungen und führt zu Aushandlungsprozessen in Religionsgemeinschaften.
Zugleich betonen Wissenschaftler*innen zunehmend, dass Religion bei der Bewältigung ökologischer Herausforderungen eine zentrale Rolle spielen könnten. So benennt die akademische Debatte über Religion und Nachhaltigkeit verschiedene Potentiale, anhand deren Religion ökologische Nachhaltigkeit vorantreiben kann. Hierzu gehören die weltweit große Anzahl religiöser Anhänger*innen sowie der Einfluss von Religionsgemeinschaften auf die Weltbilder, Werte und Lebensweisen ihrer Anhänger*innen. Ebenso verfügen Religionsgemeinschaften und deren Führungsfiguren häufig über öffentlichen und politischen Einfluss sowie über finanzielle und organisatorische Ressourcen, um nachhaltige Transitionen voranzutreiben (oder zu blockieren).
Ob und inwiefern sich tatsächlich ein grüner Wandel innerhalb verschiedener Religionen vollzieht und wie diese sich dann für den nachhaltigen Wandel einsetzen, ist Gegenstand soziologischer Forschung. Einige Schlaglichter aus dieser Forschung werden im Folgenden dargestellt.
Dieser Beitrag fokussiert auf Religion und ökologische Nachhaltigkeit. Auch andere Dimensionen von Nachhaltigkeit wie wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit spielen für Religionen eine Rolle. So haben viele Religionen eine lange Tradition sozialen Engagements, die weit über jener des Nachhaltigkeitsbegriffs hinausgeht (z.B.: Wohltätigkeit im Islam). Auch müssen Religionsgemeinschaften sich seit jeher der Frage des ökonomischen Überlebens stellen. Im Gegensatz zum Aspekt der Ökologie werden diese Debatten meist nicht im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsbegriff geführt. Mit Blick auf die Frage des Verhältnisses von Religion und ökologischer Nachhaltigkeit lassen sich zwei Debatten unterscheiden: (1) eine Debatte um Religion und Ökologie, die zunächst besonders von Theolog*innen und Religionswissenschaftler*innen vorangetrieben wurde und (2) einer langsam wachsenden Debatte über Religion in der sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeits- und Klimaforschung. Einige der Thesen aus der ersten Debatte – wie besonders jener des Ergrünens von Religion – wurden von Soziolog*innen aufgegriffen und empirisch untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden mitunter in soziologischen Zeitschriften aber auch zu einem kleineren Teil in jenen der sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeits- und Klimaforschung veröffentlicht.
Religion und Nachhaltigkeit
Eine wissenschaftlich allgemein akzeptierte Definition von Religion liegt nicht vor. Stattdessen gibt es verschiedene Definitionsansätze. Mit Blick auf das Thema ökologische Nachhaltigkeit sind hierbei zwei Zugriffe auf Religion besonders relevant (Koehrsen 2023): (1) institutionalisierte Formen von Religion und (2) kaum oder nicht institutionalisierte Formen von Religion.
Ein Großteil der wissenschaftlichen Debatte konzentriert sich auf institutionalisierte Formen von Religion. Damit sind Phänomene gemeint, die dem Begriff „Religion“ traditionell zugerechnet werden. Häufig nehmen sie eine gemeinschaftliche und organisierte Form an, so etwa das Christentum, der Islam, das Judentum, der Buddhismus etc. Der zweite Zugriff auf Religion bezieht sich auf weniger institutionalisierte und diffusere Formen von Religion, für die häufig der Begriff Spiritualität verwendet wird. Hier ist die Zurechnung zu Religion wissenschaftlich umstrittener, da es sich oft um diffusere und empirisch weniger greifbare Phänomene handelt. Es kann sich etwa um das Legen von Tarot-Karten oder Lesen von Horoskopen handeln oder eben auch um Formen der Verehrung von Natur. Grundsätzlich können beide Phänomenbereiche – jener der traditionellen Religion und jener der Spiritualität – dem Überbegriff der Religion zugerechnet werden.
Der Strang der wissenschaftlichen Debatte, der sich mit dem diffuseren Phänomenbereich des Religiösen auseinandersetzt, wendet sich der Untersuchung von Ökospiritualität zu. Dabei untersucht er diese etwa bei Naturliebhaber*innen, Umweltaktivist*innen und ökologisch bewegten Unternehmer*innen (Becci et al. 2021). Besonders bekannt ist Bron Taylor’s (2010) These der Ausbreitung einer neuen „dunkelgrünen“ Religion. Taylor geht davon aus, dass Natur zunehmend als etwas Heiliges und unbedingt Schützenswertes verehrt werde. Ein großer Teil des heutigen Umweltengagements sei potenziell durch «dunkelgrüne» Religion motiviert. Dieser Strang ist jedoch weniger stark in den Debatten um Religion und Nachhaltigkeit vertreten.
