Wissenschaft (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)

Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Wissenschaft

Die Eindeutigkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse zur ökologischen Nicht-Nachhaltigkeit moderner Gesellschaften macht die Wissenschaft zu einem zentralen Knotenpunkt im Aushandlungsprozess einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft. Dabei ändern sich jedoch auch das Selbstbild und die Rolle der Wissenschaft, was wiederum Fragen für die Soziologie als Reflexionswissenschaft der Gesellschaft aufwirft.

Einleitung

Seien es naturwissenschaftliche Modelle, die vor dem Übertreten von Grenzwerten und den daraus resultierenden Folgen warnen, Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen Umweltschäden und Migrationsbewegungen, oder sozialwissenschaftliche Analysen, die den Zusammenhang von Klimagerechtigkeit und Zufriedenheit darstellen: die vielen Erkenntnisse aus der Forschung lassen sich als Grundlage eines Plädoyers für eine wissenschaftsgeleitete Politik im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation lesen und werden gerade deshalb auch von Protestbewegungen als Autorität zitiert. „Listen to the Science!“, liest man dabei immer wieder.

So plausibel ein Aufruf erscheint, der die Wissenschaft in der Verantwortung sieht und dafür plädiert, dass die Politik sich auf ihre Daten und Prognosen verlassen muss, um eine klimagerechte Politik und den sozial-ökologischen Wandel zu unterstützen, so müssen die Funktionsweise der Wissenschaft, ihre Abläufe und Stellung in der Gesellschaft auf der anderen Seite auch kritisch betrachtet werden, wenn man die Fallstricke einer mitunter folgenschweren Vereinfachung vermeiden möchte [1]. Das Spannungsfeld zwischen einem solchen Gegensatz von Praktiken, die auf der einen Seite auf wissenschaftlich unfundierten, sogenannten ‚Alternativen Fakten‘ beruhen und im Extremfall technokratischer Euphorie auf der anderen, führte zuletzt die Corona-Pandemie einer breiten Öffentlichkeit vor Augen. Eine wissenschaftssoziologische Frage mit Blick auf Nachhaltigkeit lautet also: Was kann Wissenschaft leisten, wo liegen ihre Grenzen und welches Wissenschaftsverständnis ist der sozial-ökologischen Krisenlage der modernen Gesellschaft angemessen? Und insbesondere: Welche Erkenntnisse liefert die Soziologie in diesem umkämpften Feld?

Soziologie und Wissenschaft

Die Soziologie entstand als Disziplin zunächst in ihrer selbst gesetzten Differenz gegenüber anderen wissenschaftlichen Perspektiven (Psychologie, Biologie, Anthropologie). Ihr Mehrgewinn und immer schon bestehendes Problem ist dabei, dass sie Teilbereiche der Gesellschaft (wie Religion, Wirtschaft, Politik) mit wissenschaftlicher Distanz beobachtet und damit Beschreibungen anfertigt, die sich von den Selbstbeschreibungen dieser Teilbereiche unterscheiden (hierzu Kieserling 1999). Die Soziologie stieß mit einem Begriff von Robert Merton auf latente Funktionen; so erforschte Émile Durkheim die Religion etwa nicht mit Blick auf die Richtigkeit der Dogmen, sondern mit Blick auf den durch Religion geleisteten sozialen Zusammenhalt. In gewisser Weise verbot sich dieser Blick auf die Wissenschaft jedoch – hätte man damit doch die erkämpfte Wissenschaftlichkeit der noch neuen Disziplin scheinbar unnötig wieder in Frage gestellt. Ihre eigene Haltung zur Wissenschaft (und damit zu sich selbst) blieb deshalb im Grunde eine wissenschaftsphilosophische und keine soziologische. In Deutschland änderte sich diese Haltung maßgeblich durch den Streit um die Wissenssoziologie [2] der 1920er und 1930er sowie durch den Positivismusstreit [3]. Erst in dessen Nachgang begann die Soziologie, systematisch auch die Wissenschaft als ihr Objekt zu sehen und damit die sozialen Konstruktionsgehalte dieses Feldes herauszuarbeiten. Sie stößt dabei auf das Problem, innerhalb der Wissenschaft die Selbstbeschreibung derselben herauszufordern und sich damit scheinbar selbst zu delegitimieren.

Zwar ging die Soziologie nicht so weit, den Anspruch auf Wahrheit der Wissenschaft auszusetzen, doch zeichnete die Geschichte der (sozialwissenschaftlichen) Wissenschaftstheorie das Bild einer Verschiebung, das sich an drei Punkten schematisch verdeutlichen lässt. Klassisch wäre hier (1) zunächst der Kritische Rationalismus und Karl Popper zu nennen, mit seiner Annahme, dass Wissenschaft klare Kriterien angeben können muss: Reliabilität, Validität, Objektivität. (Vorläufig) Wahr ist hiernach, was nach bestimmten Grundlagen wiederholbar und überprüfbar ist und dabei die Kriterien für seine eigene Widerlegung mit angibt. Dieses Wissen gilt so lange, wie es nicht falsifiziert wurde. (2) Der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn soziologisiert diese Annahme gewissermaßen dahingehend, dass für ihn Wahrheit eine durch spezifische Paradigmen bestimmte Tatsache darstellt, das heißt, sie wird in scientific communities als vorherrschende und praktikable Anschauung verstanden und reproduziert und kann mit deren Vertreter*innen verschwinden. Im Nachgang hieran geriet auch die soziale Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft als System in den Blick: Über Publikationen und die Zuweisung von Forschungsgeldern – und das heißt: auf Basis von Entscheidungen – reproduziert sich Wissenschaft, wodurch nicht länger rein rationale, sondern auch soziale Faktoren als wesentlich mitentscheidend für Wahrheitsproduktion erachtet wurden. Zuletzt findet sich (3) insbesondere durch die Science and Technology Studies ein Wissenschaftsverständnis, welches aufzeigt, wie (sozial- und natur)wissenschaftliche Fakten in sozialen Situationen und Prozessen durch Praktiken hergestellte werden, die es für und im Hinblick auf ihren Konstruktionsgehalt zu untersuchen gilt.

Die wissenschaftstheoretischen Erkenntnisse, die sich aus dieser sozialwissenschaftlichen Betrachtung der Wissenschaft ergeben, haben auch einen Einfluss auf das Feld der Wissenschaft in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft. Fand Wissensproduktion lange Zeit beinahe ausschließlich im akademisch-institutionellen Rahmen und unter der Überzeugung statt, „daß wir Wissenschaft nicht länger als eine Form möglicher Erkenntnis verstehen können, sondern Erkenntnis mit Wissenschaft identifizieren müssen“ (Habermas 1971: 13), galt es jenem Rezeptwissen, das Menschen im Alltag ausbilden, noch als weit überlegen. Demgegenüber weisen (insbesondere, aber nicht nur sozialwissenschaftliche) Teile der mit der Erforschung des Klimawandels und der sozial-ökologischen Krise verbundenen Wissenschaftsdisziplinen eine paradigmatische Veränderung in ihrer Methodologie, von einer „scientization of politics“ und für eine „democratization of expertise“ (Carozza 2015: 109) auf: Anfang der 1990er Jahre prägten Silvio Funtowicz und Jerome R. Ravetz den Begriff „Post-normal science“ (Funtowicz/Ravetz 1993: 743), um eine Antwort der Wissenschaft auf gesellschaftliche Krisenfelder geben zu können. Ausschlagegebend für diese neue Form der Wissenschaft war die Erkenntnis, „that facts are uncertain, […] values in dispute, […] stakes high and decisions urgent“ (Funtowicz/Ravetz 1993: 735 ff.). Statt sich auf akademisch-institutionelle Forschungskontexte zu begrenzen, expandiert das Erkenntnisinteresse damit in außerwissenschaftliche Bereiche und führt so zu einem veränderten Selbstverständnis der eigenen Wissenschaftlichkeit in der Forschung [4].

Für die Wissensproduktion haben die hier skizzierten Entwicklungen in den betroffenen, anwendungsorientierten Wissenschaftsdisziplinen weitreichende Konsequenzen – so auch für die Soziologie. Durch die Aufnahme dezidiert gesellschaftlicher Problemlagen in die Forschungsprogramme verändert sich ihr normativer Bezugsrahmen, deren Entdeckungszusammenhang sich überwiegend wissenschaftsextern ergibt. Zudem erweitert sich der Kreis der in die Forschung miteinbezogenen Akteur*innen. Dieses unter dem Begriff Transdisziplinarität bekannt gewordene Forschungsdesign, in dem innerwissenschaftliche Akteur*innen interdisziplinär mit außerwissenschaftlichen Akteur*innen kooperieren, lässt sich vor allem in der Nachhaltigkeitsforschung beobachten und führt bis zur sogenannten citizen science [5].

Soziologische Nachhaltigkeitsforschung auf dem Weg zur Transdisziplinarität

Während es für die Naturwissenschaften recht klare Bezüge zur Mitwirkung an der Abmilderung von Klimafolgen und dem Gelingen einer sozial-ökologischen Transformation gibt – etwa die Entwicklung technologischer Lösungen oder zumindest die Begrenzung von Risiken (Beck 2015) –, stellt sich die Frage für die Sozialwissenschaften in etwas anderer Hinsicht. Soziale Fragen sind ein eminenter Bestandteil sozial-ökologischer Transformationsbemühungen [6]. Der Klimawandel lässt sich damit nicht länger nur in Zahlen (etwa Grenzwerten, Temperaturanstiegen und Modellen) abbilden, sondern offenbart in umfassender Weise auch seine gesellschaftlichen Implikationen, wodurch er zunehmend in den Forschungsbereich der Sozialwissenschaften einrückt.

Die sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung hat dabei nicht nur die (natur-)wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Kontexte ihrer Entstehung im Blick, sondern beobachtet auch institutionelle Verschiebungen; Veränderungen der Gesellschaft durch wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso wie Veränderungen im wissenschaftlichen Normalbetrieb durch sozialen Wandel. Bereits in den 1990er Jahren wurden im Anschluss an die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) weltweit Forschungsinstitute zur wissenschaftlichen und politischen Bewältigung der Folgen des Klimawandels gegründet. Daran zeigt sich, dass sich ein großer Teil der Forschung um den Klimawandel und die sozial-ökologische Krise in inter- und transdisziplinären Zusammenhängen neu organisiert. Das wichtigste Element dieser Art Forschung ist der transformative Anspruch, Lösungen für Problemlagen zu erarbeiten und mit umzusetzen; die Anregungen für ein Forschungsproblem gehen damit aus einem konkreten Anwendungskontext hervor.

Der schon länger bestehende Diskurs um die Public Sociology (Buroway) als eine Form der Soziologie, die als Teil der Öffentlichkeit auch in diese hineinwirkt, gewinnt hierdurch noch einmal Relevanz. Dadurch wird Wissenschaft nicht erst über die Legitimation politischer Entscheidungen relevant, sondern als zentraler Knotenpunkt Teil des gesamten Ereigniszusammenhangs sozial-ökologischer Transformation. Damit erscheint ihr spezifisches Wissen jedoch in einem Legitimationsverhältnis gegenüber anderen Wissensformen zunächst als gleichrangig. Konkret: Die Wissenschaft kann nicht entscheiden, ob es ratsamer ist, auf wissenschaftliche Erkenntnisse oder die je spezifischen Wissensbestände in der Lebenswelt zu hören – sie kann nur auf den Prozess verweisen, der wissenschaftliches Wissen (durch Methoden und Theorien) neben anderen Wissensformen auszeichnet und in dem Zusammenhang auf die unstrittige Relevanz und Plausibilität dieses Prozesses verweisen. Kampfbegriffe wie etwa jener der Alternativen Fakten dienen dabei mitunter auch, den Realitäts – und Dringlichkeitsanspruch wissenschaftlichen Wissens gegenüber anderen Wissensformen zu delegetimieren (Kumkar 2022).

Das transformative Wissenschaftsverständnis einer Soziologie der Nachhaltigkeit

Das Wissenschaftsverständnis einer Soziologie der Nachhaltigkeit führt entlang der zunehmenden Verwobenheit von disziplinärer, interdisziplinärer und transdisziplinärer Methodologie schließlich zu einem transformativen Wissenschafts- und Wissenstypus. Dessen Relevanz ergibt sich aus der Komplexität des Forschungsfeldes: „Nachhaltigkeitstransformationen zeichnen sich durch die Gleichzeitigkeit immer drängenderer Entscheidungen, vielfältiger und strittiger Wertbezüge, systemischer Komplexitäten und epistemischer Ungewissheiten aus.“ (IASS 2019: 6) Spätestens mit dem Diskurs zum Anthropozän [7] konfrontiert die Wissenschaft sich selbst mit dem Desiderat, neue Wege zu eröffnen, um dem transformativen Anspruch der Nachhaltigkeitsforschung zu entsprechen. Die Anerkennung des Menschen als geologischem Faktor fordert die Soziologie nicht nur kulturell, sondern auch epistemologisch heraus.

Transformative Wissenschaft bedeutet vor diesem Hintergrund, das Wissen umfassend in die gesellschaftlichen Problemzusammenhänge einzubetten und die vielfältigen Quellen der Erkenntnis als symmetrisch anzuerkennen. Die vordergründige Bewegung in andere Wissens- und Erfahrungsgebiete rührt aus der Notwendigkeit, im Angesicht sozial-ökologischen Krisen planetaren Ausmaßes ein transformatives Wissenschafts- und Wissensverständnis zu ergründen, indem neue Methoden, Qualitätskriterien und Wege der Forschung erkundet werden (Schneidewind/Singer-Brodowski 2014). Damit geht einher, dass sich die Einzugsgebiete und Partizipationsmöglichkeiten erheblich pluralisieren. Die Definitionshoheit eines Problems liegt nicht mehr in einer Disziplin begründet, sondern geht aus einem reflexiven Aushandlungsprozess aller beteiligten Akteur*innen hervor (Mittelstraß 1998: 44). Das angestrebte Ziel einer transformativen Forschung ist neben der klassischen Erkenntnis (Wissen über den Ist-Zustand) die Veränderung in Richtung einer sozial-ökologischen Transformation (Orientierung am Soll-Zustand) sowie ein neu gewonnenes Wissen über die Transformation und ihre Bedingungen und Mittel zur Erreichung der vorher formulierten Ziele (Nanz et al. 2017: 294). Dies bezieht ebenso gesamtgesellschaftliche Zukunftsvorstellungen mit ein [8].

Ins Zentrum der Debatte um den Status und die Aufgaben einer Soziologie der Nachhaltigkeit treten Übersetzungsverhältnisse zwischen wissenschaftlichem Wissen und anderen Teilen der Gesellschaft – das bedeutet: wirtschaftliche oder politische Strukturen, aber auch private Akteur*innen. Wie, so fragt man sich hier, lässt sich das Medium wissenschaftlicher Wahrheit in andere Teilbereiche übersetzen? Nach welcher Logik wird Wahrheit ein Kriterium für die Entscheidung politischer Machtfragen, wirtschaftlicher Transaktionen, pädagogischer Anwendbarkeit? Gerade hier scheint es zu großen Schwierigkeiten zu kommen, da die Gründe für die Übernahme von Routinen und Motiven aus implizitem Wissen einzelnen Individuen weitestgehend unzugänglich sind. Die Frage, ob derlei Übersetzungen überhaupt möglich beziehungsweise planbar sind, gab schon in den 1960er Jahren Anlass zur sogenannten Steuerungsdebatte. Insbesondere die realpolitischen Fehlschläge der Modernisierungstheorien und daran anschließender Entwicklungspolitik nährten den Pessimismus in Hinblick auf die Möglichkeiten der Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung. Zusammenfassend bleibt somit zwar die positive Bilanz einer Soziologie der Nachhaltigkeit, die sich in ihrem Selbstverständnis als Wissenschaft erheblich weiterentwickelt hat und mit einem ernsthaften transformativen Anspruch auf Höhe gesellschaftlicher Problemlagen agieren kann, jedoch auch noch austarieren muss, inwiefern sie aus den Rückschlägen vergangener Transformationsbemühungen und normativen Prämissen lernen kann (vgl. auch Brand 2021).

[1] Siehe den Beitrag „Technological Fix“ im Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit.

[2] Als Disziplin begründet sich die Wissenssoziologie zentral um die Erkenntnis Karl Mannheims, dass unser Wissen von der Welt sich den Strukturen verdankt, in denen wir sozialisiert wurden. Unser Wissen, so Mannheim, ist deshalb „standortgebunden“.

[3] Als Positivismusstreit bezeichnet man die Debatte zwischen Vertretern des Kritischen Rationalismus (insbesondere Popper) und der Kritische Theorie (insbesondere Adorno). Vereinfacht gesagt, wurde die Frage zum Gegenstand, ob sich eine Gesellschaftstheorie wissenschaftstheoretisch durch absolute Wahrheitskriterien absichern lässt (Position der Kritischen Rationalisten) oder ob im Gegenteil die Regeln der Wissenschaftstheorie lediglich aus der Form der Gesellschaft ergeben und insofern aus der Gesellschaftstheorie her abgeleitet werden müssten (Position der Kritischen Theoretiker).

[4] In der Wissenschaftsforschung haben sich drei Paradigmen herausgebildet: Im ersten Paradigma (Modus 1) funktionierte Wissenschaft traditionell nach hierarchischen, disziplinären, homogenen und rein akademischen Prinzipien. Demgegenüber setzte mit dem zweiten Paradigma (Modus 2) eine Veränderung der Wissensproduktion ein, die sich stärker auf konkrete Anwendungskontexte bezog und zudem im Vergleich zu Modus 1 wesentlich heterogener agierte. Ein letztes – und auch in der Nachhaltigkeitsforschung hervortretendes drittes Paradigma (Modus 3) agiert weder rein disziplinär noch inter- und transdisziplinär, sondern transformativ, da es explizit Veränderungsaufgaben wahrnimmt, denen es verpflichtet ist.

[5] Mit Citizen Science (auch Bürgerwissenschaft oder Bürgerforschung) werden Methoden und Fachgebiete der Wissenschaft bezeichnet, bei denen Forschungsprojekte unter Mithilfe von oder komplett durch interessierte Laien durchgeführt werden.

[6] Siehe den Beitrag „Transformation“ im Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit.

[7] Einer internationalen Konferenz der Geolog*innen entspringt der Begriff des Anthropozäns, der als Ende des Holozäns in die Einteilung der Erdzeitalter vorgeschlagen wurde. Mittlerweile gilt der Begriff in den Naturwissenschaften eigentlich als verworfen; nichtsdestotrotz ist die Erkenntnis, dass der Mensch als Naturgewalt erdgeschichtlich sichtbar ist (etwa durch nachweisbare Rückstände von Mikroplastik, Kohlenstoffablagerungen oder Nutztierknochenreste), für das moderne Selbstverständnis tragend.

[8] Siehe den Beitrag „Zukunft“ im Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit.

 

Zum Weiterlesen

Beck, S./Mahony, M. (2017). The IPCC and the politics of anticipation. In: Nature Climate Change, 7. Jg., Heft 5, S. 311-313.

Selke, S./Treibel, A. (2018): Öffentliche Gesellschaftswissenschaften. Grundlagen, Anwendungsfelder und neue Perspektiven. Wiesbaden: Springer.

Strohschneider, P (2014): Zur Politik der transformativen Wissenschaft. In: Brodocz, A./Herrmann, D./Schmidt, R./Schulz, D./Schulze Wessel, J. (Hrsg.): Die Verfassung des Politischen. Wiesbaden: Springer VS, S. 175-195.

 

Beck, U. (2015): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. 22. Aufl.    Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Brand, K.-W. (2021): „Welche Nachhaltigkeit? Warum die ‚Soziologie der Nachhaltigkeit‘ weder in menschlichen Überlebensfragen begründet werden kann, noch neu erfunden werden muss.“ In: SONA – Netzwerk Soziologie der Nachhaltigkeit (Hrsg.): Soziologie der Nachhaltigkeit. Bielefeld: transcript, S. 85-107.

Carrozza, C. (2015): Democratizing Expertise and Environmental Governance: Different Approaches to the Politics of Science and their Relevance for Policy Analysis. In: Journal of Environmental Policy & Planning, 17(1), S. 108-126.

Funtowicz, S.O./Ravetz, J.R. (1993): Science for the post-normal age. In: Futures, Heft 31, 7. Jg., S. 735-755.

Habermas, J. (1971): Erkenntnis und Interesse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

IASSInstitute for Advanced Sustainability Studies (2019): Der transformative Forschungsansatz des IASS. Online: https://www.iass-potsdam.de/de/ergebnisse/publikationen/2019/der-transformative- forschungsansatz-des-institute-advanced [Zugriff: 05.07.2024]

Kieserling, A. (1999): Kommunikation unter Anwesenden. Studien über Interaktionssysteme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Kumkar, N. (2022): Alternative Fakten: Zur Praxis der kommunikativen Erkenntnisverweigerung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Mittelstraß, J. (1998): Die Häuser des Wissens. Wissenschaftstheoretische Studien. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Nanz, P./Renn, O./Lawrence, M. (2017): Der transdisziplinäre Ansatz des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS). Konzept und Umsetzung. In: GAIA, Heft 26, Heft 3, S. 293-296.

Schneidewind, U./Singer-Brodowski, M. (2014): Transformative Wissenschaft. Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. 2. Aufl. Marburg: Metropolis.


Sebastian Suttner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg.

Email: sebastian.suttner@uni-wuerzburg.de

Carsten Ohlrogge ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Münster.

Email: carsten.ohlrogge@uni-muenster.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-6078


Genuss und Verwüstung. Bericht zur Tagung „Subjekte der ökologischen Verwüstung“ im Studierendenhaus der Goethe-Universität Frankfurt

Tagungsberichte

Genuss und Verwüstung. Bericht zur Tagung „Subjekte der ökologischen Verwüstung“ im Studierendenhaus der Goethe-Universität Frankfurt

Dass die Klimakrise nicht nur einzelne Ökosysteme, sondern die ganze Menschheit existenziell gefährdet, ist hinlänglich bekannt. Dieses Wissen hat längst die Form einer immensen Datensammlung gewonnen, in welcher nicht nur geschehene Verwüstungen dokumentiert, sondern die kommenden in ausgefeilten Modellen simuliert und antizipiert sind. Alle diese Vorhaben, so wichtig sie auch sind, haben dabei etwas Vergebliches: Denn nicht nur scheint exakteres Wissen nicht zu entschiedenerem Gegensteuern zu führen; in den Datensammlungen soll etwas letztlich Unfassbares erfasst werden. ‚Unfassbar‘ – das ist die Klimakrise nicht nur der unkalkulierbaren Konsequenzen ökologischer Kipppunkte wegen, sondern aufgrund ihrer überfordernden Monstrosität auch im subjektiven Sinne: Wie schon soll sich das Szenario des Endes der Menschheit vorstellen lassen? Wie das eigene Leben in einer Welt, in der sich die Folgen der Klimakatastrophe in der eigenen Lebenswelt radikal manifestieren? Und wie soll ein Subjekt, das in seinem Lebensvollzug permanent dazu aufgefordert ist, autonom und handlungsfähig zu sein, mit der gefährlichen Kränkung verfahren, die eine aus der menschlichen Kontrolle geratene Natur darstellt?

Die subjektiven Reaktionen auf Kränkung und Unbegreiflichkeit der Klimakrise fallen dabei sehr unterschiedlich aus: Von apokalyptischer Angst über die zunehmend verzweifelten Versuche, das eigene „glückliche Bewusstsein“ (Marcuse 1967: 95) gegen alle Verwüstungen aufrechtzuerhalten bis hin zur Ablehnung jeglicher nachhaltiger Politik oder der aggressiven Bestärkung der Verwüstung in der global erstarkenden Rechten. Angesichts dieser Konstellation tut es Not, sich nicht nur der ökologischen Verwüstungen selbst, sondern auch den „Subjekten der ökologischen Verwüstung“ zuzuwenden und ebendas ist Ausgangspunkt und Titel des Workshops, der am 16. und 17. Mai 2024 im Studierendenhaus stattfand und den Untertitel „Soziologische, psychoanalytische und sozialphilosophische Beiträge zur Aktualisierung der Kritischen Theorie“ trug. Der Workshop setzte sich dabei zwei Ziele: Erstens die Subjektivitäten der Klimakatastrophe zu begreifen und zu ergründen, was aus dem Subjekt wird, das die ökologische Verwüstung forttreibt und erfährt. Entsprechend lautete die in der von den Organisator*innen Thomas Barth, Ricarda Biemüller, Tobias Heinze und Heiko Stubenrauch in der Einführung aufgestellte Leitfrage, ob die „Subjekte der ökologischen Verwüstung wirklich so abgeklärt, einfältig und indifferent“ sind, wie es kritisch-ökologischen Zeitgenoss*innen oft erscheint. Zweites Ziel war eine Aktualisierung Kritischer Theorie für die Klimakrise, also die Diskussion der Frage, was die Kritische Theorie Frankfurter Prägung für das Verständnis dieser Subjektivitäten beizutragen hat, an welchen Stellen diese einer Anpassung bedarf und wie eine solche Anpassung aussehen könnte.

Um dies gleich vorwegzunehmen: Während so manche wissenschaftliche Tagung mit großen Begriffen aufwartet, um sich sodann in disparaten Details zu verlieren, aus denen sich kein Bild eines größeren Zusammenhangs herstellen möchte, gelang es in diesem Workshop, die zentralen und umstrittenen Diskussionsstränge eines in der Formierung begriffenen Forschungsfelds sichtbar zu machen. Auf die Darstellung dieser Diskussionsstränge möchte ich mich fokussieren, zugleich aber einen Überblick über alle Beiträge des zweitägigen Workshops geben – was dazu führt, dass die nachfolgende Rezeption der einzelnen Beiträge unterschiedlich ausführlich ausfallen wird.

Tag 1

Der Workshop war in sechs Teile geteilt. Im ersten Teil Natur und Naturbegriffe widmete sich zunächst Lorina Buhr (Utrecht University) dem Naturbegriff Kritischer Theorie seit Marx und der Frage, ob dieser im Lichte der Klimakrise einer Modifikation bedarf. Sie plädierte dabei für eine Ausweitung und Präzisierung des Begriffs, weil in der frühen Kritischen Theorie eine Beschränkung auf belebte Natur bestehe, Natur zumeist regional begrenzt gedacht und Naturzerstörung als prinzipiell reversibel betrachtet wird – was allesamt Prämissen seien, die sich im Lichte der Klimakrise nicht aufrechterhalten ließen. Philip Hogh wendete sich sodann der Frage der Normativität von Natur und darin auch der normativen Quellen (ökologischer) Gesellschaftskritik zu. Er versuchte dabei den Gegensatz zwischen einer biozentrischen Argumentation, die Normativität in der Natur selbst verankert und einer anthropozentrischen Argumentation, die Normativität als rein menschlichen Akt begreift, aufzulösen: Letztere Argumentationsweise müsse akzeptieren, dass in Natur Normativität angelegt ist, während erstere akzeptieren müsse, dass jede Erkenntnis über die Normativität von Natur sprachlich und durch den Menschen vermittelt ist. Während die ersten beiden Beiträge Grundbegriffe zum Gegenstand hatten, war der Vortrag von Heiko Stubenrauch bereits stärker in der Zeitdiagnostik verankert: In seinem Beitrag Wunsch und Natur: Kritische Theorie im Zeitalter ökologischer Verwüstung verweist er darauf, dass mit der „kontrollierten Triebbefreiung“ im (post-)fordistischen Spätkapitalismus, die Stubenrauch mit Herbert Marcuse (1967) auf den Begriff „repressive Entsublimierung“ bringt, auch einhergehe, dass „Umweltzerstörung im Modus der Freiheit, nicht im Modus der Entfremdung“ stattfinde[1]: Die Klimakrise werde heute nicht primär aus der instrumentellen Naturbeherrschung unter Zwang, sondern durch Freiheit zum Konsumismus vorangetrieben.

Der zweite Teil des Workshops nahm sich sodann der Sozialökologie der Verwüstung an. Während im späteren Verlauf des Workshops die subtileren Mechanismen der „nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit“ (Blühdorn 2020) im Fokus standen, ging es hier in beiden Vorträgen um die offene und aggressive Bestärkung ökologischer Verwüstung. Beide Beiträge schlossen dabei an die kritisch-theoretische Forschungstradition der autoritären Persönlichkeit an: Julian Niederhauser stellte in seinem Vortrag Der potenzielle Fossil-Faschist sein Forschungsvorhaben vor: Anschließend an die jüngere Debatte zur Gefahr, dass die Klimakrise Katalysator für faschistische Formierungen werden könnte, stellt er erste Einblicke in seine empirische Forschung dar, die darauf hinweisen, dass sich in Reaktion auf die Klimakrise klassische Momente autoritärer Charakterstrukturen mit einer „Lust an der ökologischen Destruktion“ verbinden, in der die eigene Lebensführung in Abgrenzung zu Nachhaltigkeit, die mit Verwirklichung assoziiert werde, performativ um „Autos, Ruß und Schlamm, Bier, Fleisch, Party“ gebaut wird. Nahe lag hier die Assoziation zu Simon Schaupps (2024) aktuellen Buch „Stoffwechselpolitik“, in welchem dieser argumentierte, dass fossile Energie mit dem Aufkommen der Nachhaltigkeitsdiskurse für Rechte zum Symbol einer angeblich gefährdeten Lebensweise geworden ist, die um das Bild des potenten, die Natur beherrschenden (und freilich männlichen) Subjekts gebaut ist.

Im darauffolgenden Vortrag stellte Dennis Eversberg aufbauend auf den Forschungen der BMBF-Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss. Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften (flumen)“ eine ökologische Sozialcharakterologie vor, in welcher ökologische Einstellungen sowie Charakterstrukturen einem erweiterten Modell von Klassenmilieus zugeordnet wurden. Aus diesem Beitrag entspann sich eine Diskussion, die sich durch beide Tage des Workshops ziehen sollte und um die Frage kreiste, ob psychoanalytische Begrifflichkeiten (wie etwa der  „sadomasochistischer Charakter“) unmittelbar als soziologische bzw. sozialcharakterologische Begriffe verwendet und eindeutig sozialen Milieus zugeordnet werden können, ohne diese um ihren psychoanalytischen Gehalt und ihre innere Komplexität zu bringen. Das verweist auf die zentrale Frage, welche Stellung Psychoanalyse in Kritischer Sozialwissenschaft zukommen kann und soll.

Der dritte Teil des Workshops stand unter dem Titel Psyche, Gesellschaft, Klima. Der Beitrag von Anna Hartmann (Universität Regensburg) „Subjekte ohne Begehren. Psychoanalytische und feministische Überlegungen zur Verwüstung sozialer Beziehungen“ wich insofern vom Rest der Beiträge ab, als es ihr nicht um ökologische, sondern um soziale Verwüstung ging. Sie führte in den Grundgedanken der Psychoanalyse Jacques Lacans ein und argumentierte, dass unbelebte, nicht-menschliche Objekte und ihr unmittelbarer Konsum zunehmend an die Stelle substanzieller sozialer Beziehungen treten würden. Im nächsten Beitrag lieferte Christine Kirchhoff unter dem Titel „Von der Freiheit ‚Möglichkeiten ungenutzt zu lassen‘ und der Notwendigkeit zu handeln“ einen höchst instruktiven Rundumschlag über die Psychoanalyse der Klimakrise, die sie als eine „Krise der Verleugnung“ ausdeutete. Während Kirchhoff individualistische Formen nachhaltigen Lifestyles als Ausdruck davon deutete, dass das Subjekt angesichts der Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen dazu gedrängt ist, die eigene, individuelle Rolle zu überschätzen, sieht sie im Antiökologismus der Rechten Abwehrmechanismen am Werk: Die Leugnung des Klimawandels befreie von Schuld und Scham und wehre zudem die narzisstische Kränkung ab, von einer unkontrollierbaren und eigensinnigen Instanz wie Natur abhängig zu sein. Kränkend sei dabei die Erfahrung, dass Natur keine „Toilettenbrust“[2] ist. Im Antiökologismus melde sich daher der Herrschaftsanspruch an, der das Andere nicht als Anderes existieren lassen kann, sondern es nur annimmt, sofern er es beherrschen kann.

Tag 2

Am zweiten Tag des Workshops ging es mit dem vierten Teil unter dem Titel Abhängigkeit und Abwehr weiter. Den Anfang machten Charlie Kaufhold (Internationale Psychoanalytische Universität Berlin) und Andrea Lilge-Hartmann (Psychotherapists for Future) mit ihrem Vortrag „Über die folgenreiche Abwehr einer bedrohlichen Realität“. In dem höchst spannenden Beitrag zeigen die Vortragenden anhand von Ausschnitten aus Gruppendiskussionen, dass das Sprechen über die Klimakrise zwischen schlechtem Gewissen und Abwehrmechanismen zerrissen ist und zudem von einem starken Zynismus geprägt ist, in der Ohnmacht und Destruktivität oft Hand in Hand gehen. So etwa, wenn die Ratlosigkeit gegenüber der Klimakrise beinahe nahtlos erst in das (falsche) Narrativ der Überbevölkerung und sodann in die fatalistisch vorgetragene Vorstellung übergeht, dass eine Lösung wohl nur in der Reduktion der Weltbevölkerung zu finden sei: „Millionen von Menschen zu töten ist einfach.“

Weiter ging es mit dem gleichermaßen spannenden Vortrag von Anna Rosa Ostern (IfS Frankfurt) mit dem Titel „Abwehr von Abhängigkeit. Einblicke in eine Interviewstudie mit Preppern und anderen Selbstversorgern“. Als Schlussfolgerung aus den bisherigen Erhebungen stellt Ostern fest, dass Gesellschaft von den Befragten als Zumutung und diffus krisenhaft erfahren wird, woraus sich das Bedürfnis speise, „allein in der Gesellschaft [zu] leben“. Die angestrebte Autarkie verschaffe den Befragten zudem eine virtuelle Handlungsfähigkeit in der antizipierten Katastrophe, die den Ohnmachtserfahrungen in der Gegenwart entgegengesetzt ist. Die Ausführungen zu Preppern schloss inhaltlich gut an den früheren Beitrag von Julian Niederhauser an, der auf den von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey (2022) behandelten libertären Autoritarismus verwies: In diesem bestünde eine „Konvergenz von Freiheitsanspruch und Autoritarismus“ (Niederhauser), weil er von einer  Freiheitsvorstellung ausgehe, in der jegliche Abhängigkeit und Einschränkung als illegitim betrachtet und die eigene, unbedingte Unabhängigkeit gegen jeglichen gesellschaftlichen Eingriffsversuch verteidigt wird.

Der fünfte Teil des Workshops war mit Subjekt, Generation, Erziehung betitelt. Zuerst stellten Melanie Pierburg (Universität Hildesheim) Hanna Haag (Frankfurt University of Applied Sciences) und Michael Corsten (Universität Hildesheim) ihre Forschungsbefunde dazu vor, wie Klimaaktivist*innen subjektiv auf die „Zeichen triumphalen Unheils“ – ein Zitat aus der Dialektik der Aufklärung und zugleich der Titel des Beitrags – reagieren. Dabei kontrastiert Pierburg et al. zwei Subjektivierungsweisen anhand zweier Fälle: dem einer Klimaaktivistin, für die Aktivismus den Ausstieg aus einer bürgerlichen Lebensweise zugunsten des prekären Vollzeitaktivismus bedeutet, und dem eines Jurastudenten, der gegenüber der Klimakrise Handlungsfähigkeit erlebt und Chancen sieht, ökologisches Engagement in seine bestehende Lebensführung zu integrieren. Im zweiten Beitrag wendet sich Ricarda Biemüller (Goethe-Universität Frankfurt) der „Erziehung zur Verwüstung“ zu. Wie auch Anna Hartmann schließt Biemüller an Lacan an, mit dem sie argumentiert, dass heute ein Imperativ des Genießens existiert, dass das Über-Ich also nicht verbietend, sondern gebietend strukturiert.[3] Diesen bezeichnet sie als „überwältigende Entsublimierung“, die in eklatanten Widerspruch zum Wissen um die Klimakrise stehe und die Menschen zu einem Dasein als „zynische Monaden des Genießens“ verdamme.

Der sechste Teil des Workshops widmete sich unter dem Titel Kultur der Verwüstung künstlerischen Auseinandersetzungen zur ökologischen Verwüstung. Der erster Beitrag stammte von Anne Gräfe (Leuphana Universität Lüneburg) und beschäftigte sich mit dem Motiv ökologischer Verwüstung im Werk Heiner Müllers. Jochen Gimmel (Universität Kassel) beschäftigte sich im zweiten Beitrag mit dem „kritischen Potential apokalyptischen Denkens“, indem er die Rolle von Apokalyptik in der frühen Kritischen Theorie rekonstruiert. Den Abschluss machte Jennifer Stevens (Friedrich-Schiller-Universität Jena) mit ihrer Kritik der „romantischen Verklärung der Natur“ anhand des Werks von Casper David Friedrichs.

Grundfragen und Richtungsentscheidungen eines neuen Forschungsfelds

Die Facetten der vorgestellten Forschungsvorhaben sind zu zahlreich, um sie alle in ein bündiges Fazit zum Workshop unterzubekommen. Doch haben sich einige Fragen und Zusammenhänge als zentral für eine kritische Subjektforschung im Zeitalter ökologischer Verwüstung herausgestellt, die ich hier daher nochmals kondensiert darstellen möchte. Mehrere Beiträge und Diskussionen hatten das Verhältnis von Freiheit und Herrschaft in der ökologischen Verwüstung zum Gegenstand. Argumentierte Heiko Stubenrauch, dass ökologische Verwüstung heute aus der Freiheit eines entfesselten Subjektes resultiere, verdeutlichte Ricarda Biemüller, dass die Ablösung eines verbietenden Über-Ichs durch ein Über-Ich, das Genuss einfordert, nicht das Ende von Zwang bedeutet, sondern eine neue Form des Zwangs etabliert – dem zum Genuss. Zugleich wurden die Prämissen einer solchen Argumentation immer wieder kritisiert: So bemängelte etwa Christine Kirchhoff, dass der Wandel von einem ver- zu einem gebietenden Über-Ich, der mit dem Wandel zum konsumgetriebenen Spätkapitalismus parallel geschalten wird, die Eigenständigkeit psychoanalytischer Argumentation schwäche und die Stabilität von Subjektivierungsformen gegenüber sozialem Wandel unterschätze. Wie auch in der Diskussion, die auf den Beitrag von Dennis Eversberg folgte, ist die Rolle der Psychoanalyse und ihre Eigenständigkeit gegenüber soziologischen Argumentationen einer der zentralen Streitpunkte des Workshops.

Unabhängig vom Ausgang dieser Diskussion ist mit der Diagnose eines Imperativs des Genusses  ein zentraler Widerspruch der Gegenwartsgesellschaft benannt: Jener zwischen einer Sozialordnung, die nicht Verzicht, sondern Teilhabe und Selbstverwirklichung qua Konsum predigt, und den drängenden Erfordernissen der Eindämmung der Klimakrise. Die weitergehende Analyse dieses Widerspruchs zwischen dem (prinzipiell grenzenlosen) Zwang zum Genuss einerseits und der Notwendigkeit der Einhaltung planetarer Grenzen  andererseits könnte eine wichtige Ergänzung zur Kritik der „imperialen Lebensweise“ (Brand/Ulrich 2017) darstellen, indem sie zu einem Verständnis der subjektiven Mechanismen beiträgt, die das Subjekt an ein nicht-nachhaltiges, selbstzerstörerisches System binden. Als einer dieser Mechanismen wurde im Laufe des Workshops ein libertärer Autoritarismus ersichtlich, der auf der unbedingten Autonomie des Individuums beharrt und jeglichen (ökologischen) Eingriff in die eigene Lebensweise ablehnt. Auch wenn dieser Autoritarismus am deutlichsten in den reaktionären Bewegungen der Gegenwart zu erkennen ist, so ist dieser aber nicht auf solche beschränkt, sondern hat vielmehr einen inneren Zusammenhang zu anderen Formen individualistischer Mentalität: Wie Amlinger & Nachtwey (2024) argumentieren, zeichnet sich libertärer Autoritarismus durch ein Freiheitsverständnis aus, in welchem diese nicht in, sondern nur außerhalb von Gesellschaft verortet wird. Die Autor*innen ordnen diesen Freiheitsbegriff einem „Besitzindividualismus“ (Amlinger/Nachtwey 2022: 91) zu, wie er für bürgerliche Gesellschaften, in der Menschen primär als warenbesitzende und -tauschendes Subjekt agieren, charakteristisch ist: „Die verdinglichte Freiheit gehört dem einzelnen Individuum, sie ist nicht länger eine Beziehung zu anderen.“ (Amlinger/Nachtwey 2022: 91) Eben hier schließt sich der Kreis zu den „zynischen Monaden des Genusses“, wie sie von Biemüller charakterisiert wurden: Der Widerspruch, den in einer wohl ungeplanten Konvergenz zahlreiche Beiträge implizit zum Gegenstand hatten, ist jener zwischen der negativen Individualisierung zu isolierten, monadischen Warenbesitzer*innen und dem zunehmenden kollektiven Verwiesensein auf geteilte Existenzbedingungen, das in libertär-autoritären Mentalitäten als nicht hinzunehmende Kränkung erfahren wird. Entscheidend scheint mir dabei die in der Gesamtschau des Workshop vermittelte Erkenntnis, dass in den unterschiedlichsten Subjektivierungsformen – vom individualistischen ökologischen Lifestyle bis zum fossilen Faschismus – ein Zusammenhang von Genuss und Verwüstung besteht: Genuss trotz der Verwüstung und Genuss an der Verwüstung.

 

Amlinger, C./Nachtwey, O. (2022): Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus. Berlin: Suhrkamp.

Blühdorn, I. [Hrsg.] (2020): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. 2., aktualisierte Auflage. Bielefeld: transcript.

Brand, U./Wissen, M. (2017): Imperiale Lebens­weise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: oekom.

Marcuse, H (1967): Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. 2. Auflage. Neuwied/Berlin: Luchterhand.

Schaupp, S. (2024): Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten. Berlin: Suhrkamp.

[1] Sublimierung, wörtlich „Veredelung“, bedeutet in der Psychoanalyse den Aufschub von Triebwünschen und die Kanalisierung von (primär sexueller) Triebenergie in gesellschaftlich nützliche Aktivitäten. Für Sigmund Freud waren Triebverzicht und Sublimierung daher Grundvoraussetzungen jeder Zivilisation. Mit dem Begriffspaar der repressiven Entsublimierung möchte Marcuse auf den Punkt bringen, dass der Zwang zum Triebverzicht im Spätkapitalismus zwar gelockert wird, diese Lockerung aber insofern repressiv ist, als menschliche Bedürfnisse dabei bis ins innerste von der Gesellschaft geformt und auf die Erfordernisse von Konsum und Arbeit zugeschnitten werden.

[2] Der Begriff der „Toilettenbrust“ verweist auf die psychoanalytische These, dass Teil des Heranwachsens jedes Kindes die kränkende und ängstigende Erfahrung ist, dass die Mutter keine unerschöpfliche Quelle unbedingter Bedürfniserfüllung, sondern ein eigenständiges bzw. -williges Wesen ist. In der Nicht-Erfüllung von Bedürfnissen erfahre das Kind sich erstmals als getrennt von der Mutter und damit einer versagenden Welt ausgesetzt, vor der es keine Instanz absoluter Bedürfniserfüllung und Sicherheit gibt.

[3] In der Psychoanalyse steht das Über-Ich für die innerpsychische Instanz, die bestimmte Ge- und Verbote diktiert und bei Freud aus der Verinnerlichung der väterlichen Autorität entsteht. Während bei Freud das Über-Ich vor allem als verbietende Instanz und darin als Vermittlungsinstanz gesellschaftlicher Normen und Verbote auftritt, ist das Über-Ich bei Lacan eines, das Genuss einfordert. Auch wenn Lacan dies primär als psychoanalytisches Argument verstanden hat, erfreut sich Lacans Ausführungen zum Genuss auch in soziologischen Zeitdiagnosen an Beliebtheit: Mit ihm lässt sich argumentieren, dass Konformismus heute nicht mehr (allein) in Disziplin und Gehorsam, sondern in Konsumismus und Selbstverwirklichung besteht: Jede*r soll genießen. Es ist diese Konvergenz, die Lacan so attraktiv für kritische Analysen der Gegenwartsgesellschaft macht.


Konstantin Klur ist Doktorand am ISF München. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Arbeitssoziologie, Subjekttheorie und Kritische Theorie. Derzeit arbeitet er am DFG-Projekt Politics of Inscription, das sich mit digitaler und ökologischer Transformation in der chemischen Industrie beschäftigt.

Email: konstantin.klur@isf-muenchen.de

Beitrag als PDF/DOI:10.17879/sun-2024-6111


Rezension zum Buch „Handbuch Politische Ökologie. Theorien, Konflikte, Begriffe, Methoden

Rezension „Handbuch Politische Ökologie"

Gottschlich, D., Hackfort, S., Schmitt, T., von Winterfeld, U. (2022): Handbuch Politische Ökologie. Theorien, Konflikte, Begriffe, Methoden Bielefeld: transcript, 592 S., 45 EUR. ISBN: 978-3-8376-5627-5

Das Ökologische ist politisch und das Politische ist ökologisch: So ließe sich die Stoßrichtung der Politischen Ökologieauf den Punkt bringen. Als transdisziplinäres Forschungsfeld hat die Politische Ökologie vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden globalen Umweltkrise in den letzten Jahren in der Wissenschaft und Teilen der Klimabewegung an Bedeutung gewonnen, auch wenn sich der Ansatz keineswegs auf die Ursachen und die Bearbeitung ökologischer Krisenszenarien engführen lässt.

Es ist kein Zufall, dass das vergleichsweise junge Feld konzeptionell und begrifflich an die Politische Ökonomie erinnert. Ursprünglich als Synonym für die klassischen Wirtschaftswissenschaften verwendet, betont die Politische Ökonomie heute, dass es sich bei Wirtschaftssystemen nicht allein um abstrakte Strukturen und institutionelle Logiken handelt, sondern um Formen konkreter Vergesellschaftung, die untrennbar mit ideologischen Prägungen, Macht, Herrschaft und Ungleichheitsverhältnissen verknüpft sind. So auch die Politische Ökologie, die das Verhältnis zwischen Mensch und Natur als zugleich gesellschaftlich und ökologisch verfasst begreift und dabei herrschafts- und machtkritisch denkt.

Die Politische Ökologie steckt ein Debattenfeld in stetiger Erweiterung ab. Theoretisch und methodisch schöpft der Ansatz insbesondere aus dem Fundus der (Human‑)Geographie, der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Philosophie. Nord-Süd-Ungleichheiten im Hinblick auf Landnutzungsverhältnisse und Ressourcenextraktion, die Re‑/Regulierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse im Kontext historisch wandelbarer und sozialräumlich spezifischer Produktions- und Konsumtionsregime, konkurrierende Raumbezüge oder Fragen nach einem demokratisch gestalteten, sozialen und ökologisch nachhaltigen Gesellschaftswandel bilden nur einige der empirischen Themenschwerpunkte der Politischen Ökologie ab. Zuletzt stieg aber auch das Interesse an einer polit-ökologischen Auseinandersetzungen mit der Industrie oder dem Verkehrssektor.

Der Facettenreichtum der Politischen Ökologie spiegelt sich in dem 2022 erschienen „Handbuch Politische Ökologie. Theorien, Konflikte, Begriffe, Methoden“ wieder. Die verschiedenen Diskussionsstränge und thematischen Schlaglichter des Sammelbandes teilen in erster Linie den Anspruch „ökologische Fragen zu (re)politisieren“ (S. 12). Dabei geht es nicht, um den Entwurf einer eigenen Theorieschule. Dennoch markiert das Feld der Politischen Ökologie diverse theoretische Ankerpunkte, die u.a. Bezüge zur Kritischen Theorie, zum gramscianischen Hegemoniebegriff sowie zum (Neo-)Marxismus herstellt. Im Zentrum des Sammelbandes stehen „Subjektivierungsprozesse“ (S.12) sowie die „Umkämpftheit und Krisenhaftigkeit sozial-ökologischer Entwicklungen“ (S. 13). So vielfältig sich verschiedene Ansätze der Politischen Ökologie sowohl analytisch als auch theoretisch präsentieren, sie alle eint den Herausgeber*innen zufolge der normative Anspruch, eine „Wissenschaft und Praxis“ zu betreiben, „die sich positioniert und Stellung bezieht“ und deren politischer Fluchtpunkt auf emanzipatorische Prozesse ausgerichtet ist (S. 13).

Die gesellschaftspolitische Klammer des Handbuchs bildet die globale Umweltkrise. Bedingt durch die kapitalistische Akkumulationsdynamik kulminieren die sozial-ökologischen Krisendynamiken und Widersprüche auf globaler Ebene: Corona, Waldsterben, unfruchtbare Böden, Hitzerekorde – die Liste der sozial-ökologischen Problemlagen kann mit jedem Jahr, in dem nicht radikal gegengesteuert wird, fortgeführt werden.

Es ist der konzeptionellen Offenheit und Unabgeschlossenheit der Politischen Ökologie geschuldet, dass das Handbuch sicherlich keine endgültige Erschließung des Debattenfeldes leisten kann (und will). Diskussionen um Planwirtschaft unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten sowie um Ausbeutung, eine ökologische Klassenanalyse oder Ökosozialismus wurden beispielsweise nicht dezidiert behandelt, obwohl diesen Themen sowohl politisch als auch wissenschaftlich zuletzt vermehrt Beachtung geschenkt wurde. Diesbezüglich lässt sich natürlich einwenden, dass es sich hierbei primär um marxistische Nischendebatten handelt. Dennoch ist eine intensivere Auseinandersetzung mit diesen Themen gerade deshalb gewinnbringend, da ihre jeweiligen theoretischen Grundannahmen und Perspektiven die konzeptionell breite Ausrichtung der Politischen Ökologie komplementieren oder – ggf. in Form einer klaren Abgrenzung von bzw. Positionierung zu diesen Perspektiven – schärfen könnte.

Eine Rezension eines gut 600-Seiten umfassenden Handbuchs kann der eigentlichen theoretischen und analytischen Bandbreite der Beiträge kaum gerecht werden, weshalb nur kursorisch auf einzelne Artikel eingegangen wird. Als Nachschlagewerk erweist sich das Handbuch als äußerst ergiebig. Es bietet kluge Einblicke in verschiedene Zugänge zu relevanten Fragestellungen der Politischen Ökologie und deren Bearbeitung. Der überwiegende Teil der Beiträge zeichnet sich durch eine umfassende, aber auch streitbare Zusammenstellung von Debattensträngen aus. Versteht man das Handbuch sowohl als politische Suchbewegung sowie als ein Angebot theoretische Diskussionen zu vertiefen, Begrifflichkeiten und Konzepte weiterzuentwickeln und analytische Perspektiven zu schärfen, dann bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte und Diskussionsstoff.

Das Handbuch ist in vier Abschnitte unterteilt: Der erste Abschnitt behandelt „Theorien, Konzepte und Zugänge“ der Politischen Ökologie. Hierin skizziert u.a. Christoph Görg sein Konzept der „gesellschaftlichen Naturverhältnisse“, das vielen Debatten in der Politischen Ökologie als epistemologischer Ausgangspunkt dient und an die Tradition der Frankfurter Schule anknüpft. In ihrer Auseinandersetzung mit der sog. „Marxistischen Politischen Ökologie“ stellen Kristina Dietz und Markus Wissen einen Ausschnitt aus der marxistischen Diskussion um ökologische und klassenspezifische Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise dar und diskutieren in diesem Zusammenhang die strukturellen Voraussetzungen, aus denen diese Widersprüche erwachsen. Bereits hier klingt an, dass es einer dezidiert feministischen Auseinandersetzung bedarf, um Konflikte und sozial-ökologische Widersprüche kapitalistischer Gesellschaften angemessen zu beleuchten. Ausbuchstabiert wird dies im Beitrag von Daniela Gottschlich, Sarah Hackfort und Christine Katz. Die Autorinnen setzen sich in ihrem Text zur „Feministischen Politischen Ökologie“ mit diversen feministischen Ansätzen auseinander, um diese für die Politische Ökologie fruchtbar zu machen. Neben der grundsätzlichen Kritik an der analytischen Trennung von Produktions- und Reproduktionsverhältnissen, setzen sie sich u.a. mit dem Unterdrückungszusammenhang von Geschlecht und Natur, Ökofeminismus, der Frage von Nachhaltigkeit und Geschlechterverhältnissen, Intersektionalität, dem feministischen Materialismus, Poststrukturalismus und der Feministischen Ökonomik auseinander. So erhellend der erste Abschnitt des Handbuches im Hinblick auf verschiedene theoretische Stränge der Politischen Ökologie auch ist, hätte er zudem von einem knappen Abriss der Entstehungsgeschichte des Feldes profitiert. In den jeweiligen Beiträgen wird zwar durchaus vereinzelt auf Debattenkonjunkturen, die im Zusammenhang mit der Entstehung der Politischen Ökologie einhergehen, eingegangen, jedoch bleibt das Handbuch den Leser*innen einen eigenständigen Beitrag zum historischen und (gesellschafts-)politischen Hintergrund der Herausbildung des Feldes schuldig.

Der zweite Abschnitt des Handbuches legt den Fokus auf „Handlungs- und Konfliktfelder“. In ihrem Beitrag zu „Biodiversität“ diskutiert Miriam Boyer eindrücklich die gesellschaftlich umkämpfte Konstellation von Ökonomie, Wissenschaft und Politik am Beispiel der Formierung spezifischer Biodiversitätsbilder. Sie setzt sich darin mit „hegemoniale[n] Naturbilder[n]“ auseinander, „die zur Aufrechterhaltung von Herrschaftsverhältnissen beitragen“ (S. 133). Dabei streift sie u.a. politische Fragen der Kommodifizierung bzw. Monetarisierung von Natur (u.a. Kompensationszahlungen) und ökologischer Ressourcen als Gegenstand (kapitalistischer) Innovation. Wie viele Beiträge des Sammelbandes wirft sie im letzten Teil ihres Artikels politische Perspektiven für ein neues Verständnis ihres Gegenstandes auf.