Soziologische Perspektiven auf Religion und Nachhaltigkeit
1. Annahmen über den Zusammenhang von Religion und Nachhaltigkeit
Der 1967 erschienene Aufsatz „The Historical Roots of our Ecological Crisis“ von Lynn White (1967) bildet einen wichtigen Startpunkt für die Debatte über Religion und Ökologie. In diesem Artikel vertritt White die These, dass das westliche Christentum mit seinem Anthropozentrismus eine zentrale Verantwortung für die ökologische Krise trage. Am Ende des Artikels vollzieht White eine überraschende Wendung, indem er behauptet, dass Religion nicht nur die Ursache, sondern eben auch die Lösung für die ökologische Krise sei. Es sei nötig, eine neue umweltfreundliche Religion zu entwickeln oder die bestehende Religion so zu verändern, dass sie umweltfreundlich werden.
Anschließend an die Thesen von White hat sich eine rege akademische Debatte über das Verhältnis von Religion und Ökologie entwickelt. An dieser beteiligen sich besonders Theolog*innen, Schriftgelehrte aus unterschiedlichen religiösen Traditionen und Religionswissenschaftler*innen. Viele Vertreter*innen dieser Debatte gehen davon aus, dass Religion besondere Potentiale aufweist, um ökologische Nachhaltigkeit zu befördern (Gardner 2003). Hierzu gehört der grosse Anteil religiöser Anhänger*innen an der Weltbevölkerung. So schätzt Pew Research, dass 84% der Weltbevölkerung Anhänger*innen einer religiösen Tradition sind (Pew Research Center 2017). Religionen prägen die Weltbilder und Werte ihrer Anhänger*innen und können umweltfreundliche Werte vermitteln, um die Anhänger*innen zu nachhaltigeren Lebensweisen zu bewegen. Auch haben religiöse Führungsfiguren häufig eine hohe öffentliche Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit (Schaefer 2016). Beides könnten sie nutzen, um die Öffentlichkeit für ökologische Probleme zu sensibilisieren und Druck auf politische Entscheidungsträger*innen auszuüben. Schließlich verfügen religiöse Organisationen (z.B. die Katholische Kirche) zum Teil über massive Ressourcen in Form von finanziellen Mitteln, Mitarbeiter*innen, Gebäuden, Ländereien sowie verbundenen Organisationen (z.B. Schulen, Krankenhäusern, sozialen Hilfswerken). Diese Ressourcen könnten sie einsetzen, um den nachhaltigen Wandel voranzutreiben (z.B. Umstellung auf erneuerbare Energie, Recycling, lokale Beschaffung, Investitionen in nachhaltige Fonds).
Neben der Betonung der Potentiale von Religion wird im Anschluss an Lynn White auch die These vertreten, dass Religionen „ergrünen“ („Greening of Religions“) (Chaplin 2016). Damit ist gemeint, dass Religionen zunehmend umweltfreundlicher werden. Dieser „grüne“ Wandel vollziehe sich einerseits in der Verbreitung neuer, umweltfreundlicher Lesarten der jeweiligen Traditionen (z.B. „Bewahrung der Schöpfung im Christentum“). Andererseits manifestiere er sich in umweltfreundlichen Aktivitäten von religiösen Gemeinschaften; beispielsweise in öffentlichen Verlautbarungen zur Klimakrise, in Energiesparmaßnahmen in religiösen Gebäuden oder in der Vermittlung umweltfreundlicher Werte in Predigten und Gebeten.
Weitgehend losgelöst von der Religion und Ökologie-Debatte finden sich auch zunehmend in der interdisziplinären Klima- und Nachhaltigkeitsforschung Stimmen, die auf die Relevanz von Religion verweisen und ähnliche Potentiale von Religion hervorheben (Ives et al. 2020). Häufig wird besonders auf das Potential von Religion verwiesen, umweltfreundliche Werte und Weltbilder zu vermitteln.
2. Empirische Befunde und gesellschaftstheoretische Reflexionen zur Bedeutung von Religion in der Nachhaltigkeitstransformation
Die Religion und Ökologie-Debatte ist durch stark religionsaffirmative Annahmen über die Rolle und Entwicklung von Religion geprägt. Jedoch mangelt es bisher an empirischer Forschung, um die Annahmen ausreichend zu belegen, sowie an einer gesellschaftstheoretischen Reflexion vorliegender Befunde. Diesbezüglich kann soziologische Forschung wichtige Beiträge leisten.