Die Beiträge von Melanie Pichler und Markus Wissen sowie von Achim Brunnengräber betrachten den Mobilitätssektor als ein zentrales Handlungsfeld, in der Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation. Insbesondere Pichler und Wissen stellen dabei wichtige Überlegungen zu einer Formulierung einer Industriellen Politischen Ökologie an und beziehen dabei auch Fragen nach betrieblicher Herrschaft, Arbeitsproduktivität und Rationalisierung/Technologisierung ein. Der Beitrag von Oliver Pye kritisiert am Beispiel der südostasiatischen Palmölproduktion die Vernachlässigung von Arbeit und Arbeitsverhältnissen in der Politischen Ökologie, indem er Arbeit als Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur theoretisiert.

Der dritte Teil des Handbuches gibt einen Überblick über das reiche begriffliche Instrumentarium der Politischen Ökologie. Besonders hervorzuheben sind die Ausführungen von Uta von Winterfeld zu „Herrschaft und Macht“, der Artikel von Anne Tittor zu „Inwertsetzung, Kommodifizierung und Finanzialisierung“, der konzeptionell an Elma Altvater und Birgit Mahnkopf anknüpft, und der Beitrag von Maria Backhouse zur „Ursprünglichen Akkumulation und Subsistenz“, im Rahmen dessen sie das Marxsche Theorem der ursprünglichen Akkumulation (bzw. weiterentwickelt zum Konzept der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation) als flexibles Analysekonzept verhandelt.

Der vierte und letzte Abschnitt des Handbuches widmet sich Methoden und Arbeitsweisen der Politischen Ökologie. U.a. werden dabei methodische Voraussetzungen und Grundsätze diskutiert im Zusammenhang mit der Aktionsforschung (Severin Halder), der Diskursanalyse (Annika Mattisek), der historisch-materialistischen Policy-Analyse (Valerie Lenikus, Ulrich Brand, Mathias Krams, Etienne Schneider) und der Sozialen Kartographie (Martina Neuburger). In Erweiterung dieser Liste wäre beispielsweise gewinnbringend die Frage nach Transnationalität im Hinblick auf Fallkonstruktionen vertieft aufzugreifen.

In der Gesamtbetrachtung stellt das Handbuch einen Querschnitt durch die Politische Ökologie dar. Es lässt kaum ein Thema unberücksichtigt. Zwar ergeben sich in einzelnen Beiträgen unvermeidbare Redundanzen hinsichtlich zentral rezipierter Konzepte, dennoch bietet der Sammelband insbesondere für Einsteiger*innen in die Thematik einen umfassenden Überblick über die mannigfaltigen Themenfelder, Kritikpunkte und Debatten der Politischen Ökologie. Ein Glossar mit Schlüsselkonzepten und -begriffen könnte demgegenüber helfen, zu verstehen, inwiefern bestimmte Theorien etc. in unterschiedlichen Kontexten zur Anwendung kommen, wodurch auch ihre Sonderstellung innerhalb des Felders klarer benannt und zukünftig weiter herausgearbeitet werden könnte. In jedem Fall stellt das Handbuch eine Schlüsselreferenz rund um Fragen gesellschaftlicher Verhältnisse zur Natur dar, die in den kommenden Jahren hoffentlich in weiteren Auflagen stetig fortgeführt wird.


Dr. Janina Puder arbeitet am Fachgebiet Internationale Beziehungen mit dem Schwerpunkt Lateinamerika an der Universität Kassel.

Email: janina.puder@uni-kassel.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-6076


Technological Fix (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)

Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Technological Fix 

Mit der kritischen Rede vom technological fix (auch: technical fix, techno-fix) wird in Zweifel gestellt, dass sich soziale und ökologische Probleme primär mit technischen Mitteln lösen lassen. In diesem Beitrag wird der Begriff des technological fix rekonstruiert und die damit implizierten Unterscheidungen von Technik, Natur und Gesellschaft problematisiert. Im Anschluss daran wird ein soziologisches Verständnis von Technik expliziert, das Technik nicht in ein Oppositionsverhältnis zu Natur oder Gesellschaft setzt.

Einleitung

Die sozialen und ökologischen Probleme der Gegenwart fordern Individuen und Gesellschaften zur Suche nach Lösungen auf. Doch welche Wege sind angemessen, um Nachhaltigkeitsziele angesichts der drohenden Klimakatastrophe zu erreichen? Müssen sich individuelle Alltagsroutinen ändern (z.B. Reduktion von Fleischkonsum, zu Konsum Jaeger-Erben auf diesem Blog, im Erscheinen), sind zähe politische Aushandlungen erforderlich (die dann z.B. zur höheren Besteuerung tierischer Produkte führen) oder sind technische Lösungen denkbar, die auch dann realisiert werden können, wenn sich die Routinen des Alltags nicht schnell genug ändern lassen und das Ringen um politischen Konsens misslingt (z.B. In-vitro-Fleisch). In dieser gesellschaftlichen Diskussion um die ‚richtigen‘ Lösungen spielt der Begriff des technological fix eine Schlüsselrolle.

Affirmativer Gebrauch des Begriffs

Beim technological fix geht es um die die technologische ‚Reparatur‘ sozialer bzw. ökologischer Probleme. Folgt man der Geschichte des Begriffs, wird ersichtlich, dass sein abwertender Gebrauch seit Jahrzehnten dominant ist. Gleichwohl begann der Begriff seine Karriere als positiv konnotiertes Konzept rationaler Problemlösung. Alvin Weinberg, der von 1955 bis 1973 als Direktor des Oak Ridge National Laboratory fungierte, prägte den Begriff in seinem Buch „Reflections on Big Science“ (Weinberg 1967). Weinberg charakterisiert einen technological fix darin in folgenreicher Weise als Transformation eines sozialen Problems in ein technologisches. Sobald diese Umformung erfolgt ist, werden nur noch diejenigen Faktoren berücksichtigt, die im Sinne der technologischen Modellierung relevant sind.

Der entscheidende Vorteil dieses Vorgehens ist die gezielte Komplexitätsreduktion. Unlösbar erscheinende Komplexität wird auf ein handhabbares Maß reduziert und so bearbeitbar gemacht. Dies erlaubt die Konzentration auf spezifische Ursache-Wirkungs-Ketten. Einmal technologisch gerahmt, sind Probleme wesentlich einfacher zu definieren, was wiederum auch den Lösungsraum einschränkt, da im Zuge der technologischen Redefinition des Problems dann nur noch bestimmte technische Mittel infrage kommen, um das Problem zu lösen. Damit wird Kontingenz zugleich eingeschränkt und gesteigert: Denn wenn Probleme instrumentell gerahmt werden, erscheint der technological fix prinzipiell immer als eine mögliche Option, zu der man (neben anderen, ggf. komplizierteren) greifen kann. Entscheidungsträger können sich ggf. immer noch gegen den fix entscheiden. Aber auch dies ist eine Entscheidung – und zwar eine, die dann im Lichte einer breiteren Auswahl an Alternativen getroffen wird. Selbst wenn also der technological fix im Zuge von Entscheidungsprozessen nicht als der beste Pfad zur Problemlösung erscheint, kann er immer noch als attraktive Maßnahme infrage kommen, etwa weil er einfacher, billiger oder schneller umsetzbar wirkt. Der Begriff kann sich auf den Einsatz einfacher Artefakte (Masken zur Abmilderung der Auswirkung von Smog), digitaler Methoden (Algorithmen zur Verteilung von Sozialdienstleistungen) oder auch großtechnischer Lösungen (Geoengineering) beziehen.

Die technische Lösung kann als Reparaturmaßnahme behandelt werden, die zwar nicht optimal ist, aber eine Temporalisierung von Problemstellungen erlaubt: man gewinnt Zeit im Umgang mit wicked problems bis schwierigere oder teurere Maßnahmen realisierbar sind (Scott 2011: 209). Man muss Probleme nicht im Detail verstanden haben, um sie technologisch anzugehen. Das Risiko (hierzu Barth auf diesem Blog), das man damit eingeht, ist das Risiko des unerkannten Nichtwissens, das Risiko also, entscheidende Aspekte bei der Implementierung der fixes zu übersehen, die später im Sinne nicht-intendierter Nebenfolgen oder nicht-adressierter Probleme, die im Verborgen schlummerten, ans Tageslicht kommen (Wehling 2001). Beispiele dafür sind die möglichen Nebenfolgen von Fracking oder grüner Gentechnik.

Kritischer Gebrauch des Begriffs

Im Kontrast zum ursprünglich affirmativen Sprachgebrauch wird der Begriff danach nahezu ausschließlich kritisch verwendet. Technological fixes erscheinen in kritischer Lesart als kurzfristige Scheinlösungen, die eine nicht-nachhaltige Gesellschaft stabilisieren, da sie die ‚tieferliegenden‘ Ursachen sozial-ökologischer Probleme gar nicht antasten (Blühdorn et al. 2020). „So by the early 1970s, the technological fix was seen as partial, ineffective, unsuccessful, threatening; one-sided as opposed to holistic; mechanical as opposed to ecological” (Rosner 2004: 3). Die kritische Konnotation wird also dominant in einer Zeit, in der die unerwünschten Nebenfolgen technologischer Eingriffe zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit traten. Die Prominenz der nun kritisch verwendeten Rede vom technological fixmacht so unmittelbar auf eine widersprüchliches Strukturmoment technisierter Wissensgesellschaften aufmerksam, nämlich einem stetigen Anwachsen technologischer Welterschließung und Problemlösung und einer flankierenden Kritik an diesen technischen Zugriffen und Eingriffen. „The term technological fix is ubiquitous: it is found everywhere in commentaries on technology, whether its past, its present, or its future. Perhaps that is why the phrase is so hard to define. A literal rendering of the words would imply a fix produced by technology, but no one uses it that way. Instead, it has become a dismissive phrase” (Rosner 2004: 1).

So die Kritik eine konservative Lesart von Technik reproduziert, zeichnet sie sich durch eine Differenz von Technik und Natur aus (zu Natur /Umwelt auf diesem Blog, im Erscheinen). Die Natur kann so etwa als das Wilde, das Ungezähmte, das Authentische, das Gewachsene, das Unbeeinflusste, das Gegebene, das Organische, das Unverfügbare, das Spontane, das Romantische, das Geborene, das Wesenhafte oder das von Menschenhand Unberührte begriffen werden. Eine andere, eher progressiv konnotierte Variante der Kritik bedient sich der Unterscheidung von Technik und Gesellschaft. Dadurch wird Gesellschaft als Bereich begriffen, der durch menschliche Handlungen generiert wurde und durch solche beeinflusst ist. Technik erscheint dann als Sphäre, die zwar Wechselwirkungen mit der Gesellschaft hat, aber prinzipiell abgelöst von dieser existiert. Technik erscheint in beiden Lesarten als etwas, was die Eigenlogik von Natur und Gesellschaft nahezu zwingend verfehlen muss. Gerade aktuelle soziologische Theorien der Technik tendieren jedoch dazu, Technik, Natur und Gesellschaft wieder stärker zusammen zu denken (Passoth 2008), was einer einfachen Kritik am technological fix die Substanz entzieht und eine Rekalibrierung notwendig macht.

Soziologische Rekalibrierung

Will man technisierte und nicht-technisierte Phänomene unterscheiden, bietet sich ein Technikbegriff an, der nicht auf Artefakte beschränkt ist, sondern an der Operationsweise und Wirkung von Technik ansetzt. Für Ingo Schulz-Schaeffer gilt etwa all jenes als Technik, das „hinreichend zuverlässig und wiederholbar bestimmte erwünschte Effekte“ (Schulz-Schaeffer 2008: 445) generiert. Dies können eben nicht nur Artefakte, sondern z.B. auch stabile bürokratische Prozeduren oder körperliche Disziplinierungen leisten. Nur im Sinne einer idealtypischen Kontrastierung lassen sich Selbsttechniken (z.B. Judotechniken), Sozialtechniken (z.B. Managementtechniken) und Sachtechniken (Fertigungstechniken) anhand des Substrats, in dem sie stattfinden, unterscheiden. Letztlich greifen körperliche und mentale Disziplinierungen, soziale Organisationsformen und dingliche Werkzeuge in Technisierungsprozessen ineinander und stehen miteinander in Austauschbeziehungen (Krohn 2006).

Diese Idee einer Kopplung verschiedener Elemente qua Technik findet sich in verschiedenen zeitgenössischen Techniktheorien. So bestimmt Werner Rammert Technik etwa durch die „Verknüpfung von sachlichen und nicht-sachlichen Elementen zu einem künstlichen Wirkungszusammenhang“ (Rammert 1989: 133) und in der Akteur-Netzwerk-Theorie ist die Assoziation von Dingen und Menschen die zentrale Prämisse der theoretischen Argumentation (Latour 2006). Bei Luhmann tritt die Differenz von strikter und loser Kopplung an die Stelle der Unterscheidung von Technik und Natur. Der Begriff der losen Kopplung ersetzt dabei den Naturbegriff. Technisierung findet in lose gekoppelten Medien statt, gleich ob diese artefaktual, biologisch, psychisch oder sozial konstituiert sind, und richtet darinund über diese Medien hinausgehend strikte Kopplungen ein. Technisierung gelingt, indem man bestimmte Elemente fest miteinander koppelt und dabei wiederum ihre Verbindungen zu anderen Elementen lockert. Technik kann dann als „funktionierende Simplifikation“ (Luhmann 1997: 524) begriffen werden, die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge stabilisiert und diese von äußeren Störungsquellen weitgehend abschirmt (vgl. auch Halfmann 2003). „Das Funktionieren kann man feststellen, wenn es gelingt, die ausgeklammerte Welt von Einwirkungen auf das bezweckte Resultat abzuhalten. Die maßgebende Unterscheidung, die die Form ‚Technik‘ bestimmt, ist nun die zwischen kontrollierbaren und unkontrollierbaren Sachverhalten“ (Luhmann: 524 f.). Kontrolle kann gelingen oder misslingen und nach einer Weile kann die technisch ausgeklammerte Welt sich wieder bemerkbar machen. So kann man z.B. darauf hoffen, dass der Einbau von Luftfiltern in geschlossenen Räumen die Ausbreitung einer Pandemie lokal abbremst – doch schreitet die Verbreitung des Virus ansonsten weiter fort und auch die gesellschaftlichen Konflikte zur Pandemie bleiben bestehen. Das spricht gleichwohl nicht gegen die technische Lösung, zeigt aber, dass sie allein nicht hinreichend ist.

Zum Weiterdenken

Statt Technik gegen Gesellschaft oder Natur auszuspielen, kann eine soziologisch informierte Kritik

  • die Grenzen der Kontrollierbarkeit und das Gelingen von Simplifikationen hinterfragen,
  • (auch: mit, über und durch Technik) andere Medien der technischen Realisierung und Relationierung ins Spiel bringen,
  • die Kopplungen zwischen gesellschaftlichen Großproblemen und ihrer technischen Bearbeitung zu entzerren versuchen
  • und auf Alternativen aufmerksam machen, die sich dem technologischen Blick entziehen.

Weitere Literatur

Huesemann, M./Huesemann, J. (2011): Techno-fix. Why technology won’t save us or the environment. Gabriola, B.C: New Society Publishers.

Nachtwey, O./Seidl, O. (2017): Die Ethik der Solution und der Geist des digitalen Kapitalismus. In: IfS Working Papers (11). Online: https://www.ifs.uni-frankfurt.de/publikationsdetails/ifs-oliver-nachtwey-und-timo-seidl-die-ethik-der-solution-und-der-geist-des-digitalen-kapitalismus.html [Zugriff 16.08.2024]

 

Blühdorn, I./Butzlaff, F./Deflorian, M./Hausknost, D./Mock, M. (2020): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. Bielefeld: transcript.

Halfmann, J. (2003): Technik als Medium. Von der anthropologischen zur soziologischen Grundlegung. In: Fischer, J./Joas, H. [Hrsg.]: Kunst, Macht und Institution. Studien zur philosophischen Anthropologie, soziologischen Theorie und Kultursoziologie der Moderne. Festschrift für Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt am Main: Campus Verlag, S. 133-144.

Krohn, W. (2006): Eine Einführung in die Soziologie der Technik. Online: https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/soziologie/fakultaet/personen/emeriti/krohn/pdf/techniksoziologie.pdf
[Zugriff: 16.07.2024]

Latour, B. (2006): Über technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie und Genealogie. In: Belliger, Andréa/Krieger, David J. [Hrsg.]: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript, S. 483-528.

Luhmann, N. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Passoth, J.H. (2008): Technik und Gesellschaft. Zur Entwicklung sozialwissenschaftlicher Techniktheorien von der frühen Moderne bis zur Gegenwart. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Rammert, W. (1989): Technisierung und Medien in Sozialsystemen. Annäherungen an eine soziologische Theorie der Technik. In: Weingart, P. [Hrsg.]: Technik als sozialer Prozeß. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 795), S. 128-173.

Rosner, L. (2004): Introduction. In: Rosner, L. [Hrsg.]: The Technological fix. New York: Routledge (Hagley perspectives on business and culture, S. 1-9.

Schulz-Schaeffer, I. (2008): Technik. In: Baur, N. [Hrsg.]: Handbuch Soziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 445-463.

Scott, D. (2011): The Technological Fix Criticisms and the Agricultural Biotechnology Debate. In: J Agric Environ Ethics 24. Jg., Heft 3, S. 207-226.

Wehling, P. (2001): Jenseits des Wissens? Wissenschaftliches Nichtwissen aus soziologischer Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie 30. Jg., Heft 6, S. 465-484.

Weinberg, A. M. (1967): Reflections on big science. Cambridge, Mass.: MIT Press.


Sascha Dickel ist seit 2021 Universitätsprofessor für Mediensoziologie und Gesellschaftstheorie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Arbeitsgebiete sind digitale Kommunikation, Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie gesellschaftliche Zukunftsdiskurse. 2017-2021 war er in Mainz als Juniorprofessor für Mediensoziologie. Zuvor war es als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter anderem am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung Berlin und an der TU München tätig. Seine Promotion in Soziologie erfolgte an der Universität Bielefeld. Er hat Politikwissenschaft und Soziologie in Marburg und Frankfurt am Main studiert.

Email: dickel@uni-mainz.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-6073


Soziale Ungleichheit (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)

Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Soziale Ungleichheit 

Ob es um die Privatjets Superreicher, die Feinstaubbelastung armer Kinder oder die Arbeitsbedingungen der Menschen im Lithiumabbau geht: Nachhaltigkeitsdebatten werfen in der Regel Fragen zu unterschiedlichen Dimensionen sozialer Ungleichheit auf. Nach einer grundlegenden thematischen Einführung in den Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Ungleichheit thematisiert der Beitrag exemplarisch zwei soziologisch gerahmte Wirkmechanismen: die Aneignung von Ressourcen sowie das Wegverteilen von Risiken.

Einleitung

Nach der Brundtland-Definition nachhaltiger Entwicklung zielt die Verwirklichung von Nachhaltigkeit im entwicklungspolitischen Kontext insbesondere auf die Reduzierung absoluter Armut (intragenerationelle Gerechtigkeit) und auf den Erhalt und Schutz der Umwelt als Voraussetzung für die Sicherung von lebenswerten Lebensbedingungen auf der Erde für zukünftige Generationen (intergenerationelle Gerechtigkeit). Fragen der Gerechtigkeit sind dabei konstitutiv mit Fragen der sozialen Ungleichheit verbunden, da letztere auf Bewertungen ungleicher Verteilung von Gütern oder auch Privilegien beruhen. Auch in international häufig verwendeten Nachhaltigkeits-Konzeptionen [1], wie dem Drei-Säulen-Modell, finden sich Hinweise auf den Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Nachhaltigkeit, denn diese unterscheiden zwischen einer ökologischen, einer ökonomischen sowie einer sozialen Dimension von Nachhaltigkeit [2]. Ein Großteil der Sustainable Development Goals (SDGs) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen thematisiert ebenfalls explizit (wie 10 „weniger Ungleichheiten“) oder implizit (wie SDG 7 „bezahlbare und saubere Energie“) Dimensionen sozialer Ungleichheit.

Das den meisten Nachhaltigkeitsdiskursen innewohnende Versprechen einer ökologischen Modernisierung durch technologischen Fortschritt und qualitatives Wachstum beinhaltet zudem auch die Idee, dass der Wohlstandszuwachs einer Green Economy zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen für alle sozialen Schichten und Länder führt. Im Green Deal der Europäischen Union wird etwa der Anspruch formuliert, niemanden zurückzulassen. In anderen Konzeptionen von Nachhaltigkeit, wie sie bspw. die kapitalismuskritische Degrowth-Bewegung vertritt, findet sich wiederum das normative Ziel, Naturausbeutung und strukturelle Ungleichheitsstrukturen gemeinsam zu überwinden.

Die Thematisierung von sozialer Ungleichheit und Nachhaltigkeit wird im vorliegenden Beitrag zunächst mit historischer Perspektive auf Nachhaltigkeitsdiskurse dargestellt. Anschließend werden exemplarisch zwei soziologische Perspektiven auf das Verhältnis von sozialer Ungleichheit und Nachhaltigkeit ausgeführt: Mit Bezug auf unterschiedliche soziale Lagen wird der Mechanismus der Aneignung von Ressourcen sowie der Mechanismus des Wegverteilens von Risiken in den Blick genommen.

Soziale Ungleichheit und Nachhaltigkeit

Innerhalb von Nachhaltigkeitsdiskursen ist der Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und ökologischen Krisen seit jeher ein zentrales Thema. Zu Beginn der Debatte um nachhaltige Entwicklung in den 1980er Jahren galt Umweltzerstörung, wie Bodendegradation oder Wasserverschmutzung, als eine Folge von Überbevölkerung und Armut in Ländern des globalen Südens. Die Überwindung der sozialen Probleme in den so genannten „Entwicklungsländern“ sollte folglich zu der Lösung von ökologischen Fragen führen. Im Laufe der Zeit wurde diese Sichtweise innerhalb der wissenschaftlichen Debatten um Nachhaltigkeit kritisch hinterfragt und die Verantwortung von Ländern des globalen Nordens für globale Umweltveränderungen aufgezeigt. Übermäßiger Wohlstand und Konsumismus in den Industrieländern und ein sich ausbreitender „westlicher Lebensstil“ galten fortan als zentrale Ursachen von Umweltproblemen (Eblinghaus/Stickler 1998).

Armut und Reichtum, ihre ungleiche Verteilung sowie die sich daraus ergebenden sozialen Ungerechtigkeiten sind Kernthemen soziologischer Forschung. Der Begriff der sozialen Ungleichheit verweist auf soziale Unterschiede zwischen Menschen innerhalb einer Gesellschaft, aber auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Von sozialer Ungleichheit wird gesprochen, „wenn Menschen (immer verstanden als Zugehörige sozialer Kategorien) einen ungleichen Zugang zu sozialen Positionen haben und diese sozialen Positionen systematisch mit vorteilhaften oder nachteiligen Handlungs- und Lebensbedingungen verbunden sind“ (Solga/Berger/Powell 2009: 15). Dabei geraten in der Soziologie, je nach theoretischer Sichtweise, unterschiedliche Aspekte in den Blick, die für diese Besser- und Schlechterstellung je nach Klasse, Schicht oder sozialem Milieu zentral sind. So können etwa das Eigentum an Produktionsmitteln, berufliches Prestige, Einkommenshöhe, Vermögenswerte, Wohnort, Alter bzw. Generationszugehörigkeit, Race oder das Geschlecht relevante Dimensionen sein, die alleinig oder in ihrer wechselseitigen Verwobenheit (vgl. zu Intersektionalität: Walgenbach 2012) als relevant in Ansätzen der Ungleichheitsforschung beschrieben werden. Welche Dimensionen besonders relevant sind, variiert dabei nach historischem Kontext und Gesellschaftsform.

Die Beschäftigung mit Fragen sozialer Ungleichheit galt jedoch lange als blinder Fleck der umweltsoziologischen Forschung bzw. Nachhaltigkeitssoziologie (Wendt/Görgen 2018; Schad 2017). Inzwischen gibt es aber eine Vielzahl an empirischen Befunden zu relevanten Ungleichheitsdimensionen und deren Verschränkungen sowie theoretische Ansätze, die die gesellschaftliche Verhandlung von Nachhaltigkeit und sozialen Ungleichheiten verbinden. In der ökologischen Ungleichheitsforschung gibt es Untersuchungen zu Ungleichheiten im Zugang zu Umweltressourcen, dem Grad der Betroffenheit durch ökologische Probleme, aber auch zu Beteiligungsverzerrungen bei Umweltschutzpolitik sowie Ungleichheiten im Grad der Verantwortung für Umweltprobleme (vgl. zur Übersicht: Chancel 2020). Vor diesem Hintergrund stellen wir im Folgenden zwei zentrale soziologische Perspektiven ausführlicher vor, die das Verhältnis von Nachhaltigkeit und sozialer Ungleichheit in Bezug auf a) die Aneignung von Ressourcen und b) hinsichtlich des Wegverteilens von Risiken thematisieren.

Soziologische Perspektiven auf soziale Ungleichheit und Nachhaltigkeit

Lessenich (2016) beschreibt in seiner Zeitdiagnose der „Externalisierungsgesellschaft“, wie moderne kapitalistische Gesellschaften die sozialen und ökologischen Kosten ihrer Wohlstandsproduktion in Regionen und Länder des globalen Südens auslagern. Diese Externalisierung geschieht dabei über soziale Praktiken der Aneignung und Ausbeutung von Gütern und Ressourcen inklusive der ökonomischen Abwertung z.B. von scheinbar frei verfügbarer und preiswerter Arbeitskraft, etwa von Migrant*innen in der Agrarwirtschaft. Abgesichert wird dieser Mechanismus über die Auslagerung von Produktionen in andere Wirtschafts- und Sozialräume, vor deren sozialen und ökologischen Folgen man sich gleichzeitig mittels selektiver Abschließung schützt. Diese Form der Externalisierung wird darüber erhalten, dass es im globalen Norden zu einer Ausblendung des Wirkungszusammenhangs kommt (als Schleier des Nicht-Wissen-Wollens) und zutiefst in der alltäglichen Lebensweise unterschiedlicher sozialer Schichten verankert ist. Diese Dynamiken gelten nicht nur für die gesamten Mittelschichten industrialisierter Gesellschaften, sondern auch für die neuen globalen Mittelschichten in vielen so genannten Schwellenländern, in denen die Reduzierung von absoluter Armut und neu entstehende Konsumgewohnheiten wiederum eigene Externalisierungsfolgen zeitigen.

Das Besondere an dieser Analyse für die Debatte um Nachhaltigkeit ist, dass einerseits soziale und ökologische Probleme die Folge dieser (in globale Ungleichheitsstrukturen eingelassene) Aneignungsprozesse sind, und andererseits, dass diese Dynamik der Externalisierung auch bei Bereichen und Konsumgütern zu beobachten ist, die als „ökologisch“ oder „nachhaltig“ gelabelt sind. So beschäftigt sich die sozialwissenschaftliche Forschung zu Green Extractivism (Bruna 2023) empirisch mit intendierten und nicht-intendierten Folgen der Bemühungen, Produkte und Produktionsprozesse ökologisch nachhaltig zu organisieren (insbesondere im globalen Süden). So gibt es vielfältige Befunde zu den Auswirkungen neuer grüner Produkte und Technologien, die ihren eigenen Bedarf an Ressourcen und Gütern haben, wie z.B. die Forschung zu den Auswirkungen des Lithium-Abbaus auf die Rechte indigener Communities in Argentinien (Dorn 2021) eindrücklich zeigt. Die in Nachhaltigkeitsdiskursen beschworene ökologische Modernisierung ist aus dieser Perspektive weiterhin strukturell auf die Auslagerung von sozialen und ökologischen Kosten der Nachhaltigkeit ausgelegt und verschärft damit soziale Ungleichheiten anderorts.

Andere soziologische Perspektiven stellen die „negative“ Logik des Wegverteilens, Vermeidens, Uminterpretierens von ökologischen Risiken ins Zentrum ihrer Analyse und diskutieren die Bedeutung von innergesellschaftlichen Ungleichheiten in den Ländern des globalen Nordens. So beschreibt Beck (1986) in seiner Gesellschaftsanalyse der „Risikogesellschaft“, wie die Moderne aufgrund technologisch produzierter Risiken einen Wandlungsprozess ganz eigener Art durchläuft. Anders als vermeintlich „natürliche“ Gefahren wie Erdbeben, ist die Gefahr von Modernisierungsrisiken durch die Moderne selbst verursacht. In der Gegenwart herrsche infolgedessen auch nicht mehr eine „Logik der Reichtumsverteilung“, sondern eine der „Risikoverteilung“ (Beck 1986: 25, 35), d.h. eine Verteilung von Risiken (wie Mikroplastik, Feinstaub o.ä.) als Nebenprodukte reflexiver Modernisierung.

Während in der Industriegesellschaft in der Regel diejenigen am meisten von Risiken bedroht waren, die in der gesellschaftlichen Hierarchie unten standen, verhält es sich bei der Verteilung von Modernisierungsrisiken in der Risikogesellschaft anders, denn diese „erwischen früher oder später auch die, die sie produzieren oder von ihnen profitieren“ („Bumerang-Effekt“, Beck 1986: 30). Dieser Wandel des Verteilungsprinzips führte Beck zu der oft zitierten Aussage „Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch“ (Beck 1986: 48). Umweltrisiken seien in der Risikogesellschaft gleich und in diesem Sinne demokratisch verteilt, insoweit die Gefahr, die von ihnen ausgeht, global wirke und alle Menschen gleichermaßen betreffe. Dadurch entstehe nach Beck ein gemeinsames „Gefährdungsschicksal“, dass die Bedeutung von sozialer Ungleichheit abmindert (Beck 1986: 8). Die für die Industriegesellschaft noch charakteristischen Schicht- und Klassenlagen werden in der Zweiten Moderne durch „soziale Gefährdungslagen“ abgelöst, die nicht zwingend mit Strukturen vertikaler sozialer Ungleichheit übereinstimmen müssen (Beck 1986: 30).

In seinen späteren Werken wie „Die Neuvermessung der Ungleichheit unter den Menschen“ (2008) oder „Die Metamorphose der Welt“ (2017) thematisiert Beck zwar neu entstehende soziale Ungleichheiten durch globale Risiken (insbesondere dem anthropogenen Klimawandel) und betont, dass es zu einer Verschmelzung sozialer und natürlicher Ungleichheiten und zur Entstehung neuer Risikoklassen kommt. Die zeitdiagnostischen Thesen aus seinem Frühwerk boten jedoch auch Ansatzpunkte für neu entstehende Forschungszweige. Neben der generellen Kritik, dass trotz aller Wandlungen ‚klassische‘ soziale Ungleichheiten weiter fortbestehen, wurden etwa Umweltbelastungen hinsichtlich ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung systematisiert (Becker 2006: 2754f.). Die meisten Umweltbelastungen sind räumlich und/oder zeitlich eng begrenzt, wie etwa die Lärmbelästigung in Flugschneisen. Die Umweltbelastungen, die Beck in der Risikogesellschaft aufgreift, können dagegen als zeitlich und räumlich ausgedehnt bzw. mitunter sogar als permanent und global kategorisiert werden, wie etwa die Dioxin-Belastung in der Luft (Becker 2006: 2757f.). Schließlich gibt es Umweltbelastungen wie die UV-Strahlung, die nur auf den ersten Blick sozial unterschiedslos zu wirken scheinen. Denn bezieht man die „auftretenden Folgen, etwa für Gesundheit, und die Wirkung dieser Umweltbelastung aufgrund der sozial unterschiedlichen Möglichkeiten des Folge-Umgangs“ mit ein, dann können Umweltbelastungen „trotzdem sozial unterschiedlich verteilt sein“ (Becker 2006: 2759). So betonte etwa auch die in den USA aus einer sozialen Bewegung heraus entstandene Environmental Justice Forschung, dass Modernisierungsrisiken nicht losgelöst von ihrem Entstehungsort sind und alle Menschen gleichermaßen betreffen, sondern das Zeitlichkeit, Räumlichkeit und Intensität von Umweltbelastungen unterschiedliche Betroffenheit hervorrufen.

Der Mechanismus des Wegverteilens von Risiken sowie der Mechanismus der Aneignung von Ressourcen hängen dabei systematisch zusammen und tauchen mit unterschiedlichen Akzentsetzungen in allen genannten Ansätzen auf. Im Kontext des Klimawandels kann eine grundsätzliche historische Verantwortung aller Menschen in Ländern des globalen Nordens konstatiert werden, welche akkumuliert betrachtet bis zu 74 Prozent der globalen Emissionen (von 1970 bis 2017) verursacht haben (Hickel et al. 2022). Die Folgen der Erderwärmung sind allerdings insbesondere in Ländern des globalen Südens erlebbar, wo die Vulnerabilität gegenüber Extremwetterereignissen zudem höher ausfällt (Arora-Jonsson 2011). So verweisen manche öffentliche, aber auch wissenschaftliche Autor*innen in diesem Kontext auf gesellschaftliche Strukturen, die kolonial gewachsene Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse  ̶  auch in einer angestrebten Green Economy  ̶  reproduzieren und als „Klimakolonialismus“ (zum bedachten Umgang mit diesem Begriff: Bhambra/Newell 2022)  oder auch „Klimarassismus“ (Quent et al. 2022) beschrieben werden. Um diese global verschränkten Zusammenhänge von Klimawandel und sozialer Ungleichheit adäquat zu erfassen und zu adressieren, hat sich in der Klimabewegung in den vergangenen Jahren zudem der Frame der „Klimagerechtigkeit“ (Climate Justice) etabliert (della Porta/Parks 2013).

[1] vgl. hierzu den Beitrag zu „Nachhaltigkeit“ in diesem Glossar.

[2] vgl. hierzu das Special Issue zu „Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit“ in der Soziologie und Nachhaltigkeit  (2019, Bd. 5): https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/sun/issue/view/176 

Zum Weiterdenken

Der Zusammenhang von Nachhaltigkeit und sozialer Ungleichheit wird in theoretischen Debatten und empirischer Forschung auch auf einer alltagsweltlichen Individualebene untersucht, dann allerdings thematisch fokussierter, etwa im Kontext von Konsum und Lebensstil, Geschlechterverhältnissen sowie Habitus und Distinktion. So wird etwa die Lebensführung von Superreichen als ein Treiber der ökologischen Krisen von sozialen Bewegungen (wie der „Letzten Generation“) aber auch von Soziolog*innen (Neckel 2023) vermehrt hervorgehoben. Die Mittelschichten gelten hier als Vertreter einer „Ökologischen Distinktion“, die auch zum Abgrenzen von oberen und unteren Lagen dient. Die normativ in Nachhaltigkeitsdebatten betonte individuelle Verantwortungen der Konsument*innen zeitigt wiederum potenziell eigene Ungleichheitseffekte. So verweist Weller (2004) auf die Gefahr einer Feminisierung ökologischer Verantwortung, etwa wenn familial organisierte Ernährungsweisen und individuelle Verarbeitung von Lebensmitteln viel stärker in das Zentrum von Nachhaltigkeitsdiskursen gerückt werden als kollektiv organisierte Orte der Lebensmittelverarbeitung und des Konsums (wie Mensen, Kindergärten u.ä.).

Weitere Literatur

Neckel, S. (2023): Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 34 Jg., Heft 4, S. 47-56.

Chancel, L. (2020): Unsustainable Inequalities. Social Justice and the Environment. Cambridge, Massachusetts: The Belknap Press of Harvard University Press.

Eblinghaus, H./Stickler, A. (1998): Nachhaltigkeit und Macht. Zur Kritik von Sustainable Development. Frankfurt am Main: IKO – Verlag für Interkulturelle Kommunikation.

 

Arora-Jonsson, S. (2011): Virtue and vulnerability: Discourses on women, gender and climate change. In: Global Environmental Change, 21. Jg., Heft 2, S. 744-751.

Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Beck, U. (2008): Die Neuvermessung der Ungleichheit unter den Menschen: Soziologische Aufklärung im 21. Jahrhundert. Eröffnungsvortrag zum Soziologentag »Unsichere Zeiten« am 6. Oktober 2008 in Jena. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Beck, U. (2017): Die Metamorphose der Welt. Erste Auflage. Berlin: Suhrkamp.

Becker, A. (2006): „Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch“ oder „Umweltbelastungen sind sozial ungleich verteilt“? Eine nähere Beleuchtung der gegenläufigen Positionen von Ulrich Beck und des Environmental Justice-Konzeptes. In: Rehberg, K.-S. (Hrsg.): Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Frankfurt am Main: Campus, S. 2754-2762.

Bhambra, G. K./Newell, P. (2022): More than a metaphor: ‘climate colonialism’ in perspective. In: Global Social Challenges Journal, 2. Jg., Heft 2, S. 179-187.

Bruna, N. (2023): The Rise of Green Extractivism. Extractivism, Rural Livelihoods and Accumulation in a Climate-Smart World. London/New York: Routledge.

della Porta, D./Parks, L. (2013): Framing-Prozesse in der Klimabewegung: Vom Klimawandel zur Klimagerechtigkeit. In: Dietz, M./Garrelts, H. (Hrsg.): Die internationale Klimabewegung. Ein Handbuch. Wiesbaden: Springer, S. 39-56.

Dorn, F. M. (2021): Der Lithium-Rush. Sozial-ökologische Konflikte um einen strategischen Rohstoff in Argentinien. München: oekom.

Chancel, L. (2020): Unsustainable Inequalities. Social Justice and the Environment. Cambridge, Massachusetts: The Belknap Press of Harvard University Press.

Eblinghaus, H./Stickler, A. (1998): Nachhaltigkeit und Macht. Zur Kritik von Sustainable Development. Frankfurt am Main: IKO – Verlag für Interkulturelle Kommunikation.

Hickel, J./O’Neill, D. W./Fanning, A. L./Zoomkawala, H. (2022): National responsibility for ecological breakdown: a fair-shares assessment of resource use, 1970-2017. In: The Lancet. Planetary Health, 6. Jg., Heft 4, S. e342-e349.

Lessenich, S. (2016): Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. München: Hanser.

Neckel, S. (2023): Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 34. Jg., Heft 4, S. 47–56.

Quent, M./Richter, C./Salheiser, A. (2022): Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende. München: Piper.

Schad, M. (2017): Über Luxus und Verzicht. Umweltaffinität und umweltrelevante Alltagspraxis in prekären Lebenslagen. München: oekom.

Solga, H./Powell, J./Berger, P. A. (Hrsg.) (2009): Soziale Ungleichheit. Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse. Frankfurt a.M./New York: Campus.

Walgenbach, K. (2012): Intersektionalität als Analyseperspektive heterogener Stadträume. In: Scambor, E./ Zimmer, F. (Hrsg.): Die intersektionelle Stadt. Geschlechterforschung und Medien an den Achsen der Ungleichheit. Bielefeld: transcript, S. 81-92.

Weller, I. (2004). Nachhaltigkeit und Gender: Neue Perspektiven für die Gestaltung und Nut­zung von Produkten. München: oekom.

Wendt, B./Görgen, B. (2018): Macht und soziale Ungleichheit als vernachlässigte Dimensionen der Nachhaltigkeitsforschung. In: Lüdtke, N./Buschmann, N./Hochmann, L./Henkel, A. (Hrsg.): Reflexive Responsibilisierung. Verantwortung für nachhaltige Entwicklung. Bielefeld: transcript, S. 49-66.


Miriam Schad, Fakultät für Sozialwissenschaften, Technische Universität Dortmund

Email: Miriam.Schad@tu-dortmund.de

Julia Wustmann, Fakultät für Sozialwissenschaften, Technische Universität Dortmund

Email: Julia.Wustmann@tu-dortmund.de

Beitrag als PDF/DOI:10.17879/sun-2024-6110

 


Bericht zur Konferenz „Reallabore – ExperimentierRäume für den Weg in eine nachhaltige Gesellschaft“: Ein Knotenpunkt der deutschsprachigen Reallaborforschung

Tagungsberichte

Bericht zur Konferenz „Reallabore – ExperimentierRäume für den Weg in eine nachhaltige Gesellschaft“: Ein Knotenpunkt der deutschsprachigen Reallaborforschung

 

In Kooperation mit dem Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“ richtete das Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) vom 11. bis 12. April 2024 eine Konferenz im Deutschen Hygiene-Museum Dresden aus, die sich als Knotenpunkt der deutschsprachigen Reallaborforschung beschreiben lässt. Unter dem Titel „Reallabore – ExperimentierRäume für den Weg in eine nachhaltige Gesellschaft“ versammelten sich hier geschätzte 300 (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen und Praxisakteur*innen verschiedenster Disziplinen, um sich über konkrete Reallaborprojekte sowie auch konzeptuelle und methodische Ansätze in der Reallaborforschung auszutauschen. Zuvor konnten sowohl Artikel und Poster als auch Abstracts für SpeedTalks und Dialoge/Workshops eingereicht werden, die auf der Konferenz in entsprechenden Sessions vorgestellt und diskutiert wurden. Das Programm der Konferenz bot eine Bandbreite an Formaten und Themensträngen, die über das diverse Konferenzpanel in folgende Kategorien aufgeteilt wurden: (1) Urbane Realexperimente für nachhaltige Konsumkulturen; Reallabore in (2) ländlichen und (3) marinen Räumen; (4) Reallabore und Experimente als Konflikträume; (5) Lernen, Reflexion und innere Kultur der Nachhaltigkeit; (6) Reallabore als transdisziplinäres Forschungsformat; (7) Wirkungsmessung von und in Reallaboren; (8) Reallabore als politisch-regulative Testräume; (9) Offener Themenstrang. Über das Panel hinweg lud das koordinierende Netzwerk zudem zum Case Reporting ein, um in einer Zeitschrift Berichte aus der Reallaborpraxis zu versammeln und somit ein niedrigschwelliges Format zum Erfahrungsaustausch zu schaffen. Sowohl das diverse Programm als auch die Begleitung durch das künstlerisch intervenierende „Büro für die Nutzung von Fehlern und Zufällen“ machten die Konferenz zu einer äußerst lebendigen und informativen Veranstaltung, die tiefe Einblicke in den deutschsprachigen Diskurs der Reallaborforschung sowie deren Praxis und Forschungsgemeinschaft gewährte.

Bereits am 10. April konnten Interessierte zudem an einer vom „Karlsruher Transformationszentrum für Nachhaltigkeit und Kulturwandel“ (KAT) ausgerichteten, interaktiven Schulung unter dem Titel „Reallaborarbeit für Einsteiger*innen“ teilnehmen und sich dort über die Grundlagen, Hintergründe und Praxis der deutschsprachigen Reallaborforschung informieren. Im Vordergrund standen hierbei der Ansatz des KAT, der Reallaboren idealtypisch neun Charakteristika zuschreibt. Demnach seien die (1) wissenschaftliche und (2) transformative Forschungsorientierung, die (3) am Leitbild ‚nachhaltiger Entwicklung‘ orientierte Normativität, die (4) Transdisziplinarität und der (5) Einbezug der Zivilgesellschaft, der (6) skalierbare Modellcharakter, der (7) experimentelle Laborcharakter, die (8) Langfristigkeit und schließlich die (9) Bildungsorientierung als grundlegende Merkmale zu verstehen, die bei der Konzeption und Umsetzung eines Reallabors zu erfüllen seien (vgl. Parodi/Steglich 2021: 256f.). Mit Blick auf kontemporäre Dynamiken in der Reallaborforschung merkte Oliver Parodi als Co-Moderator der Schulung und Mitbegründer des Netzwerkes „Reallabore der Nachhaltigkeit“ jedoch kritisch an, dass sich die umfassende Erfüllung jener Kriterien eher als wünschenswerter Zielzustand, denn als aktueller Standard erfassen ließe. Besonders in Abgrenzung zu alternativen partizipativen Formaten sei es jedoch wichtig, dass sich Reallabore durch ihre transformativ-normative und langfristige – im Idealfall jahrzehntelange (vgl. Schneidewind et al. 2018; WBGU 2016) – Ausrichtung kennzeichnen sollten. Aus soziologischer Perspektive ließe sich hier kritisch hinterfragen, was von den einzelnen Reallaborakteur*innen genau unter dem normativen Konzept der Nachhaltigkeit verstanden wird und wie sich die mögliche Diversität jener Konzeptualisierungen in der partizipativen Wissensproduktion wiederfindet (vgl. Defila/Di Giulio 2018). Wie sich auch über die diversen Konferenzbeiträge und vorgestellten Projekte zeigte, gilt es in der partizipativen Forschung daher grundsätzlich, sich über Konzepte sowie entsprechende Erwartungen und Zielsetzungen zu verständigen. Im Folgenden soll zunächst jedoch das Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“ kurz vorgestellt und anschließend – anhand einiger exemplarischer Beiträge – auf den Verlauf der Konferenz und dort verhandelte Themen der kontemporären Reallaborforschung eingegangen werden.

Das Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“

Das 2019 gegründete Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“ setzt sich aus Reallabor-Projekten, Organisationen sowie einzelnen Personen zusammen und versteht sich ganz allgemein als „Anlaufstelle für Reallabor- und Transformationsinteressierte“ (RdN 2024a). Als solche, versammelt das Netzwerk Mitglieder aus verschiedensten Reallabor-Projekten, Initiativen, Kommunen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, NGOs, Unternehmen sowie Privatpersonen und begrüßt stetigen Zuwachs. Ziel des Netzwerkes ist es, die einzelnen Akteur*innen im deutschsprachigen Raum besser miteinander zu vernetzen und über dessen Kommunikationsplattform und Veranstaltungen Synergien zu erzeugen, die zur Verbesserung der Reallaborforschung und -praxis beitragen können. Erst 2023 veröffentlichte das Netzwerk eine Stellungnahme zur Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), ein „Reallaborgesetz“ zu schaffen, in der es dessen Proaktivität begrüßt, das Gesetzeskonzept jedoch als ergänzungsbedürftig thematisiert (vgl. Parodi et al. 2023; BMWK 2023). Zur Reallaborforschung veröffentlichte das Netzwerk zudem weitere Beiträge in einem Sonderband der GAIA (siehe GAIA 2024). Als nützliche Ressource für die Reallaborpraxis entwarf es zudem einen „Ethikkodex für Reallabore der Nachhaltigkeit“, den es auf der Netzwerk-Website zu lesen gibt. Hierzu sammelt das Netzwerk noch bis Sommer 2024 Rückmeldungen, um dessen vorläufigen Entwurf zur Diskussion zu stellen, zu überarbeiten und schließlich der Forschungsgemeinschaft in vollendeter Form zur Verfügung zu stellen (vgl. RdN 2024b).

Erster Konferenztag – 11.04.2024

Eröffnet wurde der erste Konferenztag mit einer Begrüßung des Leiters vom Forschungsbereich „Transformative Kapazitäten“ des IÖR, Dr. Markus Egermann. Sogleich wies jener auf die Hervorhebung „ExperimentierRäume“ im Titel der Konferenz hin. Denn nicht nur aus physisch-geographischer Perspektive, sondern ebenso im sozialen wie auch rechtlichen Sinne brauche die Reallaborforschung vermehrt Räume und strukturelle Unterstützung, an denen es momentan noch fehle. So forderte Egermann beispielsweise, dass – während aktuelle Reallaborprojekte noch größtenteils aus dem Wissenschaftssystem finanziert seien – es mehr strukturelle Förderungen von staatlicher Ebene benötige, um dem partizipativen und transformativen Anspruch von Reallaboren gerecht werden zu können. An jene Perspektive schloss auch der anschließende Keynote-Vortrag des Wuppertaler Oberbürgermeisters und ehemaligen wissenschaftlichen Geschäftsführers des Wuppertal Instituts, Prof. Dr. Uwe Schneidewind, an. Mit Bezug auf ein neues Werbevideo Donald Trumps betonend, dass die Wissenschaftskommunikation in Zeiten des Wissensmissbrauchs wichtiger denn je sei und der Wissenschaftsbetrieb seine gesellschaftliche Rolle überdenken und wahrnehmen müsse, sprach er sich dafür aus, dass besonders die „Architektur der Wissensproduktion“ im Sinne einer Demokratisierung neugestaltet werden müsse. In Einklang mit Egermann fügte Schneidewind hinzu, dass das immer relevanter werdende Konzept des Reallabors hierfür zwar ein geeigneter Ansatz sei, es jedoch politischen Rückhalt und ebensolche ExperimentierRäume (im weitesten Sinne) benötige, um dessen Potentiale entfalten zu können. Es brauche demnach „entbürokratisierte Inseln“, auf denen die Machbarkeit und Wirksamkeit sozial-ökologischer Transformationsprozesse experimentell erforscht werden könnten. In Anbetracht dessen forderte Schneidewind, die Möglichkeiten für regulative Experimentierräume wie Reallabore verwaltungstechnisch deutlich zu erweitern, wie es auch über die erwähnte Gesetzesinitiative des BMWK angedacht ist. Es gehe jedoch auch um eine institutionelle Weiterentwicklung von Förderprogrammen sowie die Etablierung von Wissenschaftseinrichtungen der Reallaborforschung. Auf Ebene der forschenden und praktizierenden Reallaborakteur*innen müssten wiederum zunächst (Selbstwirksamkeits-)Erfahrungen gemacht werden, da die Bedeutung und Wirksamkeit von Wissensbeständen im Allgemeinen durch deren erfahrungsbedingte Aneignung entstehen würde. Teil jener Erfahrungen sei es auch, sich Fehlschläge und Missverständnisse einzugestehen und einen konstruktiven Umgang mit diesen zu finden. Wie sich im Verlauf der Konferenz herausstellte, traf Schneidewind mit diesen Einschätzungen einen Nerv der Reallaborforschung und -praxis, da sich ähnliche Eindrücke auch in verschiedenen Konferenzbeiträgen abzeichneten und hier unter verschiedenen Aspekten, wie bspw. des Konfliktmanagements, thematisiert und diskutiert wurden.

So wurden in einer an die einleitenden Vorträge anschließenden Session des Themenstrangs „Reallabore als Konflikträume“ Reallabore in Anlehnung an Steffen Mau et al. (2023) als „Triggerorte“ verhandelt. Wie sich über die Vorträge und Diskussionen zeigte, gehe es in den dort stattfindenden konstanten Aushandlungen von Konsens und Dissens unter den Beteiligten häufig nicht direkt darum, schnelle Lösungen zu finden, sondern ebenfalls darum, Konflikte auszuhalten und transparent zu machen. Gemäß der Einsicht, das „idealtypische Reallabor“ im Sinne all seiner Charakteristika (s.o.) als Zielzustand zu verstehen, gehe es somit nicht immer darum, Best- oder Worst-Practices herauszustellen, sondern allem voran der Frage nachzugehen, was sich aus den Erfahrungen und von den verschiedenen Ansätzen der Beteiligten für Alle lernen ließe. In Anklang an Singer-Brodowski et al. (2022) wurde zudem hervorgehoben, dass es „genügend sichere Räume“ für eine wirkungsvolle Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen und die Ermöglichung eines „transformativen Lernens“ benötige. Es sei demnach auch über Machtstrukturen (vgl. Wittmayer et al. 2021) oder etwa die Rolle von Emotionen im Kontext transformativer Bildungs- und Lernprozesse (vgl. Förster et al. 2019) nachzudenken.

In der Nachmittagssession des Themenstrangs „Impactmessung von Reallaboren“ wurden dann sowohl die „state-of-the-art“-Herausforderungen der Konzeptualisierung als auch die methodischen Implikationen der Wirkungsmessung von Reallaboren thematisiert. Als konkretes Tool enthielt die hier präsentierte – sich noch im Entwicklungsstatus befindende – „Indicator Matrix for measuring citizen dialogues“ des ITAS erste Antworten darauf, was zu fragen und erheben sei, um die Wirkung von Reallaborexperimenten evaluieren zu können. Kritisch wurde jedoch angemerkt, dass Reallaborexperimente über ihren teilweise wahrzunehmenden Charakter der „Festivalisierung“ hinausgehen müssten, um deren Wirkungsweise messen zu können (zur Wirkungsmessung siehe auch Augenstein et al. 2022). Es sei demnach nicht genug, Einzelevents zu organisieren und bspw. die Partizipation von Bürger*innen als Wirkung zu verbuchen, sondern es müssten ebenfalls größere Zusammenhänge entstehen, die eine Wirkungsmessung und -beurteilung auch außerhalb jener Events ermöglichen. Im Angesicht der vielen methodischen Unklarheiten des transdisziplinären und transformativen Forschens müsse letztlich immer kritisch hinterfragt werden, wie für die Wirkung von (Real-)Experimenten argumentiert werde. Denn wie auch Grunwald in Reaktion auf Strohschneiders Kritik am Konzept transformativer Wissenschaft anmerkt, ist das Phänomen des solutionism und bias im Kontext der Normativität und gewünschten Transformativität von Reallaborprojekten ernst zu nehmen (vgl. Grunwald 2015).

In einer weiteren Session des Themenstrangs „Reallabore in ländlichen Räumen“ wurde am Beispiel des Juraparks Aargau thematisiert, wie ein „Joint Problem Framing“ aussehen könnte. Zu den Aufgaben der Session zählte, sich einen gemeinsamen Überblick über die zu behandelnden Problematiken, möglichen Lösungsstrategien und auch gemeinsam verwendeten Konzepte zu schaffen und anhand dessen partizipativ Ansatzpunkte zu definieren, entwickeln und schließlich zu bewerten. Leitend war hierbei die Frage: „Wie kann es von der gemeinsamen Idee zur partizipativen Umsetzung kommen?“. Doch nicht alle Beiträge der Konferenz entsprangen der Reallaborforschung oder bereits realisierten Reallaborprojekten. So thematisierten die Aktivistinnen Nora Mittelstädt und Kea Weber über eine performative sowie auch informative Inszenierung unter dem Titel „Pödelwitz: Eine Halbinsel des Guten Lebens im Tagebau?“ die zivilgesellschaftlichen und politischen Aushandlungsprozesse im Dorf Pödelwitz. Jenes sollte vor dem aktivistischen Widerstand dem Braunkohleabbau weichen und wird nun von einigen wenigen, doch äußerst engagierten Menschen bewohnt (siehe Pödelwitz 2014). Wie sich in der Diskussion mit den beiden Aktivistinnen herausstellte, verfolgt aktuell zwar noch niemand einen Reallabor-Ansatz in Pödelwitz, jedoch seien wissenschaftliche Untersuchungen dort durchaus erwünscht, um die dort gelebten Transformationsgedanken anzureichern und – wohlmöglich – sogar argumentativ zu untermalen.