So kann sie zur empirischen Erforschung der Rolle von Religion für den nachhaltigen Wandel beitragen. Hierfür sind sowohl quantitative Studien nötig, die durch hohe Fallzahlen in die Breite gehen, als auch qualitative Fallstudien, die die Dynamiken in der Tiefe untersuchen. Es liegen zahlreiche quantitative Studien vor, die ökologische Werteinstellungen religiöser Individuen untersuchen und hierfür vorliegende Datensätze (z.B. World Value Survey) verwenden. Eine Überblickstudie von Taylor et al. (2016), die die unterschiedlichen Untersuchungen mit Blick auf ihre zentralen Ergebnisse analysiert, kommt zu dem Schluss, dass es bisher keinen empirischen Rückhalt für die Annahme eines „Ergrünens“ von Religion gibt. Weiterhin liegen qualitative Fallstudien zu einzelnen religiösen Gemeinschaften vor. Diese identifizieren mitunter Spannungen in den Gemeinschaften mit Blick auf die Umsetzung eines «grünen» Wandels (Blanc 2023, Jamil 2023). So unterstützen Teile der Gemeinschaften das ökologische Engagement, während andere diesem Engagement kritisch gegenüberstehen oder es nicht als zentrale Aufgabe ihrer Gemeinschaft betrachten. In der Forschung zeigen sich bisher keine einheitlichen Tendenzen mit Blick auf die Beweggründe dafür eine bestimmte Position zu beziehen. In religiösen Organisationen kann dies etwa mit den besonderen Diskursdynamiken einzelner Milieus und Machtkämpfen der Akteure innerhalb der jeweiligen Organisation zusammenhängen. Auch können hierbei die politischen und theologischen Ausrichtungen der einzelnen Akteure eine Rolle spielen.
Die Frage nach den Beweggründen stellt sich nicht nur im Hinblick auf einzelne Akteure, sondern auch gesamthaft mit Blick auf religiöse Organisationen: Unter welchen Beweggründen engagieren sich religiöse Organisationen für den nachhaltigen Wandel? Dieser Frage haben sich Koehrsen und Huber (2021) im Rahmen einer Studie in Deutschland und der Schweiz zugewandt. Dabei wurden Dachverbände und lokale Gemeinschaften unterschiedlicher religiöser Traditionen untersucht. Es zeigen sich besonders zwei Tendenzen: (1) religiöse Dachverbände engagieren sich durchschnittlich stärker als deren lokale Gemeinschaften (2) gesellschaftlich stärker etablierte Religionsgemeinschaften weisen ein höheres Engagement auf als gesellschaftlich weniger anerkannte Gemeinschaften. Die Studie verweist darauf, dass gesellschaftliche Anerkennung ein zentraler Faktor für das „grüne“ Engagement ist. Einerseits ermöglicht gesellschaftliche Anerkennung das Engagement, weil sie den anerkannten Gemeinschaften den Zugriff auf Ressourcen (z.B. Kirchensteuern) ermöglicht, mit denen sie dann «grüne» Projekte realisieren können. Andererseits motiviert das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung das Engagement. So besetzen Dachverbände das Thema öffentlich, um die soziale Relevanz der eigenen religiösen Gemeinschaft in der breiteren Gesellschaft zu untermauen (oder je nach religiöser Tradition auszubauen). Eine andere Studie zu Religionsgemeinschaften in den USA verweist zudem darauf, dass der regionale Kontext eine grosse Rolle spielt (Djupe/Olson 2010). Lokale Religionsgemeinschaften orientieren sich an den dominanten Klimadiskursen des jeweiligen Staats in welchem, sie beherbergt sind.
Auch auf der internationalen Ebene zeigen sich interessante Dynamiken. In den internationalen Debatten über den Klimawandel positionieren sich religiösen Akteure in besonderer Weise über Fragen der Klimagerechtigkeit, wie etwa eine Studie von Glaab (2017) belegt. Dabei heben religiöse Akteure sowohl die Verantwortung gegenüber jüngeren Generationen hervor als auch gegenüber jenen Menschen, die innerhalb der unterschiedlichen Länder am stärksten vom Klimawandel betroffen (bzw. gefährdet) sind.
Zum Weiterdenken
Religiöse Akteure positionieren sich auf ganz unterschiedliche Weisen zu Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit. Diese Vielfalt spiegelt sich auch innerhalb religiöser Gemeinschaften wider, in denen sich häufig Spannungen rund um das Thema zeigen. Soziologische Forschung kann dazu beitragen diese Vielfalt und die damit verbundenen Aushandlungsprozesse wissenschaftlich verständlich zu machen und mit Blick auf deren Konsequenzen für nachhaltige Transformationsprozesse zu analysieren. So kann sie mittels quantitativer Methoden Faktoren ermitteln, die das ökologische Engagement von Religionsgemeinschaften befördern (oder erschweren). Auch kann sie anhand qualitativer Fallstudien die Dynamiken der Aushandlung von Nachhaltigkeit in religiösen Gemeinschaften aufzeigen. Zugleich ergeben sich unterschiedliche Forschungslücken, von denen einige nun thematisiert werden sollen.