Wie anhand der einzelnen Beispiele angedeutet wird, bot der erste Konferenztag ein umfangreiches Programm, das verschiedenste Einblicke in die Reallaborforschung und -praxis sowie auch alternative Ansätze des Engagements für eine nachhaltige Entwicklung gewährte. Jene entfalteten sich schließlich nicht nur als informativ, sondern ebenso warfen sie Kontroversen auf, die es weiterhin zu bearbeiten gilt. Als zentrale Aushandlungspunkte stellten sich hierbei die Förderung und Erweiterung von ExperimentierRäumen, das Lernen aus Konflikten und Herausforderungen, die Wirkung und Reflektion von Realexperimenten sowie die Konzeption möglicher Anhaltspunkte für partizipative Forschungsprojekte heraus.

Zweiter Konferenztag – 12.04.2024

Der zweite Konferenztag startete mit einer von Dr. Regina Rhodius (Öko-Institut e.V.) moderierten Podiumsdiskussion zum Thema „Perspektiven der Reallaborforschung“. Zu Gast waren der Leiter der Geschäftsstelle Reallabore des BMWK, Dr. Kai Hielscher, der Geschäftsführer der futureprojects GmbH, Norbert Rost, die Koordinatorin des Bereichs Bürgerlabor und Community im Projekt Smart Participation der Landeshauptstadt Dresden, Christiane Wagner, und Dr. Oliver Parodi, als Leiter des KAT und Begründer des Reallabors Quartier Zukunft – Labor Stadt, über welches er bereits seit 2012 den deutschsprachigen Reallabordiskurs sowie die -praxis mitgestaltet. Als durch ihr Projekt bürgernah engagierte Person betonte Wagner bereits zu Beginn der Diskussion, dass es in der Reallaborpraxis häufig noch am Eingeständnis fehle, dass mit Fehlschlägen zu rechnen sei, diese die gemeinsame Unternehmung jedoch implizit weiterbringen könnten.

In Bezug auf die oben thematisierte Diskussion um die Thematik der Wirkungsmessung von Reallaboren schloss Wagner hiermit auch an die bereits erwähnte Skepsis gegenüber der Transformativität und den Ergebnissen der Reallaborforschung an, die teilweise auch an der positiven – doch nicht immer nachvollziehbaren – Darstellung entsprechender Forschungen läge. Da es in der Reallaborforschung und -praxis bisher meist an Best-Practices fehlt, sollten Ergebnisse mit Vorsicht behandelt werden. Gleichzeitig könne aus den Fehlschlägen und Herausforderungen in der Praxis gelernt werden, indem man diese als Teil des Prozesses aufgefasst und angeht (siehe auch Beecroft et al. 2018). Vor dem Hintergrund eines solchen Umgangs scheint es schließlich auch möglich, die bisher noch vielfach diskutierten theoretischen und praktischen Grundlagen zu schaffen, um den Ansprüchen einer transformativen und partizipativen Wissenschaft – wie bspw. über die präsentierten neun Charakteristika von Reallaboren formuliert – Genüge zu tun.

Sich tiefgehend mit den rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten für Reallabore beschäftigend hob Hielscher wiederum hervor, dass die Stellungnahme des Netzwerkes „Reallabore der Nachhaltigkeit“ äußerst hilfreich für die Ausarbeitung des vom BMWK geplanten Reallaborgesetzes sei und weitere Anregungen aus der transdisziplinären Forschungsgemeinschaft durchaus erwünscht wären. Besonders von den Kommunen erhoffe er sich eine Beratung und Informationen dazu, wie sie aus gesetzlicher und verwaltungstechnischer Sicht unterstützt werden könnten. Denn besonders die Kommunen könnten individuell Möglichkeiten für die angefragten ExperimentierRäume schaffen, wenn ihnen strukturell nicht häufig die Hände gebunden wären. Letztlich seien auch starke Lobbyarbeit und Nachweise für die Effektivität von Reallaborforschungen wichtig, um die Konditionen jener von der politischen Ebene aus zu verbessern. Dahingehend merkte Hielscher zuletzt seine Hoffnung an, dass die Akteur*innen der Reallaborforschung Allianzen mit den Kommunen schmieden würden, um den Entscheidungsträger*innen gemeinsam klarzumachen, dass es langfristig angelegter, diversifizierter Förderstrukturen bedarf. Die aktuellen Rahmenbedingungen der Reallaborforschung thematisierend schloss auch Parodi – ähnlich wie bereits Schneidewind – an jene Forderung an und betonte, dass es – um das transformative Potential von Reallaboren entfalten zu können – zunächst darum gehe, entsprechende Infrastrukturen aufzubauen. Wie auch in der Diskussion hervorgehoben wurde, mangele es momentan noch grundlegend an allgemeinen Ressourcen, wie bspw. an die Reallaborarbeit angepassten Arbeitsverträgen. Erneut hob Parodi hervor, dass es im Sinne der Transdisziplinarität ebenfalls zu dieser Ressourcenausstattung gehöre, die aktuell primär aus dem Wissenschaftssystem stammenden Fördergelder zu diversifizieren und dementsprechend auch aus anderen Sektoren, wie der Politik und Zivilgesellschaft, zu beziehen. Nichtsdestotrotz merkte Parodi enthusiastisch die im vergangenen Jahrzehnt stark zu vermerkenden Professionalisierungstendenzen in der Reallaborforschung und -praxis an, die sich als eine rasante Veränderung im sonst eher trägen Wissenschaftssystem darstellen. Problematisch sah er allerdings, dass der Begriff des Reallabors über die Jahre „aufgeweicht“ sei und einer erneuten bzw. weiteren Schärfung bedürfe. Ähnlich wie in der Debatte um Konzepte und Implikationen der Nachhaltigkeit mag dies nicht zuletzt auf die Diversität von Reallaborprojekten und -ansätzen zurückzuführen sein. Anschließend an die Reallabordefinition des KAT sei es nach Parodi daher wichtig, dass es in Reallaboren um eine Nachhaltigkeitstransformation gehe, die sich am Leitbild nachhaltiger Entwicklung orientiere. Das Dilemma der Debatte somit weitertragend, gelte es hier jedoch weiterhin das Transformations- und Nachhaltigkeitsverständnis von Reallaboren und ihren Akteur*innen in ihren einzelnen Kontexten zu schärfen und herauszustellen.

In der anschließenden Session des Panels „Urbane Realexperimente für nachhaltige Konsumkulturen“ wurden vier verschiedene Realexperimente in den Innenstädten Duisburgs, Würzburgs und Schwentinentals vorgestellt. Diese widmen sich den Fragen, „wie nachhaltige Konsumangebote als Treiber einer positiven Innenstadtentwicklung dienen könnten“, „wie Orte als praktische und informative Anlaufstelle für nachhaltigen Konsum dienen und dabei ein entsprechendes Bewusstsein fördern könnten“ oder auch „wie sich nachhaltig und sozial orientierte Projekte – wie ein kostengünstiger Fahrrad- und Artikelverleih – ressourcentechnisch umsetzbar machen ließen“. Als Herausforderung stellt sich dabei häufig heraus, dass die Projekte größtenteils auf ehrenamtlichem Engagement beruhen und allgemein Ressourcen zur effektiven Umsetzung und langfristigen Sicherung der Projekte fehlen. Dennoch würden die Projekte zivilgesellschaftlich bereits gut angenommen werden und grundsätzlich laufen – wenn auch mit Veränderungen oder Abstrichen. Aus den positiven sowie negativen Erfahrungen sei nun zu lernen, indem die Projektansätze angepasst und Fehlkalkulationen diskutiert werden. Einen ausgearbeiteten Reallaboransatz zur Erforschung der transformativen Projekte stellten die Referent*innen jedoch nicht vor – hier ging es vor allem um die Praxis. In der zweiten Session des Konferenztages stellten im Themenstrang „Reallabore in ländlichen Räumen“ verschiedene Reallabore ihre Ansätze und Konzeptionen vor. Hierbei zeigte sich die große Varianz an möglichen Reallaborprojekten im ländlichen Raum, der in Anbetracht der Vielfalt an städtischen Projekten in der Reallaborforschung häufig unterrepräsentiert scheint. In der Session erstreckten sich die Projekte von einer Begleitforschung zur Transformation einer ländlichen Kunstinstitution über die Implementierung eines Waldreallabors bis hin zur partizipativen Raumplanung eines großen Landstrichs. Heraus stachen hier auch die verschiedenen Ansätze der Projekte, den Raum ihrer Reallabore zu erfassen, einzugrenzen und entsprechend zu erforschen.

Gegen Ende der Veranstaltung konnten alle Interessierten noch an einer gemeinsamen Reflexionssession sowie am offenen Treffen des Netzwerks „Reallabore der Nachhaltigkeit“ teilnehmen und dort mehr über die Interessen und Aktivitäten des Netzwerkes erfahren. Zudem konnte Dresden mit dem Fahrrad bei der „Tour der Utopien“ auf neue Weise entdeckt werden, indem Dresdener Projekte, Initiativen und Macher*innen besucht wurden, um in einen Dialog über bspw. mögliche Zukunftsvisionen und Möglichkeiten transdisziplinärer Forschungsprojekte zu treten. In Anbetracht der erwähnten Beiträge und Angebote präsentierte sich die Konferenz somit auch am zweiten Tag als vielfältig, kontrovers und informativ. Über die erneute Diskussion um die Rahmenbedingungen und (strukturellen) Herausforderungen sowie die konzeptionellen Grundlagen und Ausrichtungen der Reallaborforschung und -praxis zeichneten sich hier jedoch auch trotz der angemerkten Vielfalt bereits rote Fäden in der Diskurslandschaft rund um die Reallaborforschung und -praxis ab, denen es über die Konferenz hinaus weiter zu folgen gilt.

Abschließende Bemerkungen

Im Angesicht der hohen Teilnehmer*innenanzahl sowie der thematischen Diversität der Konferenz, lässt sich die Veranstaltung retrospektiv als ein Knotenpunkt der kontemporären deutschsprachigen Reallaborforschung ansehen. Als solch ein Knotenpunkt versammelte die Konferenz renommierte (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen und Praxisakteur*innen verschiedenster Disziplinen und Ansichten aus dem DACH-Raum und bot somit viel Gelegenheit zum Austauschen, Vernetzen und Mit- als auch Voneinander-Lernen. Zugleich präsentierte sich Reallaborforschung in ihrem Aufschwung jedoch keineswegs als einheitlich, sondern geradezu als kontrovers. Auch wenn sich die grundlegende Idee der Reallaborforschung als transformativ, nachhaltigkeitsorientiert und transdisziplinär durchaus als gemeinsame Orientierung verstehen lässt, stellen sich eben genau hier immer wieder grundsätzliche Fragen aufs Neue: „Was genau bedeutet Transformativität?“, „Wie lässt sich die Wirkung von Reallaboren, im Sinne einer Transformativität, messen?“, „Was impliziert das Konzept der Nachhaltigkeit?“, „Was macht eine transdisziplinäre Forschung in der Praxis aus?“. Auch wenn sich hier kein Konsens finden lässt und jene Fragen im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung und vor dem Hintergrund projektbezogener Kontextunterschiede stets diskutabel bleiben, bieten Ansätze wie die Reallabordefinition und der Ethikkodex des KAT hilfreiche Orientierungen, um sich hier einem gemeinsamen Verständnis anzunähern.

Im Hinblick auf die Rahmenbedingungen der aktuellen Reallaborforschung im DACH-Raum ließ sich zudem ein gewisser Konsens in den Forderungen zum Aufbau gewisser Reallabor-Infrastrukturen vernehmen. Dieser bezog sich insbesondere auf die Notwendigkeit von gesetzlich angepassten Rahmenbedingungen, auf die Erweiterung und Diversifizierung von Förderstrukturen sowie auf die Anpassung von Arbeitsverträgen und Zeithorizonten. Als weitere Gemeinsamkeit lässt sich zudem die Einsicht herausstellen, dass die Wirkungsmessung von Reallaboren ernst zu nehmen sei und verbessert werden müsse, während etwaige Fehlschläge im Sinne eines experimentellen, prozesshaften Vorgehens als Teil des gemeinsamen Lernprozesses verstanden werden sollten.

Wie sich zeigen ließ, bleiben für die Reallaborforschung und -praxis also einerseits weiterhin viele Fragen offen, während sich andererseits erste Ansatzpunkte zur Konzeption und Umsetzung von Reallaboren abzeichnen oder auch bereits verfestigt haben. Das vorgestellte Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“ stellt hier eine Anlaufstelle im deutschsprachigen Raum dar, um über entsprechende Fragen und Ansätze zu diskutieren. Zur weiteren Beschäftigung mit den kontemporären Debatten rund um die Reallaborforschung und -praxis lohnt sich jedoch auch ein Blick in die angefügten Referenzen und Lesetipps.

 

Augenstein, K./Bögel, P. M./Levin-Keitel, M./Trenks, H. (2022): Wie entfalten Reallabore Wirkung für die Transformation? Eine embedded-agency perspective zur Analyse von Wirkmechanismen in Reallaboren. In: GAIA, 31. Jg., Heft 4, S. 207-214.

Beecroft, R./Trenks, H./Rhodius, R./Benighaus, C./Parodi, O. (2018): Reallabore als Rahmen transformativer und transdisziplinärer Forschung: Ziele und Designprinzipien. In: Defila, R./Di Giulio, A. (Hrsg.): Transdisziplinär und transformativ Forschen. Eine Methodensammlung. Wiesbaden: Springer, S. 75-100.

BMWK (2023): Neue Räume, um Innovationen zu erproben. Konzept für ein Reallabor-Gesetz. Berlin: BMWK.

Defila, R./Di Giulio, A. (2018): Partizipative Wissenserzeugung und Wissenschaftlichkeit – ein methodologischer Beitrag. In: Defila, R./Di Giulio, A. (Hrsg.): Transdisziplinär und transformativ Forschen. Eine Methodensammlung. Wiesbaden: Springer, S. 39-68.

Förster, R./Zimmermann, A. B./Mader, C. (2019): Transformative teaching in Higher Education for Sustainable Development: facing the challenges. In: GAIA, 28. Jg., Heft 3, S. 324-326.

GAIA (2024): Special Issue: Impacts of Real-world Labs in Sustainability Transformations.

Grunwald, A. (2015): Transformative Wissenschaft – eine neue Ordnung im Wissenschaftsbetrieb?. In: GAIA, 24. Jg., Heft 1, S. 17-20.

Mau, S./Lux, T./Westheuser, L. (2023): Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Parodi, O./Schwichtenberg, R./Stelzer, F./Rhodius, R./Schreider, C./von Wirth, T./Lang, D./Marg, O./Wagner, F./Egermann, M./Bauknecht, D./Wanner, M. (2023): Stellungnahme des Netzwerks „Reallabore der Nachhaltigkeit“ zur Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für ein Reallabor-Gesetz.

Parodi, O./Steglich, A. (2021): Reallabor. In: Schmohl, T./Philipp, T. (Hrsg.): Handbuch transdisziplinäre Didaktik, Bd.1. Bielefeld: Transcript.

Pödelwitz (2024): Pödelwitz hat Zukunft. Online: https://www.poedelwitz.de/de/ [Zugriff: 08.05.2024]

RdN (2024a): Reallabore der Nachhaltigkeit. Das sind wir. Online: https://www.reallabor-netzwerk.de/ueber-uns.php[Zugriff: 25.04.2024]

RdN (2024b): Ethikkodex für Reallabore der Nachhaltigkeit. Online: https://www.reallabor-netzwerk.de/ethikkodex.php [Zugriff: 25.04.2024]

Schneidewind, U./Stelzer, F./Augenstein, K./Wanner, M. (2018): Structure Matters: Real-World Laboratories as a New Type of Large-Scale Research Infrastructure. A Framework Inspired by Giddens’ Structuration Theory. In: GAIA, 21. Jg., Heft 1, S. 12 -17.

Singer-Brodowski, M./Förster, R./Eschenbacher, S./Biberhofer, P./Getzin, S. (2022): Facing Crises of Unsustainability: Creating and Holding Safe Enough Spaces for Transformative Learning in Higher Education for Sustainable Development. In: Frontiers in Education, 7:787490.

Wagner, F./Grunwald, A. (2015): Reallabore als Forschungs- und Transformationsinstrument. Die Quadratur des hermeneutischen Zirkels. In: GAIA, 24. Jg., Heft 1, S. 26-31.

WBGU (2016): Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte. Zusammenfassung. Berlin: WBGU.

Wittmayer, J. M./Avelino, F./Pel, B./Campos, I. (2021): Contributing to sustainable and just energy systems? The mainstreaming of renewable energy prosumerism within and across institutional logics. In: Energy Policy, 149.


Jakob Kreß arbeitet in der Redaktion der Zeitschrift „Soziologie und Nachhaltigkeit“ mit und koordiniert das OJSRed-Netzwerk für Open Access basierte Zeitschriften im DACH-Raum

Email: jkress01@uni-muenster.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-6077


Religion (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)

Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Religion 

Der vorliegende Beitrag bietet einen Überblick über die Debatte zum Thema Religion und ökologischer Nachhaltigkeit. Beiträge in dieser Debatte betonen verschiedene Potentiale, anhand deren Religion ökologische Transformationen vorantreiben kann. Weiterhin wird häufig angenommen, dass Religionen weltweit umweltfreundlicher werden („ergrünen“) und sich zunehmend aktiv in ökologischen Transformationsprozessen engagieren. Die soziologische Forschung findet hierfür bisher jedoch keine breiten empirischen Belege. Der besondere Beitrag der Soziologie besteht in der empirischen Erforschung dieser Annahmen. Weiterhin kann Soziologie auf Basis ihres reichen Fundus an Sozial- und Gesellschaftstheorien die empirische Rolle von Religion in nachhaltigen Transitionen erklären.

Einleitung

Bei einer Auseinandersetzung mit der Rolle von Religion in den gegenwärtigen Prozessen nachhaltigen Wandels mag man sich folgende Fragen stellen: Sind Religionen nicht prädestiniert dafür einen Beitrag zu einer Nachhaltigkeitstransformation zu leisten, da ihnen die Norm innewohnt, „die Schöpfung zu bewahren“? Oder sind sie andersherum Teil des Problems, da sie dazu auffordern, dass sich der Mensch die Welt zum Untertanen machen soll?

Generelle Antworten hierauf lassen sich nicht geben, da ganz unterschiedliche Auslegungen der jeweiligen religiösen Traditionen vorliegen. Diese haben verschiedene Auffassungen davon, wie sich der Mensch gegenüber der Natur verhalten sollte. Dabei konkurrieren diese unterschiedlichen Auffassungen in den jeweiligen Traditionen miteinander. Jedoch gibt es Stimmen in der akademischen Debatte um Religion und Nachhaltigkeit, die davon ausgehen, dass umweltfreundliche Auslegungen langsam die Überhand gewinnen. Sie gehen von einem „Ergrünen“ der Religionen aus. Dieses zeigt sich auch an den zunehmenden öffentlichen Verlautbarungen religiöser Führungsfiguren. Ein prominentes Beispiel hierfür ist „Laudato Sí“ von Papst Franziskus. Der Papst veröffentliche die Enzyklika kurz vor der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris. Hierin warnt er vor den Folgen des Klimawandels und fordert die Weltgemeinschaft zum Handeln gegen die globale Erwärmung auf. Während die Enzyklika von der medialen Weltöffentlichkeit im überwiegenden Masse äusserst positiv aufgenommen wurde, war das Echo innerhalb der katholischen Kirche gespaltener. Daran zeigt sich, dass innerhalb der einzelnen Religionen um das Thema Nachhaltigkeit gerungen wird. Es erzeugt Spannungen und führt zu Aushandlungsprozessen in Religionsgemeinschaften.

Zugleich betonen Wissenschaftler*innen zunehmend, dass Religion bei der Bewältigung ökologischer Herausforderungen eine zentrale Rolle spielen könnten. So benennt die akademische Debatte über Religion und Nachhaltigkeit verschiedene Potentiale, anhand deren Religion ökologische Nachhaltigkeit vorantreiben kann. Hierzu gehören die weltweit große Anzahl religiöser Anhänger*innen sowie der Einfluss von Religionsgemeinschaften auf die Weltbilder, Werte und Lebensweisen ihrer Anhänger*innen. Ebenso verfügen Religionsgemeinschaften und deren Führungsfiguren häufig über öffentlichen und politischen Einfluss sowie über finanzielle und organisatorische Ressourcen, um nachhaltige Transitionen voranzutreiben (oder zu blockieren).

Ob und inwiefern sich tatsächlich ein grüner Wandel innerhalb verschiedener Religionen vollzieht und wie diese sich dann für den nachhaltigen Wandel einsetzen, ist Gegenstand soziologischer Forschung. Einige Schlaglichter aus dieser Forschung werden im Folgenden dargestellt.

Dieser Beitrag fokussiert auf Religion und ökologische Nachhaltigkeit. Auch andere Dimensionen von Nachhaltigkeit wie wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit spielen für Religionen eine Rolle. So haben viele Religionen eine lange Tradition sozialen Engagements, die weit über jener des Nachhaltigkeitsbegriffs hinausgeht (z.B.: Wohltätigkeit im Islam). Auch müssen Religionsgemeinschaften sich seit jeher der Frage des ökonomischen Überlebens stellen. Im Gegensatz zum Aspekt der Ökologie werden diese Debatten meist nicht im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsbegriff geführt. Mit Blick auf die Frage des Verhältnisses von Religion und ökologischer Nachhaltigkeit lassen sich zwei Debatten unterscheiden: (1) eine Debatte um Religion und Ökologie, die zunächst besonders von Theolog*innen und Religionswissenschaftler*innen vorangetrieben wurde und (2) einer langsam wachsenden Debatte über Religion in der sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeits- und Klimaforschung. Einige der Thesen aus der ersten Debatte – wie besonders jener des Ergrünens von Religion – wurden von Soziolog*innen aufgegriffen und empirisch untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden mitunter in soziologischen Zeitschriften aber auch zu einem kleineren Teil in jenen der sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeits- und Klimaforschung veröffentlicht.

Religion und Nachhaltigkeit

Eine wissenschaftlich allgemein akzeptierte Definition von Religion liegt nicht vor. Stattdessen gibt es verschiedene Definitionsansätze. Mit Blick auf das Thema ökologische Nachhaltigkeit sind hierbei zwei Zugriffe auf Religion besonders relevant (Koehrsen 2023): (1) institutionalisierte Formen von Religion und (2) kaum oder nicht institutionalisierte Formen von Religion.

Ein Großteil der wissenschaftlichen Debatte konzentriert sich auf institutionalisierte Formen von Religion. Damit sind Phänomene gemeint, die dem Begriff „Religion“ traditionell zugerechnet werden. Häufig nehmen sie eine gemeinschaftliche und organisierte Form an, so etwa das Christentum, der Islam, das Judentum, der Buddhismus etc. Der zweite Zugriff auf Religion bezieht sich auf weniger institutionalisierte und diffusere Formen von Religion, für die häufig der Begriff Spiritualität verwendet wird. Hier ist die Zurechnung zu Religion wissenschaftlich umstrittener, da es sich oft um diffusere und empirisch weniger greifbare Phänomene handelt. Es kann sich etwa um das Legen von Tarot-Karten oder Lesen von Horoskopen handeln oder eben auch um Formen der Verehrung von Natur. Grundsätzlich können beide Phänomenbereiche – jener der traditionellen Religion und jener der Spiritualität – dem Überbegriff der Religion zugerechnet werden.

Der Strang der wissenschaftlichen Debatte, der sich mit dem diffuseren Phänomenbereich des Religiösen auseinandersetzt, wendet sich der Untersuchung von Ökospiritualität zu. Dabei untersucht er diese etwa bei Naturliebhaber*innen, Umweltaktivist*innen und ökologisch bewegten Unternehmer*innen (Becci et al. 2021). Besonders bekannt ist Bron Taylor’s (2010) These der Ausbreitung einer neuen „dunkelgrünen“ Religion. Taylor geht davon aus, dass Natur zunehmend als etwas Heiliges und unbedingt Schützenswertes verehrt werde. Ein großer Teil des heutigen Umweltengagements sei potenziell durch «dunkelgrüne» Religion motiviert. Dieser Strang ist jedoch weniger stark in den Debatten um Religion und Nachhaltigkeit vertreten.

Soziologische Perspektiven auf Religion und Nachhaltigkeit

1. Annahmen über den Zusammenhang von Religion und Nachhaltigkeit

Der 1967 erschienene Aufsatz „The Historical Roots of our Ecological Crisis“ von Lynn White (1967) bildet einen wichtigen Startpunkt für die Debatte über Religion und Ökologie. In diesem Artikel vertritt White die These, dass das westliche Christentum mit seinem Anthropozentrismus eine zentrale Verantwortung für die ökologische Krise trage. Am Ende des Artikels vollzieht White eine überraschende Wendung, indem er behauptet, dass Religion nicht nur die Ursache, sondern eben auch die Lösung für die ökologische Krise sei. Es sei nötig, eine neue umweltfreundliche Religion zu entwickeln oder die bestehende Religion so zu verändern, dass sie umweltfreundlich werden.

Anschließend an die Thesen von White hat sich eine rege akademische Debatte über das Verhältnis von Religion und Ökologie entwickelt. An dieser beteiligen sich besonders Theolog*innen, Schriftgelehrte aus unterschiedlichen religiösen Traditionen und Religionswissenschaftler*innen. Viele Vertreter*innen dieser Debatte gehen davon aus, dass Religion besondere Potentiale aufweist, um ökologische Nachhaltigkeit zu befördern (Gardner 2003). Hierzu gehört der grosse Anteil religiöser Anhänger*innen an der Weltbevölkerung. So schätzt Pew Research, dass 84% der Weltbevölkerung Anhänger*innen einer religiösen Tradition sind (Pew Research Center 2017). Religionen prägen die Weltbilder und Werte ihrer Anhänger*innen und können umweltfreundliche Werte vermitteln, um die Anhänger*innen zu nachhaltigeren Lebensweisen zu bewegen. Auch haben religiöse Führungsfiguren häufig eine hohe öffentliche Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit (Schaefer 2016). Beides könnten sie nutzen, um die Öffentlichkeit für ökologische Probleme zu sensibilisieren und Druck auf politische Entscheidungsträger*innen auszuüben. Schließlich verfügen religiöse Organisationen (z.B. die Katholische Kirche) zum Teil über massive Ressourcen in Form von finanziellen Mitteln, Mitarbeiter*innen, Gebäuden, Ländereien sowie verbundenen Organisationen (z.B. Schulen, Krankenhäusern, sozialen Hilfswerken). Diese Ressourcen könnten sie einsetzen, um den nachhaltigen Wandel voranzutreiben (z.B. Umstellung auf erneuerbare Energie, Recycling, lokale Beschaffung, Investitionen in nachhaltige Fonds).

Neben der Betonung der Potentiale von Religion wird im Anschluss an Lynn White auch die These vertreten, dass Religionen „ergrünen“ („Greening of Religions“) (Chaplin 2016). Damit ist gemeint, dass Religionen zunehmend umweltfreundlicher werden. Dieser „grüne“ Wandel vollziehe sich einerseits in der Verbreitung neuer, umweltfreundlicher Lesarten der jeweiligen Traditionen (z.B. „Bewahrung der Schöpfung im Christentum“). Andererseits manifestiere er sich in umweltfreundlichen Aktivitäten von religiösen Gemeinschaften; beispielsweise in öffentlichen Verlautbarungen zur Klimakrise, in Energiesparmaßnahmen in religiösen Gebäuden oder in der Vermittlung umweltfreundlicher Werte in Predigten und Gebeten.

Weitgehend losgelöst von der Religion und Ökologie-Debatte finden sich auch zunehmend in der interdisziplinären Klima- und Nachhaltigkeitsforschung Stimmen, die auf die Relevanz von Religion verweisen und ähnliche Potentiale von Religion hervorheben  (Ives et al. 2020). Häufig wird besonders auf das Potential von Religion verwiesen, umweltfreundliche Werte und Weltbilder zu vermitteln.

2. Empirische Befunde und gesellschaftstheoretische Reflexionen zur Bedeutung von Religion in der Nachhaltigkeitstransformation

Die Religion und Ökologie-Debatte ist durch stark religionsaffirmative Annahmen über die Rolle und Entwicklung von Religion geprägt. Jedoch mangelt es bisher an empirischer Forschung, um die Annahmen ausreichend zu belegen, sowie an einer gesellschaftstheoretischen Reflexion vorliegender Befunde. Diesbezüglich kann soziologische Forschung wichtige Beiträge leisten.

So kann sie zur empirischen Erforschung der Rolle von Religion für den nachhaltigen Wandel beitragen. Hierfür sind sowohl quantitative Studien nötig, die durch hohe Fallzahlen in die Breite gehen, als auch qualitative Fallstudien, die die Dynamiken in der Tiefe untersuchen. Es liegen zahlreiche quantitative Studien vor, die ökologische Werteinstellungen religiöser Individuen untersuchen und hierfür vorliegende Datensätze (z.B. World Value Survey) verwenden. Eine Überblickstudie von Taylor et al. (2016), die die unterschiedlichen Untersuchungen mit Blick auf ihre zentralen Ergebnisse analysiert, kommt zu dem Schluss, dass es bisher keinen empirischen Rückhalt für die Annahme eines „Ergrünens“ von Religion gibt. Weiterhin liegen qualitative Fallstudien zu einzelnen religiösen Gemeinschaften vor. Diese identifizieren mitunter Spannungen in den Gemeinschaften mit Blick auf die Umsetzung eines «grünen» Wandels (Blanc 2023, Jamil 2023). So unterstützen Teile der Gemeinschaften das ökologische Engagement, während andere diesem Engagement kritisch gegenüberstehen oder es nicht als zentrale Aufgabe ihrer Gemeinschaft betrachten.  In der Forschung zeigen sich bisher keine einheitlichen Tendenzen mit Blick auf die Beweggründe dafür eine bestimmte Position zu beziehen. In religiösen Organisationen kann dies etwa mit den besonderen Diskursdynamiken einzelner Milieus und Machtkämpfen der Akteure innerhalb der jeweiligen Organisation zusammenhängen. Auch können hierbei die politischen und theologischen Ausrichtungen der einzelnen Akteure eine Rolle spielen.

Die Frage nach den Beweggründen stellt sich nicht nur im Hinblick auf einzelne Akteure, sondern auch gesamthaft mit Blick auf religiöse Organisationen: Unter welchen Beweggründen engagieren sich religiöse Organisationen für den nachhaltigen Wandel? Dieser Frage haben sich Koehrsen und Huber (2021) im Rahmen einer Studie in Deutschland und der Schweiz zugewandt. Dabei wurden Dachverbände und lokale Gemeinschaften unterschiedlicher religiöser Traditionen untersucht. Es zeigen sich besonders zwei Tendenzen: (1) religiöse Dachverbände engagieren sich durchschnittlich stärker als deren lokale Gemeinschaften (2) gesellschaftlich stärker etablierte Religionsgemeinschaften weisen ein höheres Engagement auf als gesellschaftlich weniger anerkannte Gemeinschaften. Die Studie verweist darauf, dass gesellschaftliche Anerkennung ein zentraler Faktor für das „grüne“ Engagement ist. Einerseits ermöglicht gesellschaftliche Anerkennung das Engagement, weil sie den anerkannten Gemeinschaften den Zugriff auf Ressourcen (z.B. Kirchensteuern) ermöglicht, mit denen sie dann «grüne» Projekte realisieren können. Andererseits motiviert das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung das Engagement. So besetzen Dachverbände das Thema öffentlich, um die soziale Relevanz der eigenen religiösen Gemeinschaft in der breiteren Gesellschaft zu untermauen (oder je nach religiöser Tradition auszubauen). Eine andere Studie zu Religionsgemeinschaften in den USA verweist zudem darauf, dass der regionale Kontext eine grosse Rolle spielt (Djupe/Olson 2010). Lokale Religionsgemeinschaften orientieren sich an den dominanten Klimadiskursen des jeweiligen Staats in welchem, sie beherbergt sind.

Auch auf der internationalen Ebene zeigen sich interessante Dynamiken. In den internationalen Debatten über den Klimawandel positionieren sich religiösen Akteure in besonderer Weise über Fragen der Klimagerechtigkeit, wie etwa eine Studie von Glaab (2017) belegt. Dabei heben religiöse Akteure sowohl die Verantwortung gegenüber jüngeren Generationen hervor als auch gegenüber jenen Menschen, die innerhalb der unterschiedlichen Länder am stärksten vom Klimawandel betroffen (bzw. gefährdet) sind.

Zum Weiterdenken

Religiöse Akteure positionieren sich auf ganz unterschiedliche Weisen zu Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit. Diese Vielfalt spiegelt sich auch innerhalb religiöser Gemeinschaften wider, in denen sich häufig Spannungen rund um das Thema zeigen. Soziologische Forschung kann dazu beitragen diese Vielfalt und die damit verbundenen Aushandlungsprozesse wissenschaftlich verständlich zu machen und mit Blick auf deren Konsequenzen für nachhaltige Transformationsprozesse zu analysieren. So kann sie mittels quantitativer Methoden Faktoren ermitteln, die das ökologische Engagement von Religionsgemeinschaften befördern (oder erschweren). Auch kann sie anhand qualitativer Fallstudien die Dynamiken der Aushandlung von Nachhaltigkeit in religiösen Gemeinschaften aufzeigen. Zugleich ergeben sich unterschiedliche Forschungslücken, von denen einige nun thematisiert werden sollen.

Der Fokus quantitativer soziologischer Studien hat bisher besonders auf Individuen gelegen. Deshalb mangelt es an Studien, die lokale Gemeinschaften (z.B. Kirchengemeinden, muslimische Gemeinschaften) in einer bestimmten Region in der Breite untersuchen. Hierzu wären Fragebogenerhebungen mit Vertreter*innen der jeweiligen Gemeinschaften denkbar, die ermitteln, ob und in welcher Weise die lokalen Gemeinschaften zum nachhaltigen Wandel beitragen (oder diesen blockieren) sowie welche Faktoren (z.B. Ressourcenausstattung, politische und theologische Ausrichtung) dieses Engagement befördern (oder blockieren). Denkbar wären die quantitativen Erhebungen mit qualitativen Methoden („Mixed Methods“) zu kombinieren, so dass die ermittelten Zusammenhänge im Anschluss in Fallstudien vertieft untersucht werden können. Ebenso wären Vergleichsstudien wichtig, die in verschiedenen Kontexten ermitteln, welche Faktoren sich förderlich oder schwächend auf das religiöse Nachhaltigkeitsengagement auswirken (z.B. Höhe der Religiosität der Bevölkerung, staatliche Nachhaltigkeitsagenda). Besonders mit Blick auf den sog. „Globalen Süden“ (siehe Beitrag zu „Global South“) wären weitere Studien nötig. In vielen Ländern des „Globalen Südens“ spielt Religion eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit, Politik und privaten Lebensführung der Bevölkerung. Damit könnten die oben genannten Potentiale von Religion mehr zum Tragen kommen als etwa in den stärker säkularisierten Ländern Westeuropas. Jedoch wären auch religiöse Gegentendenzen gegen ein „Ergrünen“ zu beachten. Während die Debatte bisher besonders auf das «Greening» fokussiert, wurden Entwicklungen in Religionen, die negative ökologische Effekte erzeugen („Ungreening“), bisher kaum in den Blick genommen.

Neben der empirischen Erforschung kann die Soziologie durch ihre reiche Theorielandschaft zur Erklärung der Befunde (z.B. Spannungen bezüglich „grünen“ Engagements) beitragen. So wäre denkbar die Befunde in breitere Gesellschaftstheorien (z.B. von Luhmann, Bourdieu) einzubetten oder Versatzstücke aus diesen Theorien zu verwenden (z.B. gesellschaftliche Ausdifferenzierung, Feldtheorie, soziale Räume), um einzelne Befunde zu erklären (Koehrsen/Huber 2021). Dies ist bisher nur in Ansätzen erfolgt. Da soziologische Theorie enorme Erklärungspotentiale für (nicht-)nachhaltige Transitionen besitzt, kann sie auch mit Blick auf die Rolle von Religion in diesen Transitionen wertvolle Erklärungsbeiträge leisten.

Weitere Literatur

Koehrsen, J./Blanc, J./Huber, F. (2023): Religious Environmental Activism: Emerging Conflicts and Tensions in Earth Stewardship. London: Routledge.

Taylor, B. (2010): Dark green religion: nature spirituality and the planetary future. Los Angeles: University of California Press.

 

Becci, I./Monnot, C./Wernli, B. (2021): Sensing ‘Subtle Spirituality’ among Environmentalists. In: Journal for the Study of Religion, Nature & Culture, 15. Jg., Heft 3, S. 344-367.

Blanc, J. (2023): From “Why Should?” to “Why Do?”. Tensions in the Christian Context while Acting for the Environment. In: Koehrsen, J./Blanc, J./Huber, F. (Hrsg.): Religious Environmental Activism: Emerging Conflicts and Tensions in Earth Stewardship. London: Routledge.

Chaplin, J. (2016): The global greening of religion. In: Palgrave Communications, 2. Jg., S. 1-5.

Djupe, P. A./Olson, L. R. (2010): Diffusion of Environmental Concerns in Congregations across U.S. States. In: State Politics & Policy Quarterly, 10- Jg., Heft 3, S. 270-301.

Gardner, G. T. (2003): Engaging Religion in the Quest for a Sustainable World. In: Worldwatch Institute (Hrsg.): State of the world. A Worldwatch Institute report on progress toward a sustainable society. New York: W. W. Norton & Company, S. 152-175.

Glaab, K. (2017): A Climate for Justice? Faith-based Advocacy on Climate Change at the United Nations. In:Globalizations, 14. Jg., Heft 7, S. 1110-1124.

Ives, C. D./ Freeth, R./ Fischer, J. (2020): Inside-out sustainability: The neglect of inner worlds. In: Ambio, 49. Jg., Heft 1, S. 208.217.

Jamil, S. (2023): Halal Wastewater Recycling. Environmental solution or religious complication? In: Koehrsen, J./Blanc, J./Huber, F. (Hrsg.): Religious Environmental Activism: Emerging Conflicts and Tensions in Earth Stewardship. London: Routledge.

Koehrsen, J. (2023): Religion und Ökologie. In: Sonnenberger, M./Bleicher, A./Gross, M. (Hrsg.): Handbuch Umweltsoziologie. Wiesbaden: Springer VS.

Koehrsen, J./Huber, F. (2021): A field perspective on sustainability transitions: The case of religious organizations. In:Environmental Innovation and Societal Transitions, 40. Jg., S. 408-420.

Pew Research Center (2017): The Changing Global Religious Landscape. Online verfügbar unter https://www.pewforum.org/2017/04/05/the-changing-global-religious-landscape/, zuletzt geprüft am 07.03.2019.

Schaefer, J. (2016): Motivated for Action and Collaboration: The Abrahamic Religions and Climate Change. In:Geosciences, 6. Jg., Heft 3, S. 31.

Taylor, B. (2010): Dark green religion: nature spirituality and the planetary future. Los Angeles: University of California Press.

Taylor, B./van Wieren, G./Zaleha, B. D. (2016): Lynn White Jr. and the greening-of-religion hypothesis. In: Conservation Biology, 30. Jg., Heft 5, S. 1000-1009.

White, L. (1967): The historical roots of our ecologic crisis. In: Science, 155. Jg., Heft 3767, S. 1203-1207.


Jens Köhrsen ist Professor für Soziologie an der University of Oslo und der Universität Basel

jensolek@uio.no

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-5659


Wirtschaft (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)

Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Wirtschaft 

Die planetaren Ressourcen, mit denen Menschen sich ihre Umwelt zunutze machen und einrichten, sind endlich und ihr Einsatz bzw. Verbrauch muss eingeteilt und geplant werden. Während das ursprünglich als Wirtschaften verstanden wurde, ist die heutige Definition von Wirtschaft auf Wachstum und Steigerung ausgelegt. Die Wirtschaft hat sich in die Nachhaltigkeitsdebatten eingefügt und ihr Wohlergehen selbst ist ein ausgewiesenes Nachhaltigkeitsziel – nicht ohne Probleme oder Zielkonflikte.

Problemaufriss

Bereits Karl Marx’ Analyse des frühen Industriekapitalismus zeigt, dass die damalige wie heutige Weltwirtschaft maßgeblich soziale und ökologische Nebenfolgen erzeugt. Kapital wird eingesetzt, um Waren zu produzieren, die dann für mehr Kapital veräußert werden. Diese sogenannte Akkumulation von Kapital kennt ihrem Wesen nach keine Grenzen. Die sozialen Nebenfolgen, beispielsweise für die Arbeiter:innen, sind vielfältig diskutiert worden und bilden die Grundlage für zentrale politische Ideen und Strömungen der letzten 200 Jahre. Natur nimmt bei Marx und vielen anschließenden Autor:innen die Rolle als Rohstoffquelle ein. Im Zuge der Globalisierung der Wirtschaftstätigkeiten, also der Vernetzung von Menschen, Orten und Märkten, und der damit verbundenen Arbeits- und Aufgabenteilung (u.a. Lohnarbeit oder Care-Verpflichtungen), werden die natürlichen Ressourcen zunehmend problematisiert. Hunger, gewaltsame Konflikte und Naturzerstörung sind nur einige damit verbundene Auswirkungen. Nachhaltigkeit spielt daher aus diesen und anderen externen Gründen (z.B. Gesetzesregelungen) eine besondere Rolle für die Wirtschaft und kann aus internen Beweggründen, die beispielsweise mit einer Umstrukturierung der Unternehmensziele einhergehen, an Relevanz gewinnen.

Einen weiteren Aspekt zum Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft erörtert Karl Polanyi. Seinen Analysen nach kann man das Verhältnis als einen fortwährenden Prozess der Ein- und Entbettung des Ökonomischen in das Soziale ansehen. Eine eingebettete Wirtschaft [1] wäre fester Bestandteil sozialer Praktiken und Strukturen, die Erzeugung und Verteilung von Gütern regeln. Eine entbettete Wirtschaft verselbstständigt sich demgegenüber und löst sich aus allen Sozialbeziehungen und setzt allein auf den Markttausch. Hierzu ist es unumgänglich, dass alles marktförmig getauscht – und daher als Ware [2] betrachtet wird. Letztendlich würden die Gesellschaft und alle sozialen Beziehungen zu einem Anhängsel des Marktes werden. Hiergegen wirken jedoch laut Polanyi Doppelbewegungen: Der „freie Markt“ provoziert so beispielsweise sozialdemokratische Gegenwehr, die seine (negativen) Folgen auffangen und ihn wieder regulieren sollen.

Die einsetzende Industrialisierung hat ein modernes Wirtschaftsverständnis geprägt, das Marx, aber auch Polanyi und viele anschließende Autor:innen direkt mit sozialen Folgen verbinden, ohne hierbei von Nachhaltigkeit zu sprechen. Ökologische Fragen wurden nicht explizit thematisiert. Das dreiseitige Nachhaltigkeitsverständnis, das neben einer ökologischen auch eine soziale und vor allem die ökonomische Dimension beinhaltet, bildet sich ab den 1970er Jahren heraus.

Soziologische Perspektiven auf Wirtschaft und Nachhaltigkeit

Wie die Wirtschaft in die Nachhaltigkeitsdebatte kam

Die Bedeutung des Konzepts „Nachhaltigkeit“ besitzt eine bewegte Geschichte. Pfister, Schweighofer und Reichel (2016) zeigen, dass im 20. Jahrhundert Nachhaltigkeit zuerst als Gegenpol zur Wirtschaft verstanden wurde: Der Club of Rome Bericht aus dem Jahre 1972 problematisierte das exponentielle Wachstum der Weltbevölkerung, des Nahrungs- und Rohstoffbedarfs, das damit verbundene Wirtschaftswachstum und betonte die Grenzen, die der Planet setze. Die Ölkrisen ab 1973 und die mit ihnen einsetzende Rezession verdeutlichten zudem, dass Rohstoffgrenzen insbesondere die Wirtschaft herausfordern und weitreichende Folgen für die Gesellschaften haben. In der zweiten Phase wurde laut Pfister et al. (2016) das Konzept “nachhaltige Entwicklung” zur Überwindung sozio-ökonomischer Ungleichheiten zwischen dem globalen Norden und den Schwellenländern des globalen Südens Schlüsselelement internationaler Entwicklungspolitik. Nachhaltigkeit erlangt somit einen Kontext von wirtschaftlicher Modernisierung. Der Brundtland-Report – eines der bedeutendsten Policypaper – verknüpfte die Entwicklungsmöglichkeit des globalen Südens zusammen mit den Interessen zukünftiger Generationen (siehe Glossarbeitrag Nachhaltigkeit). Nachhaltigkeit wird hier explizit in eine soziale, eine ökologische und eine ökonomische Dimension aufgefächert, die häufig Zielkonflikte hervorrufen und seltener gleichermaßen erreichbar sind [3].

Während der Club of Rome noch vor der akuten Endlichkeit planetarer Ressourcen warnte, an denen auch die wachstumsorientierte Wirtschaft nicht vorbeikomme, hat sich mit dem Brundtland-Report eine auf den Ausgleich widersprüchlicher Ziele orientierte Nachhaltigkeitsdefinition durchgesetzt. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum wurde somit zu einer Säule der Nachhaltigkeit, die durch entsprechende politische Programme erreicht werden sollte. Ausdruck hierfür sind komplexe Transformationsstrategien, die die Konflikte zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Zielen in Einklang bringen sollen (bspw. Green Growth oder Bioökonomie). Seit den 2000er Jahren hat sich die Wirtschaftspolitik zunehmend einem Grünen Wachstumspfad bzw. einem Green Deal verschrieben, während ab den 2010er Jahren zunehmend auch Wirtschaftsunternehmen Nachhaltigkeit als Ziel ihrer Corporate Social Responsibility reklamieren, die bis hin zu ganz explizit erwarteten und angestrebten Transformationsprozessen reichen können.

Gesellschaftliche versus individuelle Verantwortung

Die Veränderung der Nachhaltigkeitskonzepte hat in Bezug auf Wirtschaft auch die Verantwortung verschoben. Die Grenzen des Wachstums sind ein Problem für die wachstumsorientierte Wirtschaftsweise und das Handeln von Wirtschaftsunternehmen. Dennoch ist die Verantwortung den Menschen zugeschrieben worden. Nachhaltiges Handeln und vor allem nachhaltiger Konsum werden überspritzt zur Bürger:innenpflicht, die bei Mülltrennung beginnt und bei komplexen Verzichtsdebatten endet. In Form des CO2-Fußabdruck kann ein individueller Anteil an der Zerstörung der Natur und dem Klimawandel angelastet werden. Der CO2-Fußabdruck ist darüber hinaus aber auch ein Ausdruck einer symptomatischen Veränderung des Verhältnisses von Nachhaltigkeit und Wirtschaft hin zu einer parasitären Einverleibung. Die Maßzahl wurde Mitte der 2000er Jahre aktiv von British Petrol (BP) durch eine PR-Kampagne lanciert – und suggerierte, dass jeder Mensch seinen Abdruck kennen müsse, um ihn reduzieren zu können. CO2-Emissionen werden dadurch von einem gesellschaftlichen zu einem individuellen Problem, das nicht auf Ebene der Wirtschaftsweise (fossil-basiert, linear, extraktivistisch, massenproduzierend und -konsumierend), sondern auf individuellen Entscheidungen beruht (vgl. Doyle 2011).

Wenn nicht mehr die Gesellschaft, ihre Institutionen und insbesondere die kapitalistische Wirtschaftsweise maßgeblich für ein nachhaltiges Wirtschaften in die Pflicht genommen werden, sondern Verantwortung auf Individuen ausgelagert wird (Responsibilisierung ), dann wird ersichtlich, dass Wirtschaftslogiken die Nachhaltigkeitsdebatte prägen oder gar gekapert haben. Was genau dies für den Diskurs und die praktische Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten bedeutet, ist eine der zentralen Fragen der Soziologie der Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeit, Informalität und Globale Verbindungen

Im Zuge der voranschreitenden Globalisierung beziehen Akteure aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft immer öfter die Perspektiven ganz unterschiedlicher Produzent:innen, Händler:innen und Konsument:innen weltweit in ihre Betrachtungen mit ein, wenn sie Nachhaltigkeit adressieren. Studien verweisen auf strukturelle Unterschiede, wie beispielsweise die Rolle der informellen Ökonomie in Ländern des Globalen Südens. So unterliegen beispielsweise, die weitestgehend in kleinen bis mittelgroße Unternehmen produzierten Güter und Dienstleistungen (fast) keinen rechtlichen Vorgaben (Charmes 2020), umfassen zugleich Subsistenz- und Care Arbeit und machen in urbanen Kontexten zwischen 20-60% der Arbeitsleistung aus (Komollo 2010). Dieser Umstand macht es einerseits zu einer besonderen Herausforderung, Nachhaltigkeitskonzepte und -strategien von politischer Seite zu erdenken, zu implementieren und zu kontrollieren. Andererseits wird eine Vielzahl von kleinen Innovationen als Grassroots-Initiativen umgesetzt, die nachhaltiges Handeln in wirtschaftlichen Prozessen mitdenken.

Ein Beispiel aus dem Agro-Food-Sektor verdeutlicht, welche Auswirkungen die Globalisierung der Wirtschaft hat. Insbesondere in Ländern des Globalen Südens häufen sich die negativen Auswirkungen auf Produktion, Logistik und Vermarktung, wenn Anbaugebiete von Abholzung, Überdüngung oder Dürren betroffen sind, prekäre Arbeitsbedingungen für (Saison-)Arbeiter:innen entstehen, Landverbrauch und zunehmender börsennotierter Handel von Agrarprodukten, die Lebensmittelpreise in Krisenzeiten zusätzlich erhöhen. Gerade die wissenschaftliche Auseinandersetzung zeigt, dass alle Dimensionen von Nachhaltigkeit (sozial, ökologisch und ökonomisch) adressiert werden müssen und mit anderen gesellschaftlichen Institutionen wie Arbeitsmärkte, Finanzsysteme oder Konsumweisen verflochten sind. Wie oben bereits erläutert, ist eine Trennung von Gesellschaft bzw. wirtschaftlichen Aktivitäten und der Natur gerade bei der Betrachtung von Nachhaltigkeit wenig zielführend, vielmehr bedarf es einer integrierten Auseinandersetzung.

Möglichkeiten nachhaltiger Entwicklungen

Bereits gegenwärtig lassen sich in den Verständnissen von Nachhaltigkeit unterschiedliche und idealtypische „Entwicklungspfade“ zukünftiger Nachhaltigkeit erkennen (Adloff und Neckel 2019). Das hat für wirtschaftliches Handeln ganz verschiedene Auswirkungen.

Der erste besteht in einer grünen Modernisierung des Kapitalismus, wie sie etwa Konzepte des sogenannten „Green-“ oder „Ecocapitalism“ andeuten (Mol et al. 2016). Zwar lassen sich für solche Konzepte einige konkrete Beispiele finden, etwa ethische Geldinstitute, die dem Banken- und Finanzsystem kritisch gegenüberstehen und sozial-ökologische Aspekte explizit zur Grundlage ihrer Geschäftsmodelle machen. Allerdings stoßen sie oftmals an inhärente Grenzen, beispielsweise wenn diese Geldinstitute mit einer steigenden Anzahl an Kund:innen konfrontiert sind, die weniger die ethischen und ökologischen Aspekte ihrer Geldanlagen im Blick haben, sondern primär Renditen einfordern (Lenz 2018; Lenz/Neckel 2019). Anhand solcher Beispiele lässt sich sehr gut nachvollziehen, dass die Konzepte ökologischer Modernisierung die Prinzipien der kapitalistischen Marktwirtschaft weitgehend unangetastet lassen und im Kern darauf abzielen, Umwelt- und Ressourcenprobleme mit wirtschaftlichem Gewinninteresse zu vermitteln. Dadurch sind Transformationspotenziale begrenzt.

Der zweite denkbare Entwicklungspfad von Nachhaltigkeit, den Adloff und Neckel benennen, zielt auf eine grundlegende Transformation der kulturellen und ökonomischen Strukturen des Kapitalismus. In dieser Vorstellung von Nachhaltigkeit reicht es nicht aus, „schlechtes“ Wachstum (zum Beispiel Diesel-Autos) zu begrenzen und „gutes“ Wachstum (zum Beispiel E-Autos) zu fördern. Vielmehr bedürfe es einer institutionellen Transformation nicht nur des Wirtschaftssystems, sondern des gesamten sozialen, kulturellen und politischen Handelns (Kallis et al. 2018; Barnebeck et al. 2016). Hinzu kommt ein möglicher dritter Entwicklungspfad von Nachhaltigkeit, der nicht auf die Modernisierung oder Transformation bestehender Strukturen zielt, sondern auf die Ausrufung eines ökologischen Notstands. Aus dieser Perspektive bestünden einzig sinnvolle Antworten auf wirtschaftliche Entwicklungsproblematiken darin, Nachhaltigkeitsziele einzuhalten, auch um den Preis der Aushöhlung demokratischer Prinzipien. Digitalen Technologien wird bereits heute eine Schlüsselrolle in diesen Entwicklungen zugeschrieben. Deren Nachhaltigkeitsnutzen wird allerdings zumeist in ihrer vermeintlich effizienzsteigernden Wirkung gesehen, was aber durchaus gegenteilige Effekte wie erhöhten Konsum, Produktion und Energieverbrauch zur Folge haben kann (Shove 2018, Lenz 2019).

Zum Weiterdenken

Die Soziologie der Nachhaltigkeit zielt zum einen auf die Etablierung eigener theoretischer und methodischer Zugänge, die unterschiedliche soziologische (deskriptiv-analytische, kritisch-normative, praktisch-politische) und interdisziplinäre Perspektiven integriert. Zum anderen wird Nachhaltigkeit als „soziologische Beobachtungskategorie“ (Adloff/Neckel 2019: 168) verstanden, die Konflikte, implizite Widersprüche, neue Macht- und Ungleichheitskonstellationen  sichtbar machen soll. Diese entstehen, wenn verschiedene Gruppen, Institutionen und Organisationen auf Nachhaltigkeit als Handlungsgrundlage zurückgreifen. Insbesondere aus der Perspektive der Wirtschaft gilt Nachhaltigkeit als ein Leitbegriff gesellschaftlichen Wandels besonderer Art. Denn auf der einen Seite sind wirtschaftliche Akteure damit konfrontiert, Nachhaltigkeit in ihre Praktiken einzubinden, um langfristig ökonomisch erfolgreich zu sein. Auf der anderen Seite ist dieser ökonomische Erfolg auch davon abhängig, wie die Zivilgesellschaft diese Praktiken bewertet, auf Schwachstellen hinweist und absichtliche Manipulationen aufdeckt.