Der Fokus quantitativer soziologischer Studien hat bisher besonders auf Individuen gelegen. Deshalb mangelt es an Studien, die lokale Gemeinschaften (z.B. Kirchengemeinden, muslimische Gemeinschaften) in einer bestimmten Region in der Breite untersuchen. Hierzu wären Fragebogenerhebungen mit Vertreter*innen der jeweiligen Gemeinschaften denkbar, die ermitteln, ob und in welcher Weise die lokalen Gemeinschaften zum nachhaltigen Wandel beitragen (oder diesen blockieren) sowie welche Faktoren (z.B. Ressourcenausstattung, politische und theologische Ausrichtung) dieses Engagement befördern (oder blockieren). Denkbar wären die quantitativen Erhebungen mit qualitativen Methoden („Mixed Methods“) zu kombinieren, so dass die ermittelten Zusammenhänge im Anschluss in Fallstudien vertieft untersucht werden können. Ebenso wären Vergleichsstudien wichtig, die in verschiedenen Kontexten ermitteln, welche Faktoren sich förderlich oder schwächend auf das religiöse Nachhaltigkeitsengagement auswirken (z.B. Höhe der Religiosität der Bevölkerung, staatliche Nachhaltigkeitsagenda). Besonders mit Blick auf den sog. „Globalen Süden“ (siehe Beitrag zu „Global South“) wären weitere Studien nötig. In vielen Ländern des „Globalen Südens“ spielt Religion eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit, Politik und privaten Lebensführung der Bevölkerung. Damit könnten die oben genannten Potentiale von Religion mehr zum Tragen kommen als etwa in den stärker säkularisierten Ländern Westeuropas. Jedoch wären auch religiöse Gegentendenzen gegen ein „Ergrünen“ zu beachten. Während die Debatte bisher besonders auf das «Greening» fokussiert, wurden Entwicklungen in Religionen, die negative ökologische Effekte erzeugen („Ungreening“), bisher kaum in den Blick genommen.
Neben der empirischen Erforschung kann die Soziologie durch ihre reiche Theorielandschaft zur Erklärung der Befunde (z.B. Spannungen bezüglich „grünen“ Engagements) beitragen. So wäre denkbar die Befunde in breitere Gesellschaftstheorien (z.B. von Luhmann, Bourdieu) einzubetten oder Versatzstücke aus diesen Theorien zu verwenden (z.B. gesellschaftliche Ausdifferenzierung, Feldtheorie, soziale Räume), um einzelne Befunde zu erklären (Koehrsen/Huber 2021). Dies ist bisher nur in Ansätzen erfolgt. Da soziologische Theorie enorme Erklärungspotentiale für (nicht-)nachhaltige Transitionen besitzt, kann sie auch mit Blick auf die Rolle von Religion in diesen Transitionen wertvolle Erklärungsbeiträge leisten.
Weitere Literatur
Koehrsen, J./Blanc, J./Huber, F. (2023): Religious Environmental Activism: Emerging Conflicts and Tensions in Earth Stewardship. London: Routledge.
Taylor, B. (2010): Dark green religion: nature spirituality and the planetary future. Los Angeles: University of California Press.
Becci, I./Monnot, C./Wernli, B. (2021): Sensing ‘Subtle Spirituality’ among Environmentalists. In: Journal for the Study of Religion, Nature & Culture, 15. Jg., Heft 3, S. 344-367.
Blanc, J. (2023): From “Why Should?” to “Why Do?”. Tensions in the Christian Context while Acting for the Environment. In: Koehrsen, J./Blanc, J./Huber, F. (Hrsg.): Religious Environmental Activism: Emerging Conflicts and Tensions in Earth Stewardship. London: Routledge.
Chaplin, J. (2016): The global greening of religion. In: Palgrave Communications, 2. Jg., S. 1-5.
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Gardner, G. T. (2003): Engaging Religion in the Quest for a Sustainable World. In: Worldwatch Institute (Hrsg.): State of the world. A Worldwatch Institute report on progress toward a sustainable society. New York: W. W. Norton & Company, S. 152-175.
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Koehrsen, J. (2023): Religion und Ökologie. In: Sonnenberger, M./Bleicher, A./Gross, M. (Hrsg.): Handbuch Umweltsoziologie. Wiesbaden: Springer VS.
Koehrsen, J./Huber, F. (2021): A field perspective on sustainability transitions: The case of religious organizations. In:Environmental Innovation and Societal Transitions, 40. Jg., S. 408-420.
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Schaefer, J. (2016): Motivated for Action and Collaboration: The Abrahamic Religions and Climate Change. In:Geosciences, 6. Jg., Heft 3, S. 31.
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Jens Köhrsen ist Professor für Soziologie an der University of Oslo und der Universität Basel