Die Soziologie der Nachhaltigkeit richtet vielfältige Fragen an das Themengebiet Wirtschaft: Welche Verständnisse von Nachhaltigkeit werden im wirtschaftlichen Handeln relevant gemacht? Wie gehen unterschiedliche Akteure mit Zielkonflikten zwischen ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit um? Wie und in welchen wirtschaftlichen Kontexten wird Nachhaltigkeit verhandelt? Welche Akteure und Institutionen sind in welchen Macht- und Ungleichheitskonstellationen beteiligt? Inwiefern wirken sich Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Kriege oder geopolitische Konflikte auf Nachhaltigkeitsbestrebungen in der Wirtschaft aus? Wie kann Nachhaltigkeit in wirtschaftlichen Kontexten adäquat untersucht werden? Welche methodischen Ansätze eignen sich, um Nachhaltigkeit in Bezug auf Wirtschaft diskursiv und praktisch zu untersuchen?

[1] Der Markttausch kann hierbei mitunter eine untergeordnete Rolle spielen, wenn die Einbettung wirtschaftlichen Handelns in andere Sozialbeziehungen wie Sitten, Riten, Gesetze, Religion, Magie, Aberglaube, Objekte, Zeit, Gelegenheit erfolgt.

[2] Auch Arbeit, Geld und Boden, die keine Waren im eigentlichen Sinne sein können, denn sie werden nicht ‚produziert‘. Polanyi bezeichnet sie daher als „fiktive Waren“.

[3] Das Dreisäulenmodell der Nachhaltigkeit wird auch als Trilemma verstanden, denn die drei Säulen der Nachhaltigkeit schließen sich mitunter aus. Beispielsweise sind chemische Industrien einerseits potenziell umweltschädlich, erwirtschaften aber für bestimmte Regionen ein unverzichtbares Steueraufkommen. Zugleich bieten sie Arbeitsplätze. Ökologische Nachhaltigkeit (Verzicht auf Chemieindustrie) hieße, Steueraufkommen zu verlieren (ökonomische Nachhaltigkeit) und Beschäftigungsmöglichkeiten zu verlieren (soziale Nachhaltigkeit).

Weitere Literatur

Grunwald, A./Kopfmüller, J. (2022): Nachhaltigkeit. 3. Auflage. Frankfurt a. M.: Campus.

Neckel, S./Degens, P./Lenz, S. (2022): Kapitalismus und Nachhaltigkeit. Frankfurt a. M.: Campus.

Zilles, J./Drewing, E./Janik, J. (2022): Umkämpfte Zukunft. Zum Verhältnis von Nachhaltigkeit, Demokratie und Konflikt. Bielefeld: transcript.

 

Adloff, F./Neckel, S. (2019): Modernisierung, Transformation oder Kontrolle? In: Dörre, K./Rosa, H./Becker, K./Bose, S./Seyd, B. (Hrsg.): Große Transformation? Zur Zukunft moderner Gesellschaften. Wiesbaden: Springer VS. S. 167-180.

Barnebeck, S./Kalff, Y./Sauer, T. (2016): Institutional Diversity. In: Sauer, T./Elsen, Susanne/Garzillo, C. (Hrsg.): Cities in Transition. Social Innovation for Europe’s Urban Sustainability. London: Routledge. S. 192-203.

Charmes, J. (2020): Why and how should the informal economy be revisited after 50 years? In: Ders.: Research Handbook on Development and the Informal Economy. Cheltenham: Edward Elgar. S. 1-17.

Doyle, J. (2011): Where has all the Oil gone? BP branding and the discursive Elimination of Climate Change. In: Heffernan, N./Wragg, D. A. (Hrsg.): Culture, Environment and Ecopolitics. Newcastle: Cambridge Scholars Publisher. S. 200-225.

Hickel, J. (2020): Less is more: How Degrowth will save the world. London: William Heinemann.

Kallis, G./Kostakis, V./Lange, S./Muraca, B./Paulson, S./Schmelzer, M. (2018): Research On Degrowth. In: Annual Review of Environment and Resources, 43. Jg., Heft 1, S. 291-316.

Lenz, S./Neckel, S. (2019): Ethical Banks between Moral Self-commitment and Economic Expansion. In: Research in the Sociology of Organizations, 63. Jg., S. 127-148.

Lenz, S. (2021): Is digitalization a problem solver or a fire accelerator? Situating digital technologies in sustainability discourses. In: Social Science Information, 60. Jg., Heft 2, S. 188-208.

Meadows, D. H./Meadows, D./Randers, J./Behrens, W. W., III (1972): The Limits to growth. A report for the Club of Rome’s project on the predicament of mankind. New York: Universe Books.

Komollo, F. O. (2010): Regularizing the informal sector “jua kali” activities in Nairobi for sustainable development. Paper from the 46th ISOCARP Congress.

Polanyi, K. (1978): The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Pfister, T./Schweighofer, M./Reichel, A. (2016): Sustainability. London: Routledge.

Shove, E. (2018): What is wrong with energy efficiency? In: Building Research & Information, 46. Jg., Heft 7, S. 779-789.


Linda Hering ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am SFB 1265 “Re-Figuration von Räumen” an der TU Berlin

E-Mail: linda.hering@hu-berlin.de

Dr. Yannick Kalff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich 1: Kultur- und Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück

E-Mail: yannick.kalff@uni-osnabrueck.de

Dr. Sarah Lenz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit“

E-Mail: sarah.lenz@uni-hamburg.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-5882


Rezension zum Buch "Rechtspopulismus vs. Klimaschutz? Positionen, Einstellungen, Erklärungsansätze"

Rezension zum Buch "Rechtspopulismus vs. Klimaschutz?"

Sommer, B., Schad, M., Kadelke, P, Humpert, F., Möstl, C. (2022): Rechtspopulismus vs. Klimaschutz? Positionen, Einstellungen, Erklärungsansätze. München: oekom, 168 S., 25 EUR. ISBN: 978-96238-30-2

Ein „doppeltes Desiderat“ in der gegenwärtigen Forschung

Ausgangspunkt der Studie ist die Feststellung eines „doppelten Desiderats“ (Sommer et al. 2021: 62) in der gegenwärtigen Forschung: Einerseits erfahren die Phänomene des erstarkenden Rechtspopulismus sowie die wachsenden Herausforderungen der Klimakrise jeweils große Aufmerksamkeit, andererseits widmen sich nur wenige Studien dem möglichen Zusammenhang zwischen beiden Bereichen (vgl. Sommer et al. 2022: 13). Die leitende Forschungsfrage des Buches lautet daher: „Gibt es einen Zusammenhang zwischen den sich verschärfenden ökologischen Krisen wie der Klimakrise sowie den politischen Bestrebungen, diese einzudämmen, und dem Erstarken des Rechtspopulismus?“ (ebd.: 14). Mit ihrer Arbeit zielen die Autor*innen darauf ab, die genannte Forschungslücke zu schließen, da die Phänomene der Klimakrise sowie des (Rechts-)Populismus zwar häufig gesondert, jedoch selten einer gemeinsamen Beobachtung unterzogen werden. Damit lässt sich die Studie einer Reihe von Forschungen zuordnen, die sich aktuell mit den politischen Debatten und gesellschaftlichen Konsequenzen der sozial-ökologischen Transformation beschäftigten (vgl. u.a.: Blühdorn 2020; Gürtler et al. 2021; Ekberg et al. 2022; Eversberg 2023; Mau et al. 2023; Quent et al. 2022).

Um ihrer Fragestellung nachzugehen, verfolgen Sommer et al. ein dreifaches Forschungsinteresse. Erstens bieten sie einen umfassenden Überblick über die aktuelle Forschungsliteratur zu rechtspopulistischen Positionen und deren Verhältnis zu den Themen Umwelt- und Klimaschutz. Zweitens erweitern sie bestehende Studien um eine Sekundärdatenanalyse, die Korrelationen zwischen (rechts-)populistischen Einstellungen sowie Einstellungen zu Klima- und Umweltschutz in den Blick nimmt. Drittens formulieren sie basierend auf diesen Erkenntnissen sechs prägnante Thesen zum Umgang mit den Herausforderungen, die sich durch das Erstarken rechtspopulistischer Politiken für die sozial-ökologische Transformation ergeben. Diesem Forschungsinteresse gehen Sommer et al. in vier Kapiteln nach, die im Folgenden kurz zusammengefasst und kritisch gewürdigt werden.

Populismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus

Die Autor*innen führen zu Beginn strukturiert in gängige Definitionen der zentralen Begriffe Populismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ein und erörtern bestehende Erklärungsansätze für das Erstarken des (Rechts-)Populismus. Als Definition des Begriffes Populismus wird insbesondere diejenige von Cas Mudde und Rovira Kaltwasser herangezogen. Sommer et al. schließen sich dieser vielfach verwendeten Definition an und verstehen (Rechts-)Populismus folglich primär als Ideologie (vgl. Sommer et al. 2022: 30). Damit grenzen sie sich gegenüber Ansätzen ab, die Populismus dementgegen als politisch-strategisch charakterisieren (vgl. Weyland 2001). Mudde et al. definieren Populismus als „dünne Ideologie“, die primär auf einer moralisch aufgeladenen Gegenüberstellung von „Volk vs. Elite“ beruht (vgl. Mudde 2004: 543). Für Sommer et al. bietet sich diese Definition von Populismus an, da sie sich – trotz aller Kritik – als „anschluss- und diskursfähig“ (Sommer et al. 2022: 25) erwiesen hat, in seiner theoretischen Offenheit nicht auf spezifische parteiförmige Populismen reduziert und insbesondere den Exklusivitätsanspruch populistischer Akteure beleuchtet. Nach einem historischen Rückblick zum Aufstieg des Rechtspopulismus nehmen Sommer et al. eine Systematisierung aktueller Forschungsthesen vor, die den Versuch unternehmen, das Erstarken des Rechtspopulismus zu erklären. Sommer et al. unterscheiden fünf Erklärungsansätze: die Ökonomiethese, die Kulturthese, die Kontinuitätsthese und Einstellungsebene, Wandel im politischen Feld sowie synthetisierende Ansätze (vgl. ebd.: 33).

Der breit aufgestellte Überblick zu Konzepten, Geschichte und Erklärungsansätzen von Rechtspopulismus bietet nachvollziehbare und gut strukturierte Zusammenfassungen des mittlerweile großen Forschungsfeldes zu diesem Thema. Durch die systematische Unterteilung in fünf verschiedene Erklärungsthesen wird die Vielzahl an qualitativen, quantitativen und ideengeschichtlichen Studien überzeugend geordnet. Darüber hinaus wäre es spannend gewesen, neben der Rekonstruktion der Ansätze auch eine Einschätzung der Autor*innen zu lesen, welche Fragen offenbleiben.

Widersprüchliche Positionen im Rechtspopulismus zu Klima und Umwelt

Nachfolgend präsentieren Sommer et al. zentrale Positionen und Begründungsmuster im (Rechts-)Populismus zu Klima und Umwelt und fassen Erklärungsansätze aus der Forschung zusammen (vgl. ebd.: 33ff.). Hierbei greifen die Autor*innen auf Ergebnisse bereits bestehender Studien zu klima- und umweltpolitischen Aussagen institutionalisierter, rechtspopulistischer Parteien zurück. Auch in dieser Darstellung systematisieren die Autor*innen eine Fülle an Studien und unterscheiden zwischen verschiedenen Argumentationen innerhalb rechtspopulistischer Positionen. Diese erweisen sich insgesamt als vielschichtig und teils widersprüchlich: So zeigen die Autor*innen auf, dass einige rechtspopulistische Akteure den anthropogenen Klimawandel und den wissenschaftlichen Konsens dazu im Kern infrage stellen, während andere vorrangig Zweifel an den entsprechenden Umsetzungsstrategien zur Bekämpfung der Klimakrise haben. Klima-, Energie- und Umweltpolitik werde aus verschiedenen Gründen abgelehnt: diese sei sozial ungerecht, stelle ein „Elitenprojekt“ dar, schränke die individuelle und – sofern durch die EU vorangetrieben – auch die nationale Freiheit ein (vgl. ebd.: 62ff.). Als eher rechtsextreme Position, die teils aber auch von rechtspopulistischen Akteuren übernommen wird, nennen Sommer et al. das Narrativ, „Naturschutz als Heimatschutz“ zu begreifen. In dieser Argumentation ist die Ablehnung klimapolitischer Maßnahmen damit begründet, dass diese – wie beispielsweise die Errichtung von Windrädern – einer nationalistisch aufgeladenen Vorstellung von „Natur“ widerspreche und schade (vgl. ebd.: 72f.).

Als Erklärung dafür, warum rechtspopulistische Akteure Klima- und Umweltpolitik überwiegend ablehnend gegenüberstehen, präsentieren Sommer et al. unterschiedliche Aspekte (vgl. ebd.: 77ff.):

So gehen Teile der ausgewerteten Studien davon aus, dass es sich bei den beschriebenen Positionen zum einen um eine ideologisch begründete Ablehnung der Klima- und Umweltpolitik handelt, die mit der Parteizugehörigkeit und -sympathie einhergehe. Zum anderen wird die Ablehnung aber auch als strategisches Vorgehen charakterisiert: Rechtspopulist*innen machen ein ideologisches Angebot für die Betroffenen der Transformation und sichern sich mit ihrer Position ein Alleinstellungsmerkmal in der gegenwärtigen Parteienlandschaft in Deutschland. Zudem zeige sich im Einsatz für den Naturschutz ebenfalls eine strategische Motivation rechter Akteure, die „für die Natur“ gegen klimapolitische Maßnahmen mobilisieren können. Als weiteren Erklärungsansatz machen Sommer et al. in der bestehenden Forschung die These aus, dass sich in Klima- und Umweltschutzkonflikten milieubezogene Debatten um die Lebensführung kristallisieren. Daran anknüpfend werde in der Ablehnung von Klima- und Umweltpolitik außerdem ein Konflikt um die Verteidigung von Privilegien deutlich. Psychologisch ausgerichtete Studien führen rechtspopulistische Positionen zu Klima und Umwelt auf ein Hierarchiedenken und autoritäre Einstellungen zurück. Ansätze aus der Emotionsforschung interpretieren diese Positionen als eine Verarbeitung erfahrener oder befürchteter Verluste im Zuge der sozial-ökologischen Transformation (vgl. ebd.: 2022: 88).

Zusammenfassend konstatieren die Autor*innen, dass rechte Parteien von einer Klimawandelskepsis geprägt seien und dementsprechend Klima- und Umweltschutzpolitik i.d.R. ablehnen. Wenn man der Definition von (Rechts-)Populismus nach Cas Mudde folgt, ist das Fazit dieses Kapitel plausibel: Sommer et al. fassen zusammen, dass sich die Argumentationen der AfD gegen Klima- und Umweltschutzmaßnahmen primär als populistisch charakterisieren lassen, da sie sich im Kern auf die Gegenüberstellung von „Volk vs. Elite“ beziehen (vgl. ebd.: 76). Bereichernd wäre jedoch eine ausführlichere Begründung gewesen, warum die Narrative der AfD, die auf eine Pro-Volkssouveränität abspielen und einer Anti-Establishment Rhetorik folgen, lediglich als populistisch kategorisiert werden. Dies lässt die Frage offen, warum die deutlich nationalistisch geprägten Vorstellungen des „Volkes“ der in Teilen rechtsextremen AfD nicht ins Gewicht fallen, um diese Argumentationen als Teile einer rechten Ideologie zu klassifizieren.

Rechtspopulismus, Klima und Umwelt: Bevölkerungseinstellungen

Im vierten Kapitel kehren Sommer et al. auf die zentrale Forschungsfrage zurück und widmen sich einer detaillierten Sekundär-Datenanalyse von Klimaeinstellungen und (rechts-)populistischen Haltungen. Auf Grundlage der Daten des GESIS-Panels möchten die Autor*innen einen „ersten deskriptiven Überblick […] verschaffen, ob sich auf Bevölkerungsebene auffällige Verteilungen und Einstellungsmuster detektieren lassen und in welcher Größenordnung überhaupt Interaktionen [zwischen rechtspopulistischen Einstellungen und Einstellungen zu Umweltschutz und Klimawandel] zu beobachten sind“ (ebd.: 95).

Die Analyse der Umwelt- und Klimaeinstellungen ergab, dass ein Bewusstsein um die ökologische Krise bei der Mehrheit der Befragten vorliegt und dies auch mit einer Sorge um die Umwelt einhergeht. Klimawandelskeptizismus ist dagegen nur gering ausgeprägt (vgl. ebd.: 110). Wenn es um konkrete Maßnahmen zur Eindämmung von Umweltkrise und Klimawandel geht, sind die Aussagen weniger eindeutig:

„Auf die Frage etwa, ob höhere Steuern für den Umweltschutz akzeptabel sind, dreiteilt sich die Bevölkerung: ein Drittel affirmiert Steuererhöhungen, ein Drittel ist unschlüssig und ein Drittel lehnt sie ab. Dieses Muster dupliziert sich auch im Bereich der Energiewende: Zwar sind über 80 Prozent der Auffassung, dass die Zukunft in den erneuerbaren Energien liegt, gleichwohl befürchtet jede*r Zweite, dass die Energiewende den Industriestandort Deutschland gefährdet und nur jede*r Dritte sieht große Kraftwerke für eine sichere Stromversorgung als erlässlich an.“ (ebd.: 111)

An diese Zwischenergebnisse knüpft sich die Frage an, inwiefern populistische und rechtsideologische Komponenten Teil dieser Meinungsdifferenzen sind. Die Autor*innen unterscheiden zwischen Faktoren des Populismus (Anti-Establishment, Anti-Pluralismus, Pro-Volkssouveränität) und des Rechtspopulismus (Nativismus, Autoritarismus, Geschlechteraspekte, EU-Skeptizismus und Nationalstolz). Zwischen den Einstellungen zu Klima-/Umweltthemen und populistischen Einstellungen finden sich schwache Zusammenhänge:

„Je eher Personen populistische Haltungen teilen, desto geringer ist ihr ökologisches Krisenbewusstsein ausgeprägt; desto eher relativieren sie Sorgen um die Umwelt; desto niedriger ist die Bereitschaft für den Umweltschutz Verzicht zu üben; desto weniger dringlich wird die Problematik des Klimawandels eingeschätzt und desto skeptischer wird die Energiewende betrachtet.“ (ebd.: 113)

Ein ähnliches Muster findet sich bei den rechtsideologischen Einstellungen: Wer rechtsideologischen Aussagen tendenziell zustimmt, macht sich weniger Sorgen um Klima und Umwelt, hat ein schwächeres ökologisches Krisenbewusstsein und ist kritischer gegenüber Einschränkungen und Maßnahmen wie die Energiewende (vgl. ebd.: 117). Die gemessenen Zusammenhänge sind beim Rechtspopulismus zwar stärker als beim Populismus, jedoch weiterhin nur mittel bis schwach ausgeprägt. Ins Gewicht fallen vor allem die Faktoren EU-Skeptizismus und Nativismus. Die Autor*innen halten fest:

„Es lässt sich feststellen, dass sich Menschen mit populistischen Positionen und rechtsideologischen Haltungen in Bezug auf ihre Umwelt- und Klimawandeleinstellungen dahingehend unterscheiden, dass Menschen die populistische Ansichten teilen, kaum Zweifel an der Existenz einer bevorstehenden Umweltkrise oder des Klimawandels haben, sondern eher die politischen Maßnahmen kritisieren und tendenziell ablehnen. Menschen dagegen, die rechte Vorstellungen teilen, lehnen nicht nur praktische Nachhaltigkeitspolitiken in der Tendenz ab, sondern relativieren auch die Umweltkrise und den Klimawandel bzw. wünschen sich eine weniger prioritäre Behandlung dieses Themas.“ (ebd.: 122)

Damit zeigt die deskriptive Sekundärdatenanalyse ausführlich, dass und zu welchen Aspekten rechtspopulistische Einstellungen und Einstellungen zu Umwelt und Klima korrelieren.

Rechtspopulismus als Herausforderung für die sozial-ökologische Transformation

Grundsätzlich beobachten Sommer et al., dass der Großteil der rechtspopulistischen Akteure in Deutschland, aber auch international, klimawandelskeptisch sind und entsprechenden politischen Maßnahmen im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation folglich ablehnend gegenüberstehen. Durch die ausführlichen Analysen der Sekundärdaten kommen die Autor*innen zu dem Schluss, dass allerdings durchaus Disparitäten zwischen organisierten Rechtspopulist*innen und Einstellungen der Bevölkerung zu verzeichnen sind. So zeigt sich, dass die Anhänger*innen rechtspopulistischer Politik nicht zwangsläufig geschlossen hinter den angebotenen Narrativen zum Klimawandel stehen. Vielmehr richten sie ihren Protest und ihr Abwehrhaltung gegen konkrete politische Projekte konkreter Klimaschutzmaßnahmen. So leugnet die AfD offen den Klimawandel, während der Großteil der deutschen Bevölkerung dies nicht tut. Diese Disparität erklären die Autor*innen damit, dass organisierte Akteure des Rechtspopulismus populistische Argumentationen vor allem strategisch verwenden. Die Aneignung der Klima- und Umweltthematik durch rechtspopulistische Akteure sei dabei nicht zu unterschätzen und stelle eine Herausforderung für das Gelingen einer sozial-ökologischen Transformation dar: „Die Leugnung des anthropogenen Klimawandels sowie Ablehnung von Klima- und Umweltschutz ist zunehmend ein zentraler Bestandteil des zeitgenössischen Rechtspopulismus.“ (ebd.: 132f.) Wie dieser Herausforderung zu begegnen sei, stellen die Autor*innen zum Abschluss ihrer Studie vor.

Dazu reichern Sommer et al. bestehende Vorschläge zum Umgang mit Rechtspopulismus mit den Ergebnissen ihrer Studie an und formulieren sechs Thesen zum spezifischen Umgang mit Rechtspopulismus im Kontext der sozial-ökologischen Transformation und damit verbundenen Aspekten zu Klima und Umwelt.

Erstens plädieren die Autor*innen dafür, die sozialen und ökonomischen Auswirkungen von Klima- und Umweltpolitik ernst zu nehmen. Klima- und umweltpolitische Maßnahmen müssten unter Berücksichtigung der sozialen, räumlichen und wirtschaftlichen Ungleichheit vor Ort geplant werden, um (rechts-)populistischen Narrativen („Klimapolitik ist ein – urbanes – Eliten-Projekt und auf Kosten des Volkes“) entgegenzuwirken (vgl. ebd.: 136f.). Zweitens weisen Sommer et al. darauf hin, dass Debatten um konkrete Maßnahmen transparent geführt werden müssten, was einen positiven und re-politisierenden Effekt mit sich bringen könnte. Drittens plädieren sie dafür, partizipative Formate in der Transformationspolitik zu stärken, um Konflikten entgegenzuwirken. Dies könne im Rahmen von Bürgerbeteiligungsprozessen oder finanzieller Teilhabe an Transformationsprojekten geschehen (vgl. ebd.: 140). Viertenskönnten Parteien jenseits der AfD mit einer ausdifferenzierten Klima- und Umweltpolitik ihr politisches Profil in der sozial-ökologischen Transformation schärfen. Die Autor*innen betonen fünftens, dass es wichtig sei, am Wert von politischer Bildungsarbeit festzuhalten und diese auszuweiten. Dennoch müsste aber auch die begrenzte Wirkung solcher Programme einberechnet werden. Schlussendlich – sechstens – schlagen Sommer et al. vor, dass für das Gelingen einer sozial-ökologischen Transformation auch positive Zukunftsperspektiven nötig seien, die ein Gegengewicht zu rechtspopulistischen Angstszenarien darstellen können. Damit, und so enden die Autor*innen, sei sogar die Hoffnung verbunden, durch eine erfolgreiche soziale und ökologische Transformation dem Rechtspopulismus den „gesellschaftliche[n] ‚Nährboden‘“ (ebd.: 144) zu entziehen.

Welche Fragen bleiben offen?

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass sozioökonomische Merkmale in der Studie nur eine untergeordnete Rolle bei der Betrachtung von Bevölkerungseinstellungen in Bezug auf Rechtspopulismus, Klima und Umwelt spielen. Zwar betonen die Autor*innen, dass diese laut Berechnungen keinen erwähnenswerten Einfluss hätten, dennoch sei angemerkt, dass weitere Analysen in diesem Bereich mit Sicherheit von Bedeutung sein könnten – insbesondere da die Autor*innen in den abschließenden sechs Thesen dieses Thema aufgreifen und Sensibilität für die unterschiedlichen sozio-ökonomischen Belastungen in der sozial-ökologischen Transformation fordern.

Für nachfolgende Untersuchungen könnte zudem der Frage nachgegangen werden, inwiefern lokale Unterschiede innerhalb der Bundesrepublik in Bezug auf Klimaschutzpolitik bestehen. Insgesamt liefert die Monographie einen wichtigen und zentralen Überblick über die Auswirkungen rechtspopulistischer Tendenzen auf die sozial-ökologische Transformation in Deutschland. Durch die auf die gesamte Bundesrepublik fokussierte Betrachtungsweise zur Beantwortung der Forschungsfragen lassen sich jedoch wenige Aussagen über eventuelle Unterschiede auf lokaler Ebene sowie zwischen Ost- und Westdeutschland formulieren. Für künftige Forschungsarbeiten wäre es daher sinnvoll, an die Ergebnisse dieser Studie anzuknüpfen und diese zu erweitern.

Schluss

Das Buch richtet sich sowohl an eine akademische Leser*innenschaft als auch an zivilgesellschaftliche und politische Akteure, die den Wandel der sozial-ökologischen Transformation mitgestalten möchten. Während die Studie diesem Anspruch in weiten Teilen gerecht wird und grundlegende Begriffe wie Populismus ausführlich definiert, werden andere Fachbegriffe (z. B. Nativismus, Xenophobie) nicht erklärt. Die teilweise ausführlichen Rekonstruktionen verschiedener Erklärungsansätze könnten das Lesen erschweren. Bisweilen hätte eine klarere Einordnung und Positionierung durch die Autor*innen der Leserin mehr Orientierung in der Fülle an Studien und Erklärungsansätzen geboten. Dennoch liefern die systematischen Darstellungen einen fundierten Überblick und können als Nachschlagewerk dienen, insbesondere für zivilgesellschaftliche und politische Akteure. Der Zugänglichkeit für eine breitere Leser*innenschaft besonders zuträglich sind zudem die tabellarischen und graphischen Zusammenfassungen (vgl. z.B. S. 90).

Aufgrund der Tatsache, dass es bisher wenig Forschungsergebnisse in Bezug auf die Auswirkungen von Rechtspopulismus und Klimakrise gibt, stellt die Pilotstudie eine bedeutsame und dringend notwendige Weiterentwicklung des aktuellen Forschungsstandes dar. Die abschließenden Thesen bieten besonders vielfältige Handlungsperspektiven und unternehmen den Versuch, einen konstruktiven Umgang mit rechtspopulistischer Vereinnahmung von Klima- und Umweltthemen zu finden. Damit stellt die Studie einen hilfreichen Beitrag für das Verständnis von Klima- und Umwelteinstellungen im Zusammenhang mit Rechtspopulismus dar.

Blühdorn, I./Butzlaff, F./Deflorian, M./Hausknost, D./Mock, M. (2020): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. Bielefeld: transcript.

Gürtler, K./Staemmler, J./Luh, V. (2021): „Klimapolitik, Unsicherheit und Aufbruch. Strukturwandel als Gelegenheit für die Lausitz.“ In: Nanz, P./Lawrence, M./Renn, O./Meyer, J. (Hrsg.): Klimaschutz: Wissen und Handeln. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 171-184.

Ekberg, K./Forchtner, B./Hultman, M./Jylhä, K. (2022): Climate Obstruction. How Denial, Delay and Inaction are Heating the Planet. London: Routledge.

Eversberg, D. (2023): „Anpassung, Verteilung, Externalisierung. Drei Dimensionen des sozial-ökologischen Transformationskonflikts.“ In: PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 210. Jg., Heft 53/1, S. 137-159.

Mau, S./Lux, T./Westheuser, L. (2023): Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin: Suhrkamp.

Mudde, C. (2004): “The Populist Zeitgeist.” In: Government and Opposition, 39. Jg., Heft 4, S.541-563.

Quent, M./Richter, C./ Salheiser, A. (2022): Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende. München: Piper.

Sommer, B./Schad, M./Möstl, C./Humpert, F./Kadelke, P. (2021): „Rechtspopulismus als Desiderat der sozial-ökologischen Transformationsforschung.“ In: GAIA – Ecological Perspectives on Science and Society, 30. Jg. , S. 62–64.

Weyland, K. (2001): “Clarifying a Contested Concept: Populism in the Study of Latin American Politics.” In: Comparative Politics, 34. Jg, Heft 1, S. 1-22.


Ann-Katrin Kastberg (M.A.) und Dora Stanić (M.Sc.) arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal in dem Forschungsprojekt „Rechtsextremismus in ökologischen Transformationsräumen: Diskursangebote, Resonanzwege und demokratische Alternativen (RIOET)“. RIOET untersucht, wie sich die Klimakrise in lokalen Transformationskontexten auf die politische Sozialisation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ost- und Westdeutschland auswirkt. Das Projekt wird im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert und ist eine Kooperation mit der Hochschule Düsseldorf.

ann-katrin.kastberg@h2.de 

dora.stanic@h2.de


Zukunft (Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit)

Glossar Soziologie der Nachhaltigkeit

Zukunft

Dass die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft durch den Nachhaltigkeitsbegriff problematisiert wird, führt soziologisch zu den Fragen, wie die (Vorstellung von) Zukunft auf die Gegenwart einwirkt und Zukunft überhaupt soziologisch beobachtet werden kann. ‚Nachhaltige Zukunft‘ lässt sich soziologisch als Konfliktfeld beobachten, in dem Akteur*innen gegenwärtig Praktiken der Kapital-, Macht- und Wissensakkumulation nutzen, um ihre Sichtweisen, Interessen und präferierten Lebensmodelle durchzusetzen.

Wie wollen und können wir in Zukunft leben?

Im Lichte der Vielfältigkeit gegenwärtiger Krisenerscheinungen scheint es so, als steuere die spätmoderne Gesellschaft auf ein neues Zeitalter von ungeahnten Katastrophen zu. Einige Zeitgenoss*innen gehen gar so weit, die Zukunft der Menschheit im Stile dystopischer Science-Fiction-Filme nicht mehr auf der Erde, sondern im Weltall bzw. auf dem Mars zu sehen und mobilisieren enormes Kapital, um dies möglich zu machen. Klassische Zukunftsfragen und Erwartungen der Moderne (Wie wollen wir in Zukunft leben? oder Unsere Kinder werden es einmal besser haben als wir), werden offensichtlich immer stärker von der Frage überformt: Können kommende Generationen in Zukunft überhaupt noch (gut) auf der Erde leben? Die ökologischen Grenzen und Kosten der Wohlstandsproduktion des Industriezeitalters sind kurzum nicht nur mit einer Vielzahl ökonomischer und sozialer Implikationen verbunden, sondern strukturieren als sorgenvoller und warnender Blick auch die Zukunftsvorstellungen unserer Zeit. Man könnte sagen, die planetaren Grenzen manifestieren sich nicht länger nur materiell, sondern auch in der Zeitdimension als soziale Antizipationen von Zukunft. Diese Grenzen sind dabei jedoch keinesfalls homogen strukturiert; etwa entlang des Dualismus Mars oder klimainduzierter Untergang? Sie differenzieren sich vielmehr entlang der Pluralität sozialer Systeme, Lagen und Erfahrungswelten aus und sind dabei je nach Machtpotenzial der sie produzierenden (kollektiven) Akteure auch in sehr unterschiedlichem Maße durchsetzungsfähig. Eine umfassende soziologische Perspektive auf Nachhaltigkeit muss deshalb sensibel für diese differenzierten und machtgeladenen Zukunftsvorstellungen sein.

Zukunft und Nachhaltigkeit

Spätestens seit Ende der 1980er Jahre steht eine nachhaltige Zukunftsgesellschaft, die ihre Bedürfnisse an der Vereinbarkeit mit jenen Bedürfnissen künftiger Generationen messen muss auf der politischen Agenda der Weltgemeinschaft [1]. Nachhaltigkeit ist seither zu einem weithin anerkannten normativen Leitbild avanciert, „in dem unsere Sorge um die Zukunft zum Ausdruck kommt“ (Klauer et al. 2013: 19). Implizit und explizit ist der Nachhaltigkeitsdiskurs mit vielfältigen und einander konfligierenden Zukunftsvorstellungen angefüllt (für eine Übersicht siehe auch Delanty 2020): von naturwissenschaftlichen Szenarien über mögliche klimatische Entwicklungen und sozialwissenschaftlichen Reflexionen damit einhergehender Lebensbedingungen; über utopische Ideale einer in ökologischer Harmonie lebenden Postwachstumsgesellschaft; der dystopischen Selbstbeschreibung von Protestbewegungen als ‚Letzte Generation‘; bis hin zu politischen Zielvorstellungen, die in den Sustainable Development Goals (SDGs) Nachhaltigkeit mit Entwicklungsoptimismus paaren. Der Klimawandel und andere sozial-ökologische Krisen entfalten ihre gegenwärtige Relevanz gerade mit Bezug auf die Antizipation von Zukunft. Im Nachhaltigkeitsdiskurs wird dabei auf verschiedene Imaginationen von Zukunft zurückgegriffen, die handlungsinstruktiv eingesetzt und verstanden werden. Der soziologische Diskurs zur Nachhaltigkeit untersucht diese vielfältigen Vorstellungen von zukünftiger Nachhaltigkeit und fragt, wie sich Zukunft dabei überhaupt erforschen lässt.

Soziologische Perspektiven auf Zukunft und Nachhaltigkeit

  1. Soziologische Grundperspektiven auf ‚Zukunft‘

Die Soziologie kann keine Antwort auf die Frage geben, was die Zukunft ist oder wie sie sein wird. Im Selbstverständnis einer Erfahrungswissenschaft greift die Soziologie nicht auf den Zeitpunkt ‚Zukunft‘ zu, sondern auf die schon gegenwärtig verfügbaren Bilder, Semantiken, Visualisierungsmöglichkeiten und Vorstellungen von Zukunft.

a) Die sozialen Bedingungen der Entstehung von Zukunftsimaginationen: Eine grundlegende Erkenntnis aus Sicht der Soziologie ist, dass der Blick auf die Zukunft von gesellschaftlichen Bedingungen abhängt. Wir wissen heute, dass unser Verständnis von Zukunft als ungewiss (obgleich nicht zwingend ‚unsicher‘) historisch erst ‚entdeckt‘ wurde (Hölscher 1999). Die systemtheoretische Wissenssoziologie zeigt dabei nicht nur, dass die vorherrschenden gesellschaftlichen Zeitkonzeptionen [2] abhängig von der Gesellschaftsstruktur variieren, sondern auch, dass sie als Lösungen bestimmter Probleme dieser Gesellschaftsformen gesehen werden können (Rammstedt 1975). Innerhalb gesellschaftlich dominanter Zeitwahrnehmung gibt es dabei stets auch konträr hierzu stehende Varianten; etwa die Vorstellung eines sich zyklisch regenerierenden Waldes trotz linear fortschreitender Kalenderzeit.

Von dieser Prämisse ausgehend interessiert die (Wissens-)Soziologie gerade nicht die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen einer Zukunftsvorstellung; stattdessen erforscht sie die sozialen Bedingungen ihrer Äußerung und den damit variierenden sozialen Umgang mit unsicheren oder ‚riskanten‘ Zukünften (Beck 2017). Historisch entstanden sehr unterschiedliche Ordnungen des Zukunftswissens, die verschiedene zukunftsbezogene Denkfiguren beinhalten; wie etwa religiöse Heilserwartungen und Prophezeiungen, rationale Prognosen, Planung und Utopien, sowie künstlerische und kulturindustrielle Artefakte nach dem Muster dystopischer Hollywoodfilme, aber auch architektonische Entwürfe wie „grüne Großstädte“ (Willer/Bühlen 2016). Setzt man das Nichtwissen über die Zukunft als Problem, lässt sich fragen, welche unterschiedlichen Qualitäten diese Denkfiguren aufweisen.

Konsequenterweise birgt die Rede von ‚der Zukunft‘ im Singular soziologisch stets die Frage, wessen Zukunft (welcher historischen und sozialen Rollen, Gruppen, Milieus und Bedingungen) damit eigentlich gemeint ist; erst im Plural gedacht lässt sich die gegenwärtige Zukunft, als milieu-, kultur- oder systemspezifischer Zugriff auf stets noch offene Zukunft soziologisch reflektieren (inklusive all der daraus entstehenden Konflikte). Denn wie sich schon gegenwärtig die Zukunft (oder auch Vergangenheit) für Akteur*innen äußert, hängt ab von deren „Lebensalter, Mentalität und sozialer Lage“ (Neckel 1988: 467) sowie den gesellschaftlichen Positionen und Rollen, die sie einnehmen. Klimawissenschaftler*innen sehen die Zukunft allein aufgrund ihrer sozialen Position und Rolle anders als ein CEO eines großen Tech-Konzerns.

b) Soziale Konsequenzen von Zukunftsvorstellungen: Gleichwohl wissen wir, dass auch andersherum Zukunftsimaginationen trotz der Ungewissheit ihres Eintretens Einfluss auf soziales und politisches Handeln haben. In den Fokus geraten dann nicht länger die Bedingungen, sondern eben soziale Konsequenzen von Zukunftsvorstellungen. Es ist, gemäß des Thomas Theorems [3] nicht der Wahrheitsgehalt eines (Zukunfts-)Wissens, der Handlungsweisen strukturiert und insofern für die Soziologie relevant ist, sondern schlichtweg, dass Akteure eine bestimmte Situations- und damit auch Zukunftsdeutung als real definieren. Die Art und Weise, wie über Zukunft nachgedacht wird (woran auch die Soziologie selbst teilnimmt) beeinflusst also gegenwärtige Praktiken (Schiller-Merkens 2022) und damit auch die Zukunft, z.B. in der Form einer selbsterfüllenden oder selbstzerstörerischen Prophezeiung [4]. Ebenso beeinflusst werden Praktiken und Identifikationen von Gruppen und Kollektiven. Ob am an einer drohenden Apokalypse orientierten Prepping (Nagel 2021) oder dem Optimismus des Wirtschaftsliberalismus (Beckert 2018: 439ff.): Wissenssoziologisch lässt sich zeigen, dass Zukunftsvorstellungen auf vielfältige Weise in das Alltagswissen eingeschrieben und mit spezifischen Formen des Handelns verbunden sind.

Es wird also nicht nur 1.) die konkrete Vorstellung der Zukunft gemäß gegenwärtiger gesellschaftlicher Strukturen beeinflusst; sondern auch 2.) in die andere Richtung beeinflusst die Vorstellung oder das Wissen (und Nicht-Wissen) von der Zukunft das jeweilige Handeln von Akteur*innen. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch kulturelle Erzählungen über die Zukunft als Fundus gesellschaftlicher Zukunftsvorstellungen, -hoffnungen und -ängste begreifen. Das CliFi-Genre [5] etwa kann so etwa als Hinweis auf vorhandene gesellschaftliche Zukunftsvorstellungen gelesen werden und erweist sich in diesem Sinne auch als sozialwissenschaftlich anschlussfähig, insofern derlei dystopische Katastrophenerzählungen „mit dem Anspruch auf[treten], etwas freizulegen, etwas aufzudecken, das unterhalb der Oberfläche der Gegenwart noch verborgen ist“ (Horn 2014: 25) – obwohl es sich hierbei natürlich ‚nur‘ um Fiktion handelt.

  1. Die soziologische Untersuchung nachhaltiger Zukünfte

Die enge Verwobenheit von Gesellschaftsstruktur und Zukunftsimaginationen, bzw. generell Zeitvorstellungen zeigt sich gerade dort, wo gesellschaftlich induzierte Umweltschäden im Sinne des planetaren Wohlbefindens überwunden werden sollen. Der Historiker Dipesh Chakrabarty (2009) etwa sieht deshalb auch einen Dreh- und Angelpunkt im kontemporären Nachhaltigkeitsdiskurs in der Ausweitung der Zeiträume, in denen menschliches Denken stattfindet. So erlaubt der Blick auf das Anthropozän [6] für Chakrabarty nicht nur die Überwindung des Mensch-Natur-Dualismus, sondern pocht auch auf ein Denken in besonders großen Zeiträumen, die im bisherigen Denken der Menschen ausgeblendet wurden. Wenn der Einfluss des Menschen auf den Planeten Erde eben auch in tausenden Jahren noch nachweisbar sein wird, wird es Zeit, das Handeln an breiteren Zeitskalen (der sog. deep time) auszurichten.

Darüber hinaus kann der soziologischen Beobachtung des Nachhaltigkeitsdiskurses etwa auffallen, dass der Zugriff auf zukünftige Gesellschafts- und Umweltverhältnisse im Nachhaltigkeitsdiskurs eine ähnliche Rationalität aufweist wie das moderne Risikobewusstsein, da beide das moderne Problem offener Zukunft adressieren. Das macht das Spannungsverhältnis von Nachhaltigkeit und Risikobewusstsein zu einem möglichen Untersuchungsobjekt, das den Konflikt von zyklischen und linearen Zeitwahrnehmungen in der Gesellschaft zum Thema hat (siehe hierzu Suttner 2023). Zugleich bemerkt die Soziologie, dass der antizipatorische Blick in die Zukunft auch die politische Gestaltung derselben und das soziale Handeln präformiert. Der Klimawandel lässt sich als eine „emanzipatorische Katastrophe“ (Beck 2017) deuten – also als eine Form der selbstzerstörenden Prophezeiung: Indem durch die Antizipation einer dystopischen Zukunft vielfältige soziale Dynamiken in Gang gesetzt werden (vom Wandel von Normen, über wissenschaftliche Konferenzen bis hin zu politischen Initiativen und veränderten Lebensstilentwürfen) soll ihr Eintreten verhindert werden. Da der Handlungsaufruf dieses Zukunftsszenarios stark ausgeprägt ist, stößt es auf Opposition, wo dieser Aufruf kritisch hinterfragt wird. Der politische Wertekonflikt verschiebt sich damit zu einem Konflikt von Zukunftsszenarien (s.u. zum Thema „Zukünfte der Nachhaltigkeit“).

Dies lässt sich am gegenwärtigen, bewegungsförmig organisierten Klima-Aktivismus und seinen Gegner*innen zeigen. Hier sieht man, dass die Rationalität der Protestpraxis gerade aus der Antizipation von dystopischen Zukünften entspringt, die in Gewissheit übersetzt werden müssen und Räume für alternative Strategien und neue Utopien eröffnet. Klimawissenschaftler*innen und Klimabewegungen (re)produzieren durch ihre Forschungspraxis bzw. ihren Aktivismus das Wissen einer nicht nur zukünftig, sondern bereits gegenwärtig und in der Vergangenheit verorteten Klimakatastrophe und Erwartungen über ein kommendes Massensterben und einem damit verbundenen „Zukunftsklau“ für kommende Generationen, wenn politisch nicht radikal umgesteuert werde (Wendt 2022) Klimawandelleugner*innen wiederum erkennen dieses Zukunftswissen nicht an, politisieren, u.a. die mit ihm verbundene Unsicherheit und naturalisieren die Zukunft des Klimasystems (‚das Klima hat sich immer gewandelt‘). Die enge Verflechtung von (konfliktbeladenen) Zukunftswissen und daraus abgeleiteter Unmittelbarkeit von Lösungsstrategien, macht Klimaproteste zu einer politisch höchst aufgeladenen Angelegenheit.

Wo Zukunftsvorstellungen und die Zukunft vermischt, bzw. als ein als ‚realer‘ und vorhersehbarer Moment (miss‑)verstanden werden und damit der Konstruktions-, Macht- und Konfliktgehalt aller Zukunftsvorstellungen verkannt wird, verweist die Soziologie auf die Vernachlässigung dieser Wechselverhältnisse und die Machtdimensionen, die mit der Anrufung verschiedener Zukünfte verbunden sind. In Bezug auf die Produktion sozial-ökologischer Utopien (also positive, erstrebenswerte Zukunftsvorstellungen), lässt sich etwa zeigen, dass wirtschaftliche und politische Machtzentren ihr ökonomisches und kulturelles Kapital dafür einsetzen, hegemoniale Vorstellungen einer nachhaltigen bzw. grünen Moderne zu produzieren, die (vor allem technische) Lösungsstrategien für die sozial-ökologische Krise anbieten und bewerben (Wendt 2018, Jochum 2020).

Im Nachhaltigkeitsdiskurs lassen sich idealtypisch jedoch mindestens drei verschiedene „Zukünfte der Nachhaltigkeit“ (Adloff et al. 2020) voneinander unterscheiden, die ihrerseits mit spezifischen Imaginationen, (Macht‑)Strukturen und (konfligierenden) Praktiken verbunden sind: 1.) Am weitesten verbreitet sind dabei Vorstellungen von einer Zukunft als Ökologisierung der kapitalistischen Marktwirtschaft. Klima- und Umweltkrisen sollen vor allem durch technische Mittel und marktbasierte Instrumente gelöst werden. Diese Wissensbestände stabilisieren als Rechtfertigungsordnungen das bestehende gesellschaftliche Ordnungsgefüge durch ökologische Innovationsversprechen. 2.) Auf der Grundlage einer immanenten Kritik dieser Versprechen im Lichte der Nicht-Erreichung von ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen produzieren Teile der sozial-ökologischen Bewegungen radikalere Transformationsutopien: „System Change, Not Climate Change‘. Dieses Zukunftswissen zielt häufig auf die Überwindung bestehender (etwa kapitalistischer, postkolonialer, patriarchaler) Macht- und Herrschaftsordnungen und alternative Formen von Gesellschaft, wie etwa eine Postwachstumsgesellschaft oder einen Grünen Sozialismus. 3.) Im Angesicht der Erwartung, dass es bereits zu spät sei, den planetaren Kollaps zu verhindern, zielen manche Forderungen von Klimawissenschaftler*innen auch auf (technokratische) Kontrollmöglichkeiten; von weitreichenden technischen Eingriffen wie Geo-Engineering bis hin zum Aufbau umfassender Katastrophenschutz-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen.

Über diese, von Adloff et al. vorgenommene Typisierung hinaus zirkulieren im Nachhaltigkeitsdiskurs aber auch gerade in rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen, Zukunftsvorstellungen, die gegen alle drei Zukünfte der Nachhaltigkeit, vor allem aber Kontroll- und weitreichende Transformationsutopien gerichtet sind, und die diese als Dystopie einer kommenden (kommunistischen) Klima- bzw. Ökodiktatur imaginieren (Wendt 2022). Die Klimaszenarien der Nachhaltigkeitsforschung und -bewegung werden hier als Ideologien und Manipulationsversuche von Eliten wahrgenommen, die zum Ziel haben, die Gesellschaft zu de-industrialisieren und zu beherrschen. Diese Zukunftsimaginationen intendieren den weitreichendsten Konservatismus, indem Zukunft als eine Verlängerung und Verteidigung des fossilen Zeitalters und der mit ihm verbundenen sozialen Praktiken gedacht wird.

[1] Siehe hierzu: Glossareintrag zum Begriff „Nachhaltigkeit“

[2] Rammstedt spricht von ‚okkasionellem‘, ‚zyklischem‘ sowie ‚linearem‘ Zeitbewusstsein mit entweder geschlossener oder offener Zukunft. Die moderne Gesellschaft kennzeichnet vor allem ein lineares Zeitverständnis mit offener Zukunft. Das heißt, Zeit wird als seriell voranschreitend gesehen, ohne angebbaren Letztzeitpunkt (wie dies etwa noch im apokalyptischen Szenario der theologischen Eschatologie der Fall war)

[3] Das Thomas Theorem besagt: „if men define situations as real, they are real in their consequences”. In: Thomas, W. I. (1928): The Child in America: Behavior Problems and Programs. New York: Alfred A. Knopf. S. 572.

[4] Während eine selbsterfüllende Prophezeiung sich dadurch auszeichnet, dass eine falsche Definition der Situation, vorliegt, die aber „ein neues Verhalten hervorruft, das die ursprünglich falsche Sichtweise richtig werden läßt“, kennzeichnet eine selbstzerstörende Prophezeitung, dass sie „das Eintreten eben jenes Umstands verhindern, der sonst eintreten würde“ Merton, R. K. (1995): Soziologische Theorie und soziale Struktur. Berlin: de Gruyter, S. 124 und 399ff.

[5] CliFi (kurz für: Climate Fiction, in Anlehnung an die Abkürzung zu Science Fiction) ist ein Literatur Genre, in welchem (häufig) postapokalyptische Szenarien vor dem Hintergrund ökologischer Katastrophen gezeichnet werden.

[6] Das Anthropozän stellt eine geologische Epoche dar, in welcher der menschliche Einfluss (ähnlich anderer ökologischer Einschnitte) auf das Ökosystem des Planeten stets datierbar sein wird.

Zum Weiterdenken

‚Nachhaltige Zukunft‘ ist ein sozial-differenziertes, konfliktreiches und politisch umkämpftes Territorium (siehe hierzu die Literaturvorschläge Zilles 2022). Hinter den abstrakten Typen von Zukunftsvorstellungen befinden sich Akteur*innen, die konkrete Praktiken der Kapital-, Macht- und Wissensakkumulation in Stellung bringen, um ihre Sichtweise, Interesse und präferierten Lebensmodelle durchzusetzen. Die soziologische Beobachtung verweist darauf, dass sich Nachhaltigkeit im Sinne einer positiv besetzten Zukunftsvorstellung gegen das moderne Wissen einer stets offenen Zukunft durchsetzen muss. Am erfolgreichsten gelingt dies entweder, indem sie diese Offenheit schlichtweg negiert (‚die Daten sind eindeutig!‘) oder aber sich gegenüber dem Status Quo als nützlich inszeniert, selbst wenn die Warnung vor einem ökologischen Kollaps sich nicht bewahrheiten sollte.

Zum Weiterlesen

Adloff, Frank; Fladvad, Benno; Hasenfratz, Neckel, Sighard 2020 (Hrsg.): Imagination von Nachhaltigkeit. Katastrophe, Krise, Normalisierung. Frankfurt am Main: Campus.

Wendt, Björn 2018: Nachhaltigkeit als Utopie. Zur Zukunft der sozial-ökologischen Bewegung. Frankfurt am Main: Campus.

Zilles, Julia; Drewing, Emily; Janik, Julia 2022 (Hrsg.): Umkämpfte Zukunft. Zum Verhältnis von Nachhaltigkeit, Demokratie und Konflikt. Bielefeld: transcript.

Beck, Ulrich 2017: Die Metamorphose der Welt. Berlin: Suhrkamp.

Beckert, Jens 2018: Imaginierte Zukunft: Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus. Berlin: Suhrkamp.

Chakrabarty, Dipesh 2009: “The Climate of History: Four Theses”, in: Critical Inquiry 35:2, S. 197-222.

Delanty, Gerard 2020: Wann beginnt die Zukunft? Überlegungen zu Temporalität, Nachhaltigkeit und Zukunftsszenarien, in: Adloff, Frank; Fladvad, Benno; Hasenfratz, Neckel, Sighard (Hrsg.): Imagination von Nachhaltigkeit. Katastrophe, Krise, Normalisierung. Frankfurt am Main: Campus, S. 49-70.

Hölscher, Lucien 1999: Die Entdeckung der Zukunft. Frankfurt a.M.: Fischer.

Horn, Eva 2014: Zukunft als Katastrophe. Frankfurt a.M.: Fischer.

Jochum, Georg 2020. Nachhaltigkeit zwischen Sozial- und Technikutopie. Transformationspotentiale der utopischen Diskurse der Moderne, in: Soziologie und Nachhaltigkeit. 6(1), 21–48. https://doi.org/10.17879/sun-2020-2820

Klauer, Bernd, et al. 2013: Die Kunst langfristig zu denken: Wege zur Nachhaltigkeit. Baden-Baden: Nomos.

Nagel, Alexander-Kenneth 2021: Vorbereitung auf den Untergang: Prepper als apokalyptische Szene? In: Betz, Gregor, Bosančić, Sasa (Hrsg.): Apokalyptische Zeiten. Endzeit- und Katastrophenwissen gesellschaftlicher Zukünfte Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 27-43.

Neckel, Sighard 1988: Entzauberung der Zukunft: Zur Geschichte und Theorie sozialer Zeitperspektiven. In: Zoll, Rainer (Hrsg.): Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. S. 464–486.

Rammstedt, Ottheim 1975: „Alltagsbewußtsein von Zeit“, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 27:1, S. 47–63.

Schiller-Merkens, Simone 2022: Prefiguring an alternative economy: Understanding prefigurative organizing and its struggles, in: Organization, 0:0. S. 1-19.

Suttner, Sebastian 2023: Das zeitliche Dilemma der Nachhaltigkeit: Wie Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdung einstellt. In: Henkel, Anna et al. (Hrsg.): Dilemmata der Nachhaltigkeit. Baden-Baden: Nomos. S. 109-124.

Wendt, Björn 2022: Zwischen Kollaps und Ökodiktatur. Wissenssoziologische Beobachtungen zu den Dystopien des aktuellen Klimadiskurses. In: Betz, Gregor, Bosančić, Sasa (Hrsg.): Apokalyptische Zeiten. Endzeit- und Katastrophenwissen gesellschaftlicher Zukünfte Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 133-157.

Willer, Stefan; Bühler, Benjamin 2016 (Hrsg.): Futurologien. Ordnungen des Zukunftswissens. Schöningen: Brill.


Björn Wendt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Münster

E-Mail: björn.wendt@uni-muenster.de

Sebastian Suttner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg

E-Mail: sebastian.suttner@uni-wuerzburg.de

Beitrag als PDF/DOI: 10.17879/sun-2024-5